Читать книгу Kleine Geschichte der antiken Komödie - Gregor Maurach - Страница 19
Sein Leben
ОглавлениеWenig Gesichertes ist über Menanders Leben überliefert. Eine anonyme antike Abhandlung „Über die Komödie“63 berichtet, seine Eltern seien angesehene und wohlhabende Bürger im athenischen Stadtteil Kephisia gewesen (den gibt es als „Kifisia“ heute noch). Diese Nachricht, falls sie zutrifft, würde bedeuten, dass Menander nicht für Geld zu schreiben brauchte, anders: dass er schreiben konnte, wie ihm zumute war und unabhängig vom Geschmack des großen Publikums. Der Sohn scheint 342 / 41 v. Chr. geboren, gestorben 292 / 91 – verstummte also kaum über 50 Jahre alt. Ob der Jüngling wirklich seinen Epheben-Dienst, das heißt seine militärische Ausbildung mit anschließendem Grenzwachdienst zusammen mit Epikur ableistete, ist möglich,64 ist vielleicht auch nur eine schlaue Vermutung aufgrund von Anklängen in Menanders Stücken an epikureische Lehren (vgl. Epitr. 1084ff.). Ähnlich steht es mit der Nachricht, er sei mit dem Philosophen Theophrast befreundet gewesen,65 dem Nachfolger des Aristoteles in der Leitung der Schule und Verfasser der „Charaktéres“, übersetzt „Grundformen des Verhaltens“: Das waren dreißig Skizzen menschlicher Schwächen, von denen man einige auch in Menanders Komödien wiederzufinden glaubte und daraufhin ein Freundschaftsverhältnis konstruierte. Vielleicht, aber dass die beiden bedeutenden Männer wirklich befreundet waren, kann gar nicht ausgeschlossen werden. Auch mit dem Aristoteles-Schüler Demetrios von Phaleron, diesem sowohl als Feldherr wie als Politiker und Literat hervorragenden Mann, soll Menander freundschaftlichen Verkehr gepflegt haben, was Arnott für gesichert, Blume für gut möglich hielt. Noch näher an Menanders Kunst führt die Notiz, er habe das Komödienschreiben von Alexis, einem Lustspielverfasser der älteren Generation, gelernt.66
Menanders erstes Stück, die „Orgé“ („Der Zorn“) scheint 317 / 16 aufgeführt worden zu sein, aber auch die Zahl 321 ist überliefert.67 Es folgten nach antiken Angaben noch 107 Stücke, uns sind 97 Titel bekannt, wenn sich hier auch Doppeltitel wie „Der Verhasste oder Thrasonides“68 verbergen mögen. Äußerlichen Ruhm, das heißt Preise, brachten ihm nur wenige davon ein, sehr im Gegensatz zu seinem gewaltigen Nachruhm, den zum Beispiel Blume (1998, 17ff.) skizziert.
Es steht zu vermuten, dass es einmal eine Gesamtausgabe der menandrischen Stücke gegeben hat; sicher ist, dass sie im Schulunterricht verwendet wurden, denn sie waren leicht zu lesen. Doch abträglich wird gewesen sein, dass „verknöcherte Wortklauber“ wie der Grammatiker Phrynichos69 an Menanders Griechisch zu mäkeln hatten. Ob dieser Tadel dazu beitrug, dass keine Ausgabe auf uns gekommen ist, können wir nicht mehr abschätzen; jedenfalls sind uns nur Reste auf Papyrus und Pergament überliefert, teils bei Ausgrabungen zutage gekommen, teils beim Abrollen von Mumienhüllen entdeckt. Erleichtert wurde die Rekonstruktion von Handlungsabläufen durch den Fund von Szenenbildern auf Mosaiken, zum Beispiel im „Haus des Menander“ in Mytilene auf Lesbos,70 Bildern, die Augenblicke aus Komödien zeigen und sie auch mittels Beischriften bestimmen. In entsagungsvoller und mühsamer Klein- und Feinarbeit haben Gelehrte seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts Fetzchen um Fetzchen zusammengefügt, bis dann endlich auf einem Papyrus des 3. Jahrhunderts n. Chr. ein so gut wie vollständiges Stück auftauchte, der „Dyskolos“ („Der Unangenehme“).
Bevor wir uns dieser Komödie zuwenden, eine kurze Bemerkung noch zur Aufführungspraxis. Gespielt wurde auf einer Bühne, die gewöhnlich zwei Häuser aufwies, davor stand wohl ein Altar mit Kultbild, Bühnenmaschinen gab es bei Menander nicht. Die sprechenden Schauspieler (es gab deren maximal drei, stumme Akteure gab es zuweilen mehrere) trugen Masken, die typisiert waren; doch an diese Typisierung hielt Menander sich nicht immer: Ein Schauspieler mochte mit der Maske eines Soldaten auftreten, aber dass er deswegen ein grober Klotz sein musste, war nicht gesagt. Das Maskentragen stimmt sehr wohl zu Menanders Art, der zwar sehr fein zu differenzieren wusste, doch nie Individuen zeichnete, zu denen Masken nicht passen würden.71 Durch die Vorgabe nicht sehr zahlreicher Maskentypen72 scheinen die Komödiendichter nicht eingeengt gewesen zu sein. Hinzu kommt etwas, was man aus moderner Sicht ebenfalls für eine Einschränkung halten könnte: das Stereotype der Handlungen.73 Vergewaltigung von freien Mädchen in Festnächten ist eine der üblichen Verwicklungsursachen, Raubzüge mit anschließendem Kinderverkauf eine andere. Aber ganz unerhörte „plots“ hat man nicht erfunden, man blieb im gewohnten Umkreis – warum? Man könnte zu dem Schluss kommen, dass die äußere Handlung überhaupt nicht das war, worein ein Dichter der Neuen Komödie seinen Ehrgeiz setzte. Das war vielmehr, so will es jedenfalls im Falle Menanders scheinen, das eher innere Geschehen, die voreiligen Meinungen, das Gekränktsein, die hinterlistige Geldgier und immer wieder die Demaskierung unlauterer Motive. So vorbereitet gehen wir nun zum Text.