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Hebammen am Limit

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Hebammen waren einst einmal die weisen Frauen im Leben einer werdenden Mutter. Seit Beginn der Dokumentation dieses Berufes waren sie Ansprechpart- nerinnen für die meisten Themen im Leben der Frau. Sie waren oft selber Mutter, kannten sich aus im Zyklus des Lebens, der körperlichen und seelisch-geistigen Entwicklung eines Mädchens bis zu seinem FrauSein, und sie kannten sich aus mit den Rhythmen des Kosmos. Im geschichtlichen Verlauf missfiel unter anderem der Kirche dieses ganzheitliche Wissen, und auch Hebammen wurden, wie andere weise Frauen auch, als Hexen verfolgt und verbrannt. Mit dem Sterben ging Wissen verloren.

Ab dem 18. Jahrhundert folgte mit dem Eindringen der meist männlichen Geburtsmediziner in diese ursprünglich rein weiblich geprägte Lebenssphäre und der Verlegungen der Geburten aus dem häuslichen Umfeld in die Krankenhäuser ein weiterer Wissensverlust. Die Geburtshilfe wurde zur Geburtsmedizin. Und Hebammen wurden zu weisungsabhängigen Frauen in von Männern dominierten Kliniken.

Wie geht es Hebammen heute? Die patriachalen Strukturen unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems üben einen zunehmend großen Einfluss auf diesen Beruf aus. Die Hierarchie in den Kliniken unterbindet eigenständiges Denken und Handeln. Die Arbeit der Hebammen wird durch das Bestreben der Politik, nämlich die Ökonomisierung des Gesundheitssystems, nahezu verunmöglicht. Weder in der Klinik noch in der außerklinischen Geburtshilfe können Hebammen ihre Therapie frei wählen. Hindernisse, wie z.B. ärztlich geformte Ausschlusskriterien für die außerklinische Geburtshilfe oder das Einholen der ärztlichen Erlaubnis zur außerklinischen Geburt bei Terminüberschreitung, werden offensichtlich bewusst von Gesundheitspolitik und Krankenkassen gesetzlich verankert und machen die Geburtshilfe regulierbar.

Die Auswirkungen sind für Mütter und Hebammen fatal.

Frauen, die sich als Hebamme berufen fühlen, erlernen diesen Beruf in einer hierarchischen Struktur und erleben in dieser Zeit nicht selten eigene Traumata, wie Demütigungen, Überforderungen und Anwesenheit von Gewalt während der Geburt. Nach der Ausbildung reduzieren sie aufgrund der entwürdigenden Arbeitsbedingungen oft ihren Arbeitsumfang oder geben ihren Beruf ganz auf. Manche Hebammen bieten einige Leistungen gar nicht mehr an oder rutschen ins Burnout. Die traurige Konsequenz ist: Frauen geben ihre Leidenschaft, Frauen ganzheitlich in ihr Frausein zu begleiten, auf. Die werdenden Mütter müssen sich wegen dieser fehlenden Präsenz von Hebammen und deren Leistungen nun ärztlich orientieren. Sie werden in die rein medizinische Sicht von Schwangerschaft und Geburt gedrängt und erleiden vielleicht eine traumatische Begleitung. Die freie Wahl des Geburtsortes existiert nur noch in wenigen Regionen.

So ist nicht nur das berufliche Selbstbestimmungsrecht bei den Hebammen so beschnitten worden, dass es fast unmöglich geworden ist, diesen Beruf mit Berufung auszuüben, vielmehr werden werdende Mütter in ihrem Selbstbestimmungsrecht, nach eigenen Vorstellungen zu gebären, beschnitten. Wir müssen uns aber dessen bewusstwerden, dass im ökonomischen Korsett einer politisch gewollten Geburtsmedizin der so wichtige Anfang eines Lebens sich nicht seinen eigenen Rhythmen entsprechend entfalten kann. Nicht nur das Kind und die Mutter, sondern der weitere Weg der ganzen Familie ist davon gezeichnet. Doch eine Frau kann gebären!

Solidarisieren wir uns also in der großen Schwesternschaft und verändern wir die kränkelnde Geburtskultur in Deutschland! Denn Hebammen sind wichtige Begleiterinnen der individuellen Geburtsreise jeder einzelnen Frau.

Anja Lehnertz, *1975, Mutter von acht Kindern (Kaiserschnitt bei Zwillingen *ein Sternenkind durch SIDS, ein Abort, zwei ambulante Geburten, zwei Hausgeburten, eine Alleingeburt), Ehefrau, Hebamme, Krankenschwester, Praxisanleiterin, Autorin, Bloggerin, Dozentin, Künstlerin

www.hebamme-trifft-kunst.de

Dokumentationen :

Hebamme am Limit, Reportage im Ersten, Im Dauereinsatz für neues Leben /Jhg. 2015

Hebamme am Limit (2017) HELLP-Syndrom. SWR

Anja gibt nicht auf – Mensch Leute. SWR Fernsehen /Jhg. 2017

Hebamme trotzt Schicksalsschlag – wächst die Patchworkfamilie zusammen? /Jhg. 2019. Dokumentationen WDR

Alptraum Geburt /Jhg. 2019

Traumatische Geburt – Gewalt im Kreißsaal /Jhg. 2020

Dokumentation Sat 1

Verstorben im Mutterleib! Wie ergeht es Eltern von Sternenkindern? /Jhg. 2019

Literatur und weitere Weblinks

Jung, Tina. Die Politik der Geburt, transcript 2020 (noch nicht erschienen)

Loytved, Christine. Von der Wehenmutter zur Hebamme. Rasch 2001

Mundlos, Christina. Gewalt unter der Geburt. Techtum Sachbuch 2015

Odent, Michel. Es ist nicht egal, wie wir geboren werden. Marbuse Verlag 2016

www.hebammenverband.de

www.bfhd.de

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