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Ingrid Walter

Der goldene Mantel

F

roh, von zu Hause wegzukommen, verließ sie das Haus und lief mit schnellen Schritten durch den Dreieichpark. Am Parkausgang, in der Nähe des kleinen weißen Pavillons, leuchtete ein Flecken mit Blausternen. Der Anblick beglückte sie und es überkam sie ein Gefühl von Freiheit nach den öden Osterfeiertagen voll Regen und Rumsitzen bei Eltern und Schwiegereltern.

Sie hatte sich vorgenommen in einem Café in der Brückenstraße an ihrem Vortrag für die Volkshochschule zu arbeiten und fuhr mit der Straßenbahn bis in die Textorstraße. Von dort waren es nur noch ein paar Schritte. Die Brückenstraße, mit ihren vielen Läden in den Gründerzeitbauten, kam ihr wie eine kleine Großstadtstraße vor, ähnlich wie man sie im sechsten oder siebten Wiener Bezirk antraf. Sie freute sich, dass sie so schnell dorthin gelangen konnte und ihre Stimmung wurde zusehends besser. In der Straße angekommen, flanierte sie links und rechts an den kleinen Boutiquen entlang, ihren Vortrag vergaß sie dabei für eine Weile. Bei einem Laden auf der linken Seite, dessen Auslagen aussahen wie aus einem 50er-Jahre-Film entsprungen, ja vielleicht wie aus »Frühstück bei Tiffany«, konnte sie nicht widerstehen, nahm die zwei Stufen nach oben und öffnete die Tür.

Kaum traute sie sich über den schönen alten Parkettboden zu laufen, denn das machte auffällig klack, klack und sie wollte doch am liebsten unbemerkt nur für sich schauen. Doch schon begrüßte die Betreiberin sie mit einem schelmischen Lächeln. Die dunklen Haare charmant nach oben gezwirbelt, sah diese trotzdem nicht unnahbar aus.

»Ich wollte mich nur einmal umsehen.«

Die Ladenbesitzerin nickte und ließ sie in Ruhe. Es gab Kleider in schönen klaren Farben, Röcke und hübsche, weibliche Oberteile. Alles sehr edel und eigentlich etwas zu teuer für ihre Verhältnisse.

Schon wollte sie den Rückzug antreten, da schimmerte auf der Stange direkt am großen Fenster ein Stoff goldbraun hervor. Er erinnerte sie an die Gemälde von Gustav Klimt und ihr Vortrag kam ihr wieder in den Sinn. Trug nicht Klimts Muse, die Designerin Emilie Flöge, solche Stoffe? Sie betrachtete die Muster genauer, schob die benachbarten Kleidungsstücke zur Seite. Es war ein Mantel mit einer Art Tapetenmuster eingeprägt, dabei schlicht geschnitten wie ein Morgenmantel ohne Kragen. Sie fand ihn prächtig.

»Probieren Sie ihn ruhig einmal an«, sagte die Inhaberin, die sie beobachtet hatte, und lächelte ihr aufmunternd zu.

Sie knöpfte ihn auf, nahm ihn behutsam vom Bügel. Der weiche, fließende Stoff war innen hell gefüttert. Der goldbraune Ton passte sehr gut zu ihrem hellen Teint und dem blonden Haar – und sogar zu ihren Schuhen, ein paar Schnürstiefeln, die sie eigentlich schon ein bisschen abgetragen fand. Ebenso die Jeans. Aber mit dem Mantel bekamen ihre alten Sachen auf einmal einen mondänen Glanz. Die Betreiberin kam zu ihr heran, um behilflich zu sein. Sie nahm den Gürtel, legte ihn um sie herum, schnürte ihn, band eine einseitige Schleife, ordnete die Falten an der Rückseite. Sie sahen sich beide im Spiegel an. Der Mantel stand ihr hervorragend.

Eigentlich wollte sie überhaupt keinen Mantel kaufen, der Preis überstieg ihren momentan vorhandenen Kontostand. Natürlich hatte sie ihn schon heimlich erspäht.

»Wie lässig er zu ihrer Jeans und den Stiefeletten aussieht«, sagte die Ladenbetreiberin und freute sich sichtlich.

Ohne einen ersichtlichen Grund versetzte der Mantel sie in Hochstimmung und sie dachte bei sich: Wieso soll ich mir eigentlich nicht einmal so ein schönes Stück leisten? Mein ganzes Leben arbeite ich – und jedes Schulmädel kauft sich heutzutage teure Designerklamotten. Dieser Mantel war etwas ganz Besonderes und seine Pracht schien auf sie abzustrahlen. Der Schalk packte sie und sie wollte die Betreiberin plötzlich überraschen, ihr zeigen, dass sie eine Frau von Welt war. In einem Anflug von plötzlichem Wahnsinn sagte sie also:

»Er gefällt mir« und fügte nach einer Kunstpause hinzu: »Ich nehme ihn.« Nun strahlten beide Frauen.

»Er kleidet Sie wirklich sehr. Sie werden es nicht bereuen«, fügte die Inhaberin hinzu.

Kaum hatte sie den Mantel abgelegt, verschwand der Zauber. Sie sah wieder ganz unscheinbar aus und kam sich sogar pummelig und profan vor. »Ich brauche ihn also, diesen Mantel«, sagte sie sich. Es ging nicht mehr ohne. Und schließlich war da der Vortrag in der Volkshochschule. Da würde sie ein schlichtes schwarzes Kostüm tragen. Wie schön wäre es, diesen prächtigen Mantel darüber zu ziehen. Das wäre die rechte Einstimmung für die Zuhörer.

Ihr Entschluss, den Mantel zu erwerben, stand fest. Die Ladenbesitzerin faltete den kostbaren Stoff sorgsam zusammen und ließ ihn in eine edle Papiertüte gleiten, die schon allein etwas hermachte. »Ich muss völlig verrückt sein«, dachte sie, zückte ihre EC-Karte und tippte die Nummer ein. Es funktionierte und sie lächelte zufrieden.

Mit der vornehmen Tüte verließ sie den Laden und schritt beschwingt hinüber ins Brückencafé. Sie betrat den schönen hohen Raum und wählte einen großen Ohrensessel an einem kleinen runden Tisch. An der Theke bestellte sie einen Espresso und sah sich die Torten an. Eine mit einer großen, weißen Baiserhaube war ganz unwiderstehlich. »Was soll’s?«, dachte sie. »Irgendwann, wenn es etwas wärmer ist, werde ich mir dieses Stück wieder abtrainieren.« Während des langsamen Verspeisens der Torte sah sie sich immer wieder um. So viele liebevolle Details, die kleinen weißen Säulen, die grüne Tapete und das leicht verwohnte Mobiliar, Wiener Kaffeehausstühle. Es war alles so gar nicht von hier.

Die reizende Kellnerin brachte eine Wolldecke für ihre Knie, während sie in einem mitgebrachten alten Notizbuch blätterte, auf der Suche nach bestimmten Passagen, die sie in ihren Vortrag über die Wiener Moderne einarbeiten wollte. Hin und wieder schrieb sie einen Satz auf, googelte im Mobiltelefon nach Emilie Flöge und plötzlich war sie sich sicher, dass ihr Vortrag ein Erfolg werden und sie ihn immer weiter ausarbeiten würde. Sie würde sich spezialisieren und ihn irgendwann in Wien vor großem Publikum zum Besten geben, in der weißen Klimt-Villa in der Feldmühlgasse. Sie sah alles direkt vor sich.

Kurz entschlossen legte sie die Wolldecke zusammen, streifte ihre unscheinbare Funktionsjacke ab, nahm den Mantel aus seiner schönen Tüte, legte ihn sich um die Schultern. Leicht schlüpfte sie hinein und zog sich die Lippen nach. Danach erhob sie sich, um an der Theke zu zahlen. Die schnöde Jacke ließ sie in die Tüte gleiten und einfach neben dem Ohrensessel stehen, während sie das Café verließ.

Frankfurter Einladung 2

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