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2.2 Möglichkeiten einer strukturellen Integration des Spannungsverhältnisses
ОглавлениеDie Notwendigkeit, Soziale Arbeit in die psychotherapeutische Versorgung zu integrieren, ist zwar für viele Arbeitsfelder nicht gesetzlich verankert, dennoch gibt es aber oft Möglichkeiten der Integration. In der psychosomatischen Akutversorgung z. B. ist der sozialarbeiterische Anteil nicht so stark verankert wie im Bereich der stationären psychiatrischen Versorgung (vgl. Psych-PV: Deutscher Bundestag, 1998), aber es gibt durchaus Richtlinien, auf die man sich beziehen kann. Die allgemeine gesetzliche Verpflichtung von Krankenhäusern, ihren Versicherten soziale Betreuung und Beratung anzubieten und die poststationäre Nachsorge zu organisieren nach § 112 SGB V (vgl. Becker & Kingreen, 2016), kann auch für den Bereich der psychotherapeutischen Akutversorgung herangezogen werden. Darüber hinaus bietet der zur stationären Versorgung eingesetzte Katalog zur Kodierung von Operationen und Prozedurenschlüssel (OPS) des Deutschen Institutes für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) eine wichtige Grundlage für die Integration von Sozialarbeit in die psychotherapeutische Versorgung.
Sowohl in der Regelbehandlung wie auch bei der psychosomatisch-psychotherapeutischen Komplexbehandlung bei psychischen und psychosomatischen Verhaltensstörungen bei Erwachsenen wird sogar erwartet, dass im Bereich der SpezialtherapeutInnen u. a. SozialarbeiterInnen im Behandlungsteam vertreten sind (DIMDI, 2016, 9-60 bis 9-64). Das Vorliegen von drohenden oder bestehenden psychosozialen Notlagen wird auch als kodier- und abrechnungswürdig benannt. Hierzu zählen nach OPS 9-646 folgende Situationen:
• »Klärung und Regelung gravierender finanzieller Notlagen (z. B. massive Verschuldung in Abhängigkeit von der jeweiligen sozialen Situation des Patienten, Privatinsolvenz oder verlorener Krankenversicherungsschutz)
• Klärung und Regelung bei unmittelbar drohender oder eingetretener Erwerbslosigkeit (z. B. Abmahnung, erfolgte Aussprache der Kündigung)
• Klärung und Regelung der Wohnsituation bei unmittelbar drohender oder eingetretener Obdachlosigkeit (z. B. hohe Zahlungsrückstände, erfolgte Kündigung der Wohnung oder Räumungsklage)
• Klärung und Regelung der Weiterversorgung abhängig betreuter Angehöriger (z. B. Kinder) bei unmittelbar fehlender Versorgung durch Dritte« (ebd.; 9-646).
Die in diesem Zusammenhang auftretenden Leistungen werden in der Regel von SozialarbeiterInnen und SozialpädagogInnen erbracht (»erhöhter Aufwand bei drohender oder bestehender psychosozialer Notlage bei Erwachsenen«; ebd.).
Als weitere richtungsweisende Grundlage für die Einbindung von sozialarbeiterischen Kompetenzen in die stationäre psychotherapeutische Versorgung dient die S3-Leitlinie »Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen« (DGPPN, 2013). Sie greift u. a. alltagsrelevante und soziale Themen auf, die in der Behandlung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen eine wesentliche Rolle spielen. Hierzu zählen die Bereiche Training von Alltags- und sozialen Fähigkeiten, Arbeitsrehabilitation und Teilhabe am Arbeitsleben sowie Wohnangebote für psychisch kranke Menschen. Auch wenn die Leitlinie ihren Fokus sehr stark auf den Bereich der psychiatrischen Versorgung von schwer psychisch kranken Menschen legt, sind die genannten Bereiche der beruflichen Reintegration, der Stärkung der Alltagskompetenzen sowie Fragen der Unterstützung von selbstständigem Wohnen auch in der täglichen Arbeit auf einer psychosomatischen-psychotherapeutischen Station präsent.
Neben diesen vorliegenden Richtlinien, die den Einsatz von Sozialer Arbeit im Bereich der Psychotherapie auf der rechtlichen Ebene stützen, ist es jedoch notwendig, die beiden Disziplinen auch handlungstheoretisch einander anzunähern. Beratende sozialarbeiterische und therapeutische Aufgaben können nicht als einander ausschließend betrachtet werden, sondern weisen eine hohe Überschneidungsfläche auf, die sich interprofessionell hervorragend qualitätssteigernd nutzen lässt (vgl. z. B. für das Feld der Kinder- und Jugendhilfe Gahleitner, 2017; Romanowski & Pauls, 2017). Die gravierenden sozialen Probleme, die häufig mit den psychischen und psychosomatischen Erkrankungen verbunden sind, setzen die betroffenen PatientInnen und BehandlerInnen im Falle des Nichtgelingens der Verbindung sonst oft unter großen Handlungsdruck. Viele der damit verbundenen Herausforderungen scheinen im Rahmen einer Psychotherapie nur schwer lösbar und können zu Chronifizierung beitragen (vgl. für den Bereich der Suchtbehandlung eine exemplarische Falldarstellung bei Lammel & Funk, 2017).
PsychotherapeutInnen in ihrer täglichen Arbeit Handlungsstrategien zu vermitteln, um mit gravierenden sozialen Problemen ihrer PatientInnen einen fachlich adäquaten Umgang zu finden, ist daher von einer großen Bedeutsamkeit. In der psychotherapeutischen Versorgung zeigt sich jedoch, dass weder die Ausbildungsinhalte noch die beruflichen Rahmenbedingungen ärztlicher oder psychologischer PsychotherapeutInnen darauf ausgerichtet sind, hinreichende Kompetenzen zu erwerben, um den komplexen sozialen Problemen hochbelasteter PatientInnen angemessen begegnen zu können. Drei einander ergänzende Strategien scheinen vor diesem Hintergrund von hoher Relevanz, um sozialen Krisen von betroffenen PatientInnen adäquat zu begegnen: (1) die Steigerung der Sensibilität von PsychotherapeutInnen für das Erkennen von ernsthaften sozialen Krisen und der Kompetenzen in deren Begleitung, (2) die Verbesserung der Zusammenarbeit mit der Klinischen Sozialarbeit und (3) die Integration von sozialtherapeutischen Konzepten in einen psychotherapeutischen Gesamtbehandlungsplan (vgl. Bösel, Siegfarth, Schauenburg, Nikendei & Ehrenthal, 2014; Bösel, 2017)
In den nun folgenden Kapiteln im Abschnitt B und C wird vertiefend auf die genannten Strategien eingegangen. Abschließend kann zudem konstatiert werden, dass es im Bereich der Ausbildung von PsychotherapeutInnen in den letzten Jahren erste Ansätze gibt, dem Aspekt der sozialen Faktoren und den notwendigen Handlungsstrategien im Umgang mit ihnen einen höheren Stellenwert einzuräumen. So gibt es z. B. im Masterstudiengang Klinische Psychologie und Psychotherapie am Psychologischen Institut der Universität Kassel ein verpflichtendes Blockseminar zu dieser Thematik, und seit 2012 ist hierzu eine Lehrveranstaltungsreihe fester Bestandteil im Rahmen der Psychotherapieausbildung am HIP der Uniklinik Heidelberg. Es lässt also hoffen, dass die Professionen sich in der Zukunft weniger in Abgrenzung als in Zusammenarbeit definieren.