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Bernhard Bauser

Mitten am Rande der Stadt

Z

wischen-Ort. Bauvergessenes Land. Verwertungsniete. Ins Zeitenloch gefallen. Anschlüsse verpasst. Vorhanden durch Verwirrung: So ein Ort ist der Heiligenstock. Mein Ort.

Der Körper verbogen, Rücken in Form des Autositzes. Die Gedanken im Erledigungsmodus. Meine Hände ergreifen die Luft, als gälte es, sie auszupacken. Füße, die unsicheres Terrain erkunden. Ich schaue mich um, winde und strecke mich. Geht’s hier weiter?

Am Rande der Stadt auf dem Berger Rücken an der Friedberger Landstraße, stadtauswärts Richtung Bad Vilbel, mit dem Auto muss man über den Rücken fahren und dann per U-Turn wieder zurück. Beim Alten Zollhaus führt in westlicher Richtung ein Pfad von der Straße weg. Ein Freigelände, das keinen Namen als Park, keinen Ruhm, keinen folkloristischen Anspruch besitzt. Weggabelungen, die auf keiner Landkarte verzeichnet sind. Das Gras ist struppig, mal niedergetreten, hier und da von Schafen abgeweidet. Die Birnen-, Kirschen- und Stechapfelbäume gehorchen keinem Bepflanzungsplan. Der Pfad führt unbeirrt an Hagebuttengestrüpp, Felddisteln, wildem Hafer entlang, geradeaus über den Hügelrücken. Brombeerranken wuchern, Trampelpfade zerfächern das Gelände. Unter den Dornen Bauschuttablagerungen, zerbrochene Fliesen, zerrissene Plastiktüten, zerknüllte Servietten. Ich habe mich schon bald auf die Wildwiese driften lassen. Auf dem Pfad, er heißt Eselsweg, durchqueren Radfahrer in Trupps oder einzeln das Gelände, bald fällt es sacht in Richtung Preungesheim ab. Die Radler schau ’n geradeaus und senken ihre Körper zu den Lenkern.

Nach Südwesten ragt der Ginnheimer Spargel fern und einsam über einem, zur Abwechslung beackerten, Feld auf. Nach Westen der Hochtaunus, Feldberg und Altkönig. Westlich ist auch der Ort von der A661 begrenzt, nicht sichtbar in einen Graben versenkt, die ihn mit immerwährendem Verkehrsrauschen überzieht. Nach Norden breiten sich sacht die Wetterau-Ebene und Bad Vilbel aus.

Von 1926 bis 1967 war hier ein Radiosender beheimatet. Hier sendeten der Reichssender Frankfurt, das amerikanische Radio Frankfurt und ab den Fünfzigern der Hessische Rundfunk. Anfangs waren die Radiowellen so stark, dass die Kleingärtner der Nachbarschaft ihre Glühbirnen damit betrieben. Nach dem Krieg schossen die Freiheitsradionauten Jazz und politische Aufklärung per Mittelwelle in die Sowjetzone. 1967 wurde in Weiskirchen ein geeigneterer Standort gefunden. Die Bauten und Gebäude des Senders verfielen, bis heute, wo sie Kulissen für Lagerfeuer und Mountainbiketrails bilden.

Körper geradegeatmet, Lungenflügel breiten sich aus, die Schritte beginnen zu federn. Meine Augen verwandeln sich in Wiesenorchideen, Sommerwolken verwischen Horizonte, das Windwiegen des Geiskrauts zerstreut Gewissheiten. Der Ort nimmt mich auf, orten lasse ich mich nicht mehr.

Seit 2003 ist die Brache Heiligenstock ins Grün-Gürtel-Konzept der Stadt Frankfurt aufgenommen, als »Lernstation«. Vogelflug und Wolkenzug. Bienensummen und das Fächeln der Lüfte kann man hier studieren. Ein Ort, an dem noch nicht alles verstanden, nicht jeder Stein untersucht und jede Mauer eine definierte Geschichte hat. Hier haust das Geheimnis. Wer pflanzte die Obstbäume? Was bedeuten die Metallplatten auf dem Boden? Wer grub das Loch in die Wiese? Hier hocken sich Jugendliche ungestört ins Gras, sehen dem Sonnenuntergang zu, trinken Bier und rauchen ein Pfeifchen. Pfade enden grundlos, ein Stück Feld ist zertrampelt und man weiß nicht warum.

Ich stolpere weiter, will nicht mehr Bescheid wissen. Möchte mich ins Ungefähre verlieren. Denn da beginnen die Träume, entstehen Ideen. Eine Bank braucht keinen Namen und ein Busch kein Umweltzertifikat, um die Seele mit süßem Nichtstun zu nähren. Die Stadtpolitik hatte noch ein Einsehen gegen den Bebauungsdruck, der geplante »Wohnpark Heiligenstock« entstand nicht. Unscheinbares Königsland des Sendens und Empfangens, der Nutzlosigkeit und des Verschwindens.

Die Ruine der ehemaligen Sendezentrale ist heute eine dreidimensionale Graffitileinwand. Auch die mannshohen Betonrampen, an denen die Trossen zur Befestigung des Sendemasts hingen, tragen Zeichen und Aufschriften.

1984, als wir dachten, Orwell ist nah, radelte ich quer durch die staubige Stadt, ich kam aus Hausen, zum ersten Mal empfing ich dann die exakte, ungenaue Botschaft aus Erde, Luft und Himmel, die hier ein magisches Dreieck bilden. Weder Grün-Gürtel noch A661 existierten damals, nicht jede verlassene Mauer war ein Graffiti. Auf dem abfallenden Verputz und den roten Ziegeln der verfallenden Sendezentrale prangten einzig ein paar Pfeile, ein Dreieck und die Worte: VENI CREATOR SPIRITUS. Alles in Weiß.

Ein Mückenschwarm durchrieselt mich. Eine Lerche steht und zwitschert über der Sendezentrale. Meine Hand vor dem Himmel, nicht sichtbar, nur ein Dreieck aus Regenbogenfarben zwischen den Wolken, das sich gleich wieder auflöst. Lag da einer im Gras? Wohl die Sonne, die einen Kirschlaubschatten warf.

Frankfurter Einladung 2

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