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Einleitung
ОглавлениеPsychische Gesundheit wird neben psychischen und körperlichen Faktoren heute auch und vor allem durch die soziale Lebenslage der Menschen im gesellschaftlichen Wandel beeinflusst. Dies ist unumstritten, ebenso die Tatsache, dass die Stellung des Menschen in der Gesellschaft und die damit verbundenen unterschiedlichen sozialen Lebensbedingungen schon immer einen besonderen Einfluss auf die Entstehung von physischen und psychischen Krankheiten hatten und haben. Bereits vor über 100 Jahren wurden daher sowohl im Bereich der Medizin als auch in der Sozialen Arbeit geeignete Konzepte der Sozialen Therapie gefordert, u. a. von Weizsäcker, Krehl, Richmond und Salomon. Die bekannt gewordene Studie zu den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit auf die BewohnerInnen des Dorfes Marienthal zeigte bereits in den 1930er-Jahren, dass soziale Probleme wie der Verlust von Einkommen, Sozialstrukturen und Veränderungen des Selbstbildes komplexe psychische Beeinträchtigungen zur Folge haben können (Jahoda, Lazarsfeld & Zeisel, 1933/2014). Auch ohne zuvor bestehende Vulnerabilität können soziale Schwierigkeiten schwere seelische Erkrankungen auslösen (Montgomery et al., 1999).
Die Wechselwirkung von sozialen Problemen und psychischen Erkrankungen funktioniert jedoch auch umgekehrt. Eine seelische Krankheit kann auch ein zusätzlicher Risikofaktor in der Bewältigung von sozialen Schwierigkeiten sein bzw. diese u. U. sogar verstärken (vgl. Bösel, Siegfarth, Schauenburg, Nikendei & Ehrenthal, 2014; Bösel, 2017). Insgesamt betrachtet wird der Zusammenhang zwischen sozialen Problemen und seelischen Erkrankungen immer relevanter. Die Auswertung der Fehltagestatistik der gesetzlichen Krankenkassen z. B. zeigt, dass psychische Erkrankungen an Position drei der Länge der Arbeitsunfähigkeitstage stehen und eine weitere Zunahme zu erwarten ist (vgl. Gesundheitsreporte 2014: DAK, 2014; TK, 2014). Nach Auswertung der DAK stieg die Anzahl der Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen von 2012 bis 2013 um 4,6 % auf 212,8 Tage pro 100 Versicherte. Untersuchungen der Techniker Krankenkasse (TK, 2014) zeigten, dass psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen bei Männern 187 Tage pro 100 Versicherte betrugen und damit von allen Erkrankungen an Position drei lag. Bei den weiblichen Versicherten ergab die Statistik in der Krankheitsgruppe mit 315 Tagen pro 100 Versicherte 2013 die meisten Fehltage (ebd., S. 90).
Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen verschiedener Bevölkerungsgruppen zeigen ebenfalls zahlreiche Zusammenhänge von sozialen Problemlagen und seelischer Erkrankung auf. Die Studie von Schubert und KollegInnen (2013) zeigt z. B., dass mehr als ein Drittel der Menschen, die Arbeitslosengeld II beziehen, von einer seelischen Erkrankung betroffen sind. Aber nicht nur Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von staatlichen finanziellen Hilfen führen zu einer Zunahme von Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund psychischer Belastungen. Fehlbeanspruchung, zunehmende Arbeitsverdichtung oder auch erhöhte Anforderungen an flexible zeitliche und inhaltliche Arbeitsbedingungen sind weitere Faktoren, die im Zusammenhang mit erhöhten Arbeitsunfähigkeitszeiten stehen (vgl. Oppolzer, 2010; Schubert et al., 2013; Bösel, (i. V.). In diesem Zusammenhang ist zu benennen, dass Menschen mit geringerer beruflicher Stellung häufig einer hohen physischen und psychischen Belastung ausgesetzt sind. In den geringer qualifizierten Berufsgruppen bestehen weniger Handlungsspielräume, Arbeitsbedingungen zu verändern, auch gibt es weniger Möglichkeiten der Weiterqualifikation und eine steigende Bedrohung, den Arbeitsplatz zu verlieren.
Zusätzlich können geringere persönliche Ressourcen, wie eingeschränkte Problemlösungskompetenzen, geringer Selbstwert und negative Zukunftserwartungen sich ungünstig auf die Gesundheit auswirken (vgl. Ducki, 2006; Bamberg, Busch & Ducki, 2003). Eine Reihe internationaler Untersuchungen zeigt seit vielen Jahren auf, dass psychosoziale Faktoren die wichtigsten Mediatoren zwischen psychischer wie körperlicher Gesundheit und materieller Benachteiligung darstellen (vgl. u. a. WHO, 2001). Auf diese Weise kristallisiert sich als größter Einflussfaktor aller erfassten gesundheitlichen und sozialen Probleme weltweit soziale Ungleichheit heraus. Mangel an Respekt, Wertschätzung, Ansehen und sozialer Einbettung sind offenbar gewichtige Faktoren mit negativem Einfluss auf Gesundheit und Lebenserwartung (Wilkinson & Pickett, 2010). Das »abgehängte Prekariat« leidet unter der Exklusion nicht nur durch Armut, sondern diese geht – das belegen zahlreiche Untersuchungen (vgl. Franzkowiak, Homfeldt & Mühlum, 2011; Homfeldt & Sting, 2006) – mit gravierenden gesundheitlichen Risiken einher, denen das aktuelle Gesundheitssystem nicht gewachsen ist (vgl. Hanses, 2007).
Die Bearbeitung von sozialen Problemlagen hat daher auch einen großen Einfluss auf das Gelingen von psychotherapeutischen Behandlungsprozessen bzw. macht diese teilweise erst möglich (Bösel et al., 2014; Bösel, 2017, i. V.). Die Praxis zeigt, dass gravierende soziale Probleme nicht nur betroffene PatientInnen, sondern auch BehandlerInnen häufig unter großen Handlungsdruck setzen. Viele der damit verbundenen Herausforderungen scheinen im Rahmen einer Psychotherapie nur schwer lösbar. Chronifizierungen sind die Folge. Eine Möglichkeit des Umgangs mit diesen Problemen liegt in der frühzeitigen Einbindung sozialarbeiterischer Kompetenzen in den Gesamtbehandlungsplan. Dafür bedarf es des Wissens um Möglichkeiten und Grenzen der (Klinischen) Sozialarbeit im Rahmen und in Zusammenarbeit mit der Psychotherapie. Aus dem Wissen heraus, dass bisher die Ausbildungsinhalte und auch die berufliche psychotherapeutische Praxis wenig auf die Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit sozialen Problemen ausgelegt war, soll der vorliegende Band einen grundlegenden Einblick in die Bedeutung der Einbeziehung von sozialarbeiterischen Kompetenzen in den psychotherapeutischen Prozess und die interprofessionelle Zusammenarbeit mit dem Bereich der Sozialen Arbeit geben.
Den Herausgeberinnen erscheint es an dieser Stelle wichtig, die Notwendigkeit und die Bereicherung der Zusammenarbeit für beide Fachgebiete deutlich zu machen und damit auch eine Verbesserung des Verhältnisses der Professionen zu bewirken – zugunsten der gemeinsamen KlientInnen und PatientInnen. Dafür werden die Grundlagen von Diagnostik und Intervention der Klinischen Sozialarbeit sowohl theoretisch als auch anhand von verschiedenen Praxisfeldern vermittelt. In Teilen sollen PsychotherapeutInnen sich dadurch angeregt fühlen, einzelne soziale Interventionen in ihre Arbeit zu integrieren, zum anderen soll das Feld der Sozialen Arbeit, insbesondere der Klinischen Sozialarbeit, in seinem ganzen Umfang an PsychotherapeutInnen vermittelt und ihnen darüber für eine gelingende interprofessionelle Zusammenarbeit verdeutlicht und ans Herz gelegt werden.
Das Buch ist zu diesem Zweck in drei Bereiche unterteilt. Im ersten Abschnitt liegt der Schwerpunkt auf der Erläuterung der Schnittstellen der Sozialen Arbeit und der Psychotherapie. Einleitend erläutert Helmut Pauls in seinem Artikel »Das biopsychosoziale Modell im Kontext sozialer Mitbehandlung« die Notwendigkeit eines multiprofessionellen biopsychosozialen Gesundheitsförderungs- und Krankheitskonzeptes. Das biopsychosoziale Modell gibt eine Anleitung, wie Leiden und Krankheit auf verschiedenen Integrationsebenen in der Behandlung des Einzelfalls im Zusammenwirken der sozialen Lebenslage, individueller Lebensweisen und Lebenskrisen sowie krankheitsbedingter Funktionsverluste angegangen werden können. Für die Intervention im Sinne sozial sensitiver psychotherapeutischer Behandlung bedeutet dies, soziale Prozesse mit psychischen bei der Aufgabenbewältigung zu synchronisieren, d. h., im Rahmen einer ganzheitlichen Diagnostik einen integrativen biopsychosozialen Behandlungsplan zu entwickeln. Der Beitrag plädiert für ein multiprofessionelles biopsychosoziales Gesundheitsförderungs- und Krankenbehandlungskonzept, in dem Medizin, Psychiatrie, (Klinische) Sozialarbeit und Psychotherapie und auch die Pflege einen selbstverständlichen Platz einnehmen.
Maren Bösel, Silke Birgitta Gahleitner und Helmut Pauls gehen im darauf folgenden Beitrag »Soziale Arbeit und Psychotherapie – ein schwieriges, jedoch auch fruchtbares Verhältnis« auf die Entwicklung und den aktuellen Stand der Zusammenarbeit von Sozialer Arbeit und Psychotherapie bzw. die notwendige Verknüpfung des Sozialbereichs und Gesundheitsbereichs ein und zeigen dabei Grenzen und Potenziale auf. Basierend auf dem vorangegangenen Beitrag wird deutlich, dass eine ernsthafte Anwendung des biopsychosozialen Modells nicht bedeuten kann, die drei Integrationsebenen nur lose nebeneinander bestehen zu lassen oder eine Ebene durch eine andere zu ersetzen, sondern alle drei in der Versorgung zu verbinden, d. h., in ihrer wechselseitigen Verflechtung und Wechselwirkung zu diagnostizieren und ggf. interdisziplinär und kooperativ zu behandeln. Dafür jedoch benötigt es gemeinsame Wissensbestände unter den verschiedenen Disziplinen und Professionen, zu denen der vorliegende Artikel einen Beitrag leisten soll.
Der erste Bereich wird abgeschlossen mit einem Beitrag von Dario Deloi, Helmut Pauls und Gernot Hahn, die sich in ihrem Beitrag »Klinische Sozialarbeit und Sozialtherapie – Expertise Sozialer Arbeit in der Behandlung von Menschen mit und in sozialen und gesundheitlichen Multiproblemlagen« mit den Möglichkeiten und Grenzen der Sozialtherapie als Intervention in der Behandlung von Menschen mit und in sozialen und gesundheitlichen Problemlagen auseinandersetzen. In der Sozialtherapie realisiert sich die soeben genannte Forderung, KlientInnen und PatientInnen nicht versäult aus den jeweiligen Professionskulturen heraus zu begleiten und zu behandeln, sondern in der Versorgung auf einem hohen Qualitätsniveau zu verbinden, d. h., in ihrer wechselseitigen Verflechtung und Wechselwirkung sowohl in der Diagnostik wie auch in der Intervention zusammenzuarbeiten. Dazu bedarf es jedoch dezidierter Kenntnisse im Bereich der Netzwerkarbeit und Kooperation, die häufig in ihrem Ausmaß an Kompetenzanforderungen und zeitlichem Aufwand unterschätzt werden.
Der zweite Abschnitt des Buches erläutert zentrale Aspekte einer psychosozialen Diagnostik und Intervention. Einführend gibt Maren Bösel in einem sehr praxisorientierten Beitrag »Ausgewählte soziale Problemlagen – Basiswissen für Psychotherapeuten« wichtige Informationen zur Erkennung von sozialen Problemlagen in der ambulanten und stationären Psychotherapie und erläutert mögliche Handlungsstrategien für PsychotherapeutInnen. Deutlich wird dabei: In der klinischen Arbeit ist es wichtig, das Angebot der sozialarbeiterischen Beratung in die Diagnostik und Behandlung früh einzubeziehen. Die Minimierung akuter psychosozialer Probleme fördert die »Psychotherapiefähigkeit« der PatientInnen, unter Umständen ermöglicht sie diese sogar erst. Im Beitrag werden häufige soziale Problemsituationen beschrieben und die Möglichkeiten der vorläufigen Intervention durch PsychotherapeutInnen erläutert. Es wird aufgezeigt, wo sich PsychotherapeutInnen bei Bedarf über sozialrechtliche Sachverhalte informieren können und an welche Beratungsstellen PatientInnen verwiesen werden können. Über diesen Beitrag soll angehenden PsychotherapeutInnen ermöglicht werden, zentrale soziale Problemlagen mitzudenken, zu bearbeiten oder aber interprofessionell Lösungen einzuleiten.
Im darauf folgenden Beitrag »Die Bedeutung von Arbeitsbündnis, Realitätsprüfung und Hilfe zur Selbsthilfe in der sozialtherapeutischen Beratung der stationären Psychotherapie« beschreibt Maren Bösel die Bedeutung des Arbeitsbündnisses in der sozialtherapeutischen Beratung von PsychotherapiepatientInnen als wichtigen Baustein in der Bewältigung von psychosozialen Problemlagen. PatientInnen verbinden insbesondere mit einer stationären Behandlung oftmals den Wunsch, von den sozialen Alltagsproblemen Abstand zu bekommen. Soziale Problemlagen von PatientInnen sind jedoch in der Regel mit einer Reihe von umweltbedingten, sozioökonomischen und gesellschaftsstrukturellen Rahmenbedingungen und Anforderungen verbunden. Unterschiedliche Ausprägungen existenziellen Drucks (z. B. durch die Notwendigkeit, den Lebensunterhalt zu bestreiten, Gefährdung von Einkommen, drohende Sanktionen von Ämtern bei fehlender Mitwirkung) führen dazu, dass auch der Grad der Freiwilligkeit, sich in Beratung zu begeben, sehr unterschiedlich ist. Der Aufbau einer tragfähigen Beziehung ermöglicht im Verlauf des Beratungsprozesses jedoch auch die Konfrontation der PatientInnen mit problembehafteten Anteilen. Dabei sind jedoch strukturelle Rahmenbedingungen zu beachten, die diesen Aufbau verkomplizieren können.
Im anschließenden Beitrag »Psychosozial und interdisziplinär verstehen und handeln: Wie geht denn das konkret?« erläutern Silke Birgitta Gahleitner und Yvette Völschow« anhand einer Fallvignette, wie psychosoziales Verstehen und Handeln auf interdisziplinärer Ebene stattfinden kann. Insbesondere in sog. Hard-to-reach-Fällen stellt sich diese Zusammenarbeit als konstitutiv für eine angemessene Qualität der Behandlung heraus. Die weitreichenden Belastungen solcher und ähnlicher Biografien stellen psychosoziale Fachkräfte vor große Herausforderungen. Werden KlientInnen vom Hilfesystem jedoch adäquat unterstützt, kann ihre Überlebenskraft und -kreativität sehr konstruktive Kräfte entfalten. Vorgestellt werden professionsbegründete Prinzipien diagnostischen Fallverstehens und ein bereits bewährtes Modell für die Therapie, Beratung und Begleitung von traumabetroffenen Frauen, welches die verschiedenen Professionen in der gemeinsamen Arbeit an Hard to reach-Fällen zusammenführt und gelungene Kooperation möglich macht.
Einen Überblick zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Psychotherapie und Sozialer Arbeit in der Arbeit mit Ressourcen gibt Günther Wüsten in seinem Beitrag »Die Arbeit mit Ressourcen – eine Präzisierung psychosozialer Perspektiven«. In der Unterstützung und Hilfe bei sozialen Problemen geht es oft um das Erschließen von Ressourcen. Der Autor stellt ein Modell vor, das sich gut eignet, eine biopsychosoziale Perspektive zu öffnen. Im Vordergrund steht die Frage, inwieweit es einem Individuum gelingt, grundlegende Bedürfnisse in seinem Lebensführungssystem in den unterschiedlichen sozialen Systemen zu verwirklichen. Unter der sozialtherapeutischen Betrachtungsweise geraten als Folge auch die sozialen Bedingungen, insbesondere Ressourcen, in den Blick. Der Zugang zu sozialen Ressourcen bestimmt wiederum nicht nur das Ausmaß realisierter Partizipation, sondern auch das Ausmaß möglicher Gesundheit sowie die zu erwartenden Lebensjahre.
Unter dem Titel »Professionsgrenzen als Kompetenzgrenzen und Kooperationsgebote – ethische Aspekte psychosozialer Arbeit« geht Ruth Großmaß daraufhin auf die ethischen Aspekte der psychosozialen Arbeit ein. Die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts stattfindende Ausdifferenzierung der Berufe im Bereich der psychosozialen Versorgung hat Spezialisierungen und Abgrenzungen hervorgebracht, gleichzeitig aber dazu geführt, dass häufig verschiedene Professionen mit denselben PatientInnen bzw. KlientInnen arbeiten. Mag im medizinischen Bereich das etablierte Überweisungssystem noch dafür sorgen, dass Interventionen und Behandlungen abgestimmt und in sich kohärent erfolgen, so ist dies bei Betrachtung der psychosozialen Versorgung als Ganzes nicht der Fall. Hier treffen Psychotherapie und Soziale Arbeit (insbesondere mit den Schwerpunkten Klinische Sozialarbeit bzw. sozialpädagogische Begleitung) als eigenständige Professionen aufeinander, die jeweils von verschiedenen Trägern organisiert werden und unterschiedlichen staatlichen Stellen gegenüber verantwortlich sind. Ethische Überlegungen können helfen, einen professionellen Umgang mit den sich daraus ergebenden Fragen und Problemen zu finden.
Abschließend werden in dem Beitrag »Inklusion und Teilhabe als wichtige Aspekte in den sozialen Unterstützungsleistungen und in der psychotherapeutischen Versorgung von Menschen mit kognitiven Einschränkungen und psychischen Erkrankungen« von Harald Schwarzmann und Insa Helmken die Bedeutung der Teilhabe an der Gesellschaft und die Möglichkeiten der Sozialen Arbeit in den Tätigkeiten mit behinderten Menschen erörtert. Sie beschreiben zum einen die Versorgungssituation von Menschen mit kognitiven Einschränkungen, zum anderen gehen sie auf die notwendigen kontext- und lebensweltorientiert ausgerichteten pädagogischen, psychotherapeutischen und psychiatrischen Interventionen ein. Das gegenwärtige Gesundheitssystem, so wird im Artikel deutlich, schafft Barrieren in der Nutzung medizinischer und psychotherapeutischer Leistungen. Dafür werden alternative Strukturen benannt, und es wird thematisiert, dass gesellschaftspolitische Konzepte wie Inklusion auch die Notwendigkeit von Änderungen in der fachlichen Konzeptionierung wie z. B. erweiterte Ansätze psychotherapeutischen Handelns erfordern. Daraus ergibt sich die Anforderung, pädagogische, psychotherapeutische und psychiatrische Intervention kontext- und lebensweltorientiert auszurichten. Mit der Inklusion verschiebt sich auch der Fokus von rein individualistisch orientierten Konzepten zur Bewältigung von Konflikten im sozialen Feld. Abschließend wird auf konkrete Anforderungen an die soziale und (psycho-)therapeutische Arbeit mit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen hingewiesen.
Der dritte Abschnitt des Buches gibt einen Einblick in verschiedene Praxisfelder, in denen Psychotherapie und Soziale Arbeit gleichermaßen involviert sind. Der einführende Artikel »Sozialtherapeutische poststationäre Betreuung im Rahmen der stationären psychosomatischen Behandlung – ein Fallbeispiel« von Bärbel Siegfarth-Häberle widmet sich Situationen, die (teil)stationäre Psychotherapie erforderlich machen. Diese sind in vielen Fällen auch mit sozialen Problemlagen verbunden, ohne deren Lösung psychotherapeutische Ansätze nicht nachhaltig wirken können. PatientInnen sollten im Rahmen der stationären Behandlung ermutigt werden, sich mit diesen Schwierigkeiten auseinanderzusetzen. Oftmals ist der Prozess zur Klärung der sozialen Situation mit der Entlassung der PatientInnen jedoch noch nicht abgeschlossen und erfordert weitere intensive Unterstützung, um den Behandlungserfolg nachhaltig zu sichern. In vielen Fällen befinden sich PatientInnen zum Zeitpunkt der Behandlung noch nicht in ambulanter Therapie, aufgrund von Wartezeiten und probatorischen Sitzungen ist die sozialtherapeutische Unterstützung bei schwierigen Problemlagen im Übergang daher ein wichtiger Punkt.
Einem spezifischen Feld, in dem die Sozialtherapie eine wichtige Stellung einnimmt, widmen sich Stefanie Leers und Melanie-Svenja Küppers-Naß. Unter dem Titel »Sozialtherapie in der Suchtbehandlung: Von der Notwendigkeit der Klinischen Sozialarbeit aus biopsychosozialer Perspektive« thematisieren sie in theoretischen Überlegungen sowie anhand eines Fallbeispiels die Notwendigkeit sozialtherapeutischer Behandlung als ein wesentliches Konzept in der Suchtbehandlung. Das Feld der Klinischen Sozialarbeit umfasst die soziale Suchttherapie, die in der Regel von Sozial- und SuchttherapeutInnen durchgeführt wird. Ebenso deutlich jedoch wird auch die dynamische Verzahnung von medizinischer, psychologischer und sozialer Behandlung, die verschiedene Zugänge zu ganz unterschiedlichen Problemlagen und Fallkonstellationen möglich macht.
Unter dem Titel »Erziehungs- und Familienberatung – Schnittmengen Sozialer Arbeit und Psychotherapie« stellt Mathias Berg anschließend die multidisziplinäre Ausrichtung der Erziehungs- und Familienberatung vor. In Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche, die nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (§ § 17, 18, 28 SGB VIII) arbeiten, ist eine (psycho)therapeutische Qualifikation der Fachkräfte konstitutiv. Viele dieser Fachkräfte haben einen sozialarbeiterischen Professionshintergrund. So sind pädagogische und damit verbundene therapeutische Leistungen mit Kindern und Jugendlichen, wie auch mit ganzen Familien, keine heilkundliche Behandlung – dennoch berühren viele Interventionen die Schnittstelle zwischen Sozialer Arbeit und Psychotherapie. Der Artikel gibt einen Überblick zu interprofessionellen Gemeinsamkeiten wie Unterschieden in den Bereichen Diagnostik und Therapie und verortet die (Klinische) Soziale Arbeit als psychosozial und therapeutisch handelnde Profession im Konzert mit einer Reihe weiterer Berufsgruppen.
Einem weiteren wichtigen Arbeitsbereich widmen sich Maximiliane Brandmaier und Adrian Golatka unter dem Titel »Psychosoziale Versorgung von Geflüchteten und Asylsuchenden«. Geflüchtete Menschen haben aufgrund ihrer Erfahrungen von Verfolgung, Flucht und Trauma sowie der belastenden Situation im Exil ein stark erhöhtes Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen. Aufgrund der komplexen Belastungen kann nicht nur ein hoher Bedarf an psychotherapeutischer, sondern allgemein an psychosozialer Unterstützung angenommen werden. Häufig bedarf es dabei zunächst niedrigschwelliger, stabilisierender Angebote. In der Praxis finden Psychotherapie und Soziale Arbeit weitgehend getrennt voneinander statt, wenngleich die Behandlung komplexer Traumata und psychsozialer Problemlagen ein multiprofessionelles Versorgungskonzept erfordert. Welches Potenzial eine integrierte psychosoziale Versorgung in diesem Praxisfeld bietet, wird im Artikel u. a. an einem Beispiel aus dem Jugendhilfekontext umrissen.
Das Thema Trauma nehmen auch Julia Gebrande und Janine Lebküchner auf. Unter dem Titel »Mehrdimensionale Bewältigung von traumatischen Erfahrungen: Die Bedeutung Sozialer Arbeit für traumatisierte Menschen« wird das Verhältnis von Psychotherapie und Sozialer Arbeit am Beispiel des Arbeitsfeldes Trauma genauer betrachtet. Die zentrale Frage ist: Wie können Menschen nach einer traumatischen Erfahrung bei der Bewältigung unterstützt werden, ohne dass sie durch Diagnosen pathologisiert werden und das Trauma damit auf ein individuelles Problem reduziert wird? Neben einer Kritik an der Dominanz individuumszentrierter Zugänge wird der hohe Stellenwert des Alltags für die Stabilisierung betont, und damit werden die Soziale Arbeit und die (Trauma-)Pädagogik in den Fokus genommen. Denn Stabilisierung kann überall stattfinden, und mit jeder Stabilisierung im Alltag wird auch die Integration der Traumaerinnerungen und die Bewältigung der Erlebnisse vorangebracht. Neben der Psychiatrie und der Psychotherapie ist die traumasensible Soziale Arbeit daher eine wichtige dritte Säule in der Versorgung traumatisierter Menschen, die eine ambitionierte parteiliche, soziale und politische Unterstützung anbieten kann.
Ein weiteres wichtiges Feld interdisziplinärer Kooperation ist die Straffälligenhilfe. Unter dem Titel »Sozialtherapie mit straffällig gewordenen Menschen« entfaltet Gernot Hahn zentrale Aspekte zu diesem Arbeitsbereich. Die Behandlung straffällig gewordener Menschen hat in den vergangenen 20 Jahren vielfältige Entwicklungen durchlaufen. Neben therapeutisch-methodischen Aspekten haben sich auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, diagnostische und kriminalprognostische Verfahren verändert, und das Wissen über die Entstehung straffälligen Verhaltens hat sich erweitert. Die Behandlung erfolgt im Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle und ist auf individuelle Entwicklung einerseits, auf Überwachung und Reglementierung andererseits fokussiert. Vorrangig wird der Erfolg kriminaltherapeutischer Maßnahmen an der aktiven Verhinderung erneuter Straftaten gemessen, ein Kriterium, das alle Beteiligten, KlientInnen, TherapeutInnen und auch die Gerichte in erheblichem Maße prägt. Der Artikel entfaltet die jüngste Geschichte der Behandlung straffällig gewordener Menschen, der Rahmenbedingungen, methodischen Ansätze, diagnostischen und kriminalprognostischen Verfahren im Überblick auf und zeigt die besondere Bedeutung der Arbeit mit psychosozialen und sozialräumlichen Aspekten auf.
Neurologische Erkrankungen prägen die individuelle Welt sowie die Lebenswelt betroffener Patienten. Einen Einblick in die dortige Praxis ermöglichen Alexander Thomas und Marilena de Andrade. In ihrem Beitrag »Fallbeispiele zur Kooperation von Psychotherapie/neuropsychologischer Therapie und Sozialer Arbeit bei neurologischen Erkrankungen« zeigen sie auf, wie eng gesundheitsbezogene Soziale Arbeit in die Zusammenarbeit mit ErgotherapeutInnen, LogopädInnen, PhysiotherapeutInnen, PsychotherapeutInnen und NeuropsychologInnen eingebunden ist. Dies gilt insbesondere, wenn im Rahmen der Eingliederungshilfe Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen und/oder Epilepsien neurokompetent im eigenen Wohnraum beraten, begleitet und unterstützt werden sollen. Anhand von vier Fallbeispielen wird diese Interdisziplinarität im Alltag des Unterstützten Wohnens (UW) und der beruflichen Rehabilitation anschaulich in den interdisziplinären Verstehenshorizonten und interprofessionellen Vorgehensweisen dargestellt.
Ein ebenfalls komplexes Problembild entfalten häufig Essstörungen Unter dem Titel »Klinische Sozialarbeit mit Menschen mit Essstörungen« erläutert Eva Wunderer Essstörungen als biopsychosozial bedingte Erkrankungen, die daher auch entsprechend multiprofessionell behandelt werden müssen. Menschen mit Essstörungen benötigen spezifische Unterstützung im sozialen Bereich, die – neben der individuellen Lebensweise – auch die Lebenslage der Betroffenen ins Zentrum rückt, sich an ihrer konkreten Lebenswelt orientiert. Methoden aus der (Klinischen) Sozialarbeit, beispielsweise psychosoziale Diagnostik, sozialpädagogische Beratung, Case Management, soziale Gruppenarbeit, Präventionsarbeit und Angehörigenarbeit sind daher Alltagsgeschäft. Der Buchbeitrag stellt diejenigen Handlungsbereiche in den Vordergrund, bei denen sich die deutlichsten Überschneidungen zwischen (ambulanter und stationärer) Psychotherapie und Klinischer Sozialarbeit ergeben, und zeigt, wie konkrete Unterstützung im interprofessionellen Konzert aussehen kann.
Der Band wird abgeschlossen mit einem Blick in die Arbeit mit psychoseerfahrenen und -betroffenen Menschen. Unter dem Titel »Sozialtherapeutische Unterstützung von Menschen mit Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis« schildert Christine Kröger die große Bedeutung einer gelingenden sozialtherapeutischen Unterstützung von psychoseerfahrenen Menschen und ihrem nahen sozialen Umfeld. Schizophrene Psychosen gelten als gravierende und verunsichernde Erkrankungen, die in besonderer Weise das soziale Eingebundensein und die soziale Entwicklung gefährden. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Wichtigkeit sozialer Einflussgrößen auf die Entstehung, Aufrechterhaltung und den Verlauf schizophrener Erkrankungen nach wie vor unterschätzt wird. Dementsprechend wird im vorliegenden Beitrag die Bedeutung einer gemeinsamen Unterstützung psychoseerfahrener Menschen und ihres nahen sozialen Umfelds im interprofessionellen Gefüge verdeutlicht.
Zielsetzung des vorliegenden Buches ist es, die Schnittstellen zwischen Sozialer Arbeit und Psychotherapie auszuleuchten und für PsychotherapeutInnen nutzbar zu machen. Wir hoffen, dass dies über die eingebrachten Texte für beide Professionen ermöglicht wird und darüber hinaus einen interdisziplinären Diskurs anregt, der sich in steter Weiterentwicklung dieses wichtigen Arbeitsbereiches widerspiegelt und niederschlägt.
Heidelberg und Berlin | Maren Bösel und Silke Birgitta Gahleitner |