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Anne Stellberger

Wellen, die Brücken schlagen

»L

ook around, look around at how lucky we are to be alive right now …«

»Mit wem redest du?«

Ich drehte mich um und sah in das belustigte, aber wenig überraschte Gesicht meiner Freundin Mara. »Ich rede nicht, ich singe.«

»Was singst du denn diesmal?«, fragte sie mit einem leichten, ironischen Augenrollen.

»Na, Hamilton!«

»Okay, also wie immer. Komm, wir suchen uns eine Stelle ohne Vogelkacke«, sagte Mara.

Sie nickte erst auffordernd in die Richtung von Noah und Jana, die bisher nur leise grinsend der Unterhaltung gefolgt waren, und machte dann eine Kopfbewegung Richtung Mainufer, ein Stück weiter weg von der Brücke. Schweigend gingen wir nebeneinander her. Der Weg, auf dem wir liefen, war asphaltiert und strahlte Wärme ab. Auf der linken Seite des Weges lagen Leute auf Decken oder einfach im Gras, unterhielten sich oder hatten die Augen geschlossen. Die Bäume schützten sie vor der heißen Sonne. Heute war keine Wolke am Himmel zu sehen. Jogger liefen in unterschiedlichem Tempo an uns vorbei. Ich fragte mich, wo sie hinliefen, ob sie vor etwas wegliefen. Auf der anderen Seite des Ufers standen Hochhäuser. Im Fensterglas der oberen Etagen spiegelte sich die Sonne. Ein Stück weiter lag ein Boot mit einem Restaurant darauf am Ufer. Die Menschen darauf tranken Wein und redeten laut.

Ich trug meinen schwarzen Rock mit Knopfleiste und ein dünnes T-Shirt, so warm war es inzwischen geworden. Ich liebte den Sommer, den Sommer am Main, am Eisernen Steg. In diesem Jahr saßen wir oft hier. Wir deckten uns beim Rewe im MyZeil mit Bier und Snacks ein und schlenderten dann, vorbei an umhereilenden Menschen, hinüber auf die andere Seite des Flusses, weg von der Geschäftigkeit der Stadt. Hier war es trotz der vielen Leute ruhiger. Die Luft fühlte sich besser an. Sie roch seltsam nach Freiheit.

»Hey!«

Wieder drehte ich mich beim Klang der vertrauten Stimme um. Ungefähr fünf Meter hinter mir saßen meine lachenden Freunde mit baumelnden Beinen auf dem Uferrand. Sie schauten mich mit einer Mischung aus Verwunderung und Amüsement an und hoben mit fragenden Blicken die Schultern. Ich war einfach weitergelaufen, ohne auf die Anderen zu achten.

»Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken?«, fragte Noah, während ich mich auf den von der Sonne aufgeheizten Steinboden neben Mara plumpsen ließ.

»Ach, Ich freu mich nur«, sagte ich grinsend.

»Worüber?«

»Über alles, euch, die Sonne, das Wasser, das Leben«, erwiderte ich, selbst erstaunt über meine leidenschaftliche Antwort. Noah lächelte mir schelmisch zu. Das Blau seiner Augen glitzerte im Licht der Sonne besonders intensiv. Jana reichte mir ein Bier. Dann drehte sie sich eine Kippe.

»Kann ich mir auch eine drehen?«

»Klaro!«

Wir reichten Filter, Tabak und Papes herum. Ich drehte mir eine Zigarette. Dann zündete ich sie an und inhalierte tief. Ich spürte, wie der Rauch sich in meiner Lunge verteilte. Nachdem ich ihn ausgeblasen hatte, sah ich den Rauchwölkchen beim Aufsteigen zu. Je weiter ich nach oben schaute, desto enger musste ich meine Augen zusammenkneifen, weil die Sonne mich blendete. Also schloss ich die Augen, um sie zu entspannen, saß für eine Weile mit dem Kopf im Nacken da. Ich genoss die Wärme, die sich auf meinem Gesicht und meinem Haar ausbreitete. Ich lauschte den Geräuschen des Mains. Die Enten gackerten den Nilgänsen zu. In solchen Momenten verschlug es mich gedanklich immer in meine Kindheit. Die Wärme und die sanften Wellen, die die vorbeifahrenden Schiffe auf dem grauen Wasser erzeugten, trugen mich zurück in eine Zeit, in der alles unkomplizierter war.

Und ein Stückchen flussabwärts, nach Höchst. An die Wörthspitze, dort wo die Nidda in den Main fließt, dorthin, wo dieser großartige Spielplatz direkt am Wasser liegt. Ich erinnerte mich noch genau, wie ich mit meinem großen Bruder herumtobte. An unsere Mama, die immer Pflaster mit lustigen Motiven dabeihatte – am liebsten hatte ich die mit Dinos darauf. Wenn ich hinfiel und mit den Knien auf den heißen Asphalt aufschlug, fing ich ohne Zögern an zu weinen, obwohl der Schmerz noch nicht im Gehirn angekommen war. Sobald meine Mutter die Wunde mit ein wenig Wasser gereinigt, mir ein Pflaster auf die Stelle geklebt und den Schmerz weggepustet hatte, hörte ich genauso plötzlich wieder auf zu weinen und rannte zu meinem Bruder, bereit für das nächste Abenteuer.

Laute Hip-Hop Musik ließ mich aus meinen Gedanken aufschauen. Ich lächelte den anderen zu, die in eine Unterhaltung über das neuste Buch von Magarete Stokowski versunken waren. Ich betrachtete die Umgebung genauer. Mir fiel auf, dass man auf dieser Seite des Flusses viel weniger Anzüge, ernste Gesichter oder Hektik wahrnahm als auf der anderen Seite. Als ob die Männer und Frauen in Businessaufzug sich sowohl ihrer konservativ aussehenden Kleidung wie auch ihrer schlechten Laune entledigten und einen Schritt langsamer gingen, sobald sie die Brücke über den Main mit den vielen Schlössern an den Verstrebungen überquert hatten. Vielleicht hatte es mit der Liebe zu tun, die diese Schlösser ausstrahlten. Schließlich trugen sie die Liebe von tausenden Paaren in sich, die sich hier ewige Treue geschworen hatten.

Auf einmal kamen ein junger Mann und eine junge Frau auf uns zu. Als sie uns erreicht hatten, fragten sie, ob sie sich dazu setzen dürften.

»Ja, klar«, antwortete ich ein bisschen überrascht.

Ich rückte ein Stück näher an Mara. Der Mann setzte sich direkt neben mich. Er streckte die rechte Hand in meine Richtung.

»Hi, ich bin Finn«, sagte er und schaute mir in die Augen. Seine waren grün. Nachdem ich seine Hand ergriffen und geschüttelt hatte, winkte er fröhlich in die Runde. Wir stellten uns einander vor, die Frau hieß Emily. Noah verteilte Bier an alle.

Ich war mit Finn sofort auf einer Wellenlänge. Wir redeten über unsere Zukunftspläne und was uns gerade so beschäftigte. Er erzählte mir von seiner Familie, seiner Ex-Freundin, von der Trennung seiner Eltern. Ich war erstaunt über seine Offenheit.

»Wow, klingt kompliziert … Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie viel einfacher es war, als man nur ein Pflaster aufs Knie und eine Umarmung bekommen hat, damit die Probleme verschwinden …«, und musste lachen.

Finn lachte mit und strahlte dabei eine Ruhe aus, die auf mich überging.

»Ja, ich weiß, was du meinst«, antwortete er, während mein Blick über den Main schweifte.

In diesem Augenblick, auf meiner Seite des Flusses kam es mir beinahe genauso leicht vor wie damals.

Frankfurter Einladung 2

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