Читать книгу Kleine Geschichte der antiken Komödie - Gregor Maurach - Страница 8
Aristophanes
Оглавление„Die reiche Vielfalt attischen Lebens in Athens stolzester Zeit, die Höhen und Tiefen seiner ins Weite strebenden Politik, der Reichtum seiner Märkte, die Absonderlichkeiten seiner harmlosen und seiner schlimmen Käuze, aber auch das Andringen neuer Ideen und die Revolutionierung der Kunst – das alles ist in diesem Zauberspiegel eingefangen, den die Hand eines großen Dichters so bewegt, dass wir über tausend flirrenden Lichtern doch nie die Wirklichkeit des Lebens und den Ernst seines eigensten Anliegens aus dem Blicke verlieren“, so schrieb vor ungefähr fünfzig Jahren Albin Lesky (Nachdruck 1993, 471). Aber die griechische Komödie war nicht von Anbeginn attische und athenische Komödie; überall im griechisch sprechenden Raum, Süditalien einbegriffen, hatte es lange vor Aristophanes eine Fülle von ähnlichen Lustbarkeiten gegeben. Das Leben, das der Bauer dort führte, war karg wie der Boden es war. Doch es war kein dumpfes Mühen. Das arbeitsame und entbehrungsbereite Volk hoffte jedes Jahr erneut auf gute Aussaat und auf gute Ernte, und so betete es viel und gern, nicht selten auch in schönen Versen. Das Volk suchte auch Erholung im Lachen, im Trunk und im Tanz, es spottete gern, damals wie heute, und suchte die Natur, anders als heute, durch Tanz, Musik und Wort dazu an- und aufzuregen, reiche Frucht und kräftigen Nachwuchs zu schenken, und dies nicht selten, damaligen Brauch befolgend, durch deutlichstes Aussprechen von Dingen des Zeugens, auf dass Erde und Tier es hören und dann zu fruchtbarem Keimen kommen. So flossen Beschwörung, Gottesdienst und entspannende Sanges- und Spottlust zusammen bei Fest und dörflichem Umzug. Man lachte zum Beispiel gern über absonderlich vorn und hinten ausgestopfte Gesellen, die da umhertollten, man spottete um des befreienden Lachens willen auch über kauzige Dorfgenossen, über Knauser und Schwätzer, und sorgte so auch für Zusammenhalt und Ordnung, lustig und zuweilen auch zornig den Grenzüberschreitungen wehrend. So war auch das attische Fest aus Lust und Gebet gemischt, aus Frohsinn und Götterverehrung zugleich.
Will man sich ein Bild vom Ablauf eines solchen Festes machen, so muss man zunächst nach der Gottheit fragen, welcher das Fest galt. Wir wollen uns hier auf die Feste beschränken, an denen es wild und doch auch ehrfürchtig zuging, wo Gottesdienst sich mit der Lust am Lachen verband, und das sind die Feste zu Ehren des Dionysos, des Gottes „des Weins und der rauschhaften Ekstase“, wie Walter Burkert (1977, 251) ihn nannte. Er war der Gott aber auch der Zeugungslust, des Todesschmerzes, des Aufwachsens und auch des Vergehens, wie die Vasen und die Mythen berichten. Maskierte trugen da riesige Phallen, traten zuweilen als Tiere auf, sangen und spotteten, zu Fuß oder auf Festwagen wie bei unserem Fasching, ließen Derbstes hören und auch Loblieder auf den Gott, um die Zuschauer und Beteiligten zu ergötzen, die Gottheit gnädig zu stimmen und die Natur zu Frucht und Geburt aufzuregen. Kurze Alltagspossen wird man gehört und gesehen, Chorgesänge vernommen haben.
Mancher Brauch stammte noch aus der Jungsteinzeit, mancher hat bis heute in vergleichbarer Form überlebt (man denke nur an den Karneval). Vielfältig war, was da geschah, allmählich aber gestaltete sich dieses so formbegabte Volk aus dem Vielfältigen Wiederholbares und Festwerdendes. Das Chorlied, wohl in Attika entstanden, gehörte bald zum festen Bestand, kleine Szenchen zu Beginn und nach dem Hauptlied des Chors werden aus dem reichen Schatz der Imitation von Alltäglichem in erheiternder, darum grotesker Form entsprungen sein, vorgetragen von Schauspielern mit drollig dickem, weil ausgepolstertem Bauch und Hinterteil, dazu mit riesigem Penis. In Unteritalien entstand schon vor der zunächst noch recht ordnungslosen attischen Komödie und auch vor dem Drama, wie es Kratinos2 um die Mitte des 5. Jahrhunderts schuf, eine gepflegtere Form der Aufführung. Rede-Wettkämpfe wurden da von zwei Streitenden auf der Bühne ausgetragen, zum Beispiel zwischen „Herrn und Frau Volksrede“, dazu wurden berühmte Mythen parodiert, und kein Geringerer als Platon schätzte solche, sicherlich recht kurze Aufführungen des Dichters Epicharm aus der Wende des 6. zum 5. Jahrhundert v. Chr. hoch 2a.
Einen Herakles, der ungeheuer essen konnte, sah man da, und einen wohl nicht ganz heroischen Odysseus, aber auch Parasiten und „dumme Auguste“; und sie alle sprachen Verse. Mit feinem Instinkt gestaltete die attische Formkunst aus solch Vielfältigstem eine literarische Gattung, die bis ins 18. Jahrhundert im Grundsätzlichen wenig verändert am Leben bleiben sollte.
In Athen fand die erste staatlich beaufsichtigte Komödienaufführung im Jahre 486 v. Chr. statt, also nur wenige Jahre vor dem Zug und der Niederlage des Perserkönigs Xerxes gegen Griechenland; den ersten inschriftlich bezeugten Sieg beim Wettkampf der Komödiendichter vor einer Aufführung errang ein Magnes, und wir hören von einer ganz frühen Komödie – ob das Wort von „kómos“, dem Festzug, oder von „kóme“, dem Dorf, abgeleitet wurde, ist unklar –, dass sie sich verächtlich über die Komödie der benachbarten Megarer aufhielt.3 Man achtete also in Athen auf Qualität, und der Brauch, dass eine Jury die eingereichten Texte beurteilte, garantierte gutes Niveau.4 Wann Komödienverfasser sich von der Bühne aus in die Politik einzumischen begannen, wissen wir nicht. Aber als Athen nach jenen großen Siegen anfing, sich nicht ohne Gewalt ein Imperium zu schaffen, die umliegenden Inseln in ein Flottenbündnis zu zwingen und Abtrünnige hart zu strafen, so zum Beispiel Thasos, Naxos und Lesbos, als ferner Perikles Wirtschaftskriege anzettelte (gegen Korinth, dann gegen Megara) und die Stadt in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft verwandelte, da erhob ein Komödiendichter, nämlich Kratinos5, seine Stimme gegen ihn, und es ließ sich noch ein anderer Lustspielschreiber, Platon (er hat nur den Namen mit dem viel späteren Philosophen gemein), mit Kritik gegen die Inselpolitik vernehmen. Das bildete Tradition, und so hört und liest man viel politische Kritik in den Komödien selbst oder den Berichten über sie, Kritik insbesondere an des Perikles schwächerem, dafür gewalttätigerem Nachfolger Kleon. Aber sie beherrschte keineswegs allein das Bühnengeschehen, es wurde gesungen, getanzt, gestritten und die große Tragödie parodiert, und als Dikaiopolis in des Aristophanes „Bauern von Acharnaí“ sagen will, dass er sich verkleiden wolle, zitiert er den „Telephos“ des großen Euripides und deklamiert: „Es tut mir not, heut arm zu scheinen, zu sein zwar, der ich bin, doch so nicht auszusehen.“ Wer den tragischen Text nicht kannte, hörte zumindest das Gestelzte und amüsierte sich.