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Einführung

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Die Natur macht aus dem Menschen bloß ein Naturwesen, die Gesellschaft ein gesetzmäßig Handelndes, ein freies Wesen kann er nur selbst aus sich machen.

RUDOLF STEINER

Wir stehen am Beginn einer Neuen Zeit, deren Morgenröte schon seit vielen Jahren in der Suche nach dem Geheimnis der Potentialentfaltung sichtbar wird. Menschen spüren und verantworten ihre Freiheit im Menschsein, suchen und leben ihren ganz eigenen Weg gemäß ihrer eigenen inneren Stimme. So auch die Mütter, die mehr und mehr gesellschaftliche Vorstellungen über das Muttersein und deren Rollenbilder hinterfragen, egal ob diese in der Tradition familiärer Werte verankert sind oder einem Arbeitsmarkt dienen, der die Mutter zur Berufstätigkeit zwangsemanzipiert. Das Ausrichten der eigenen Biographie auf das Dasein-Können für das Kind macht die moderne Mutterschaft heute zum Entwicklungsweg. Sie nähert sich dem Geheimnis von Sein und Werden. Selbstbestimmt.

Dabei liegt in all den Fragen rund um eine kindgerechte Entwicklung eine besondere Herausforderung. Warum?

Dass Frauen auch Mütter sind, ist selbsterklärend. Doch wurde diese Phase natürlicher und lebensspendender Individuation, die jede Gesellschaft nährt, im Zuge wachsender Technologisierung und Digitalisierung ins Abseits gedrängt, entwürdigt, verleugnet oder gar substituiert. Spätestens seit der Krippenoffensive und der Abschaffung des Nacheheunterhaltes (beides 2008 und nicht zufällig in Zeiten der weltweiten Finanzkrise geschehen) sind die Arbeitszeiten von Müttern dem Arbeitsmarkt einverleibt worden. Die Frau als Mutter wurde ökonomisiert, die Betreuung von Kindern institutionalisiert, die Kindheit also verstaatlicht. Die Mutterschaft ein überholtes Konstrukt? Selbst moderne CARE-Aktivistinnen, deren Anliegen es ist, die Ausbeutung der notwendigen, doch unbezahlten Fürsorgearbeiten zur Diskussion zu stellen, lösen die Frau von ihrer Mutterschaft durch ihre Forderung nach mehr und noch mehr Kitaplätzen. Mütter sollen (sich) nicht mehr sorgen… Ist das die Lösung?

Ich selbst habe als Mutter von drei Kindern erlebt, was es heißt, wenn Fürsorgearbeit vor dem Gesetz bewertet wird, als ob man Ferien machen würde. Auch wenn die Bedürfnisse meiner Kinder nach einem Zuhause, nach Schutz, Geborgenheit und Einfach-sein-Dürfen, nach Sicherheit, individueller Zuwendung und Entfaltung mir immer wieder gezeigt hatten, dass meine Präsenz wesentlich und immer wieder auch unerlässlich war, vermittelt unsere moderne Gesellschaft ein weitreichend anderes Bild. Die finanzielle Wahlfreiheit, Kinder, solange sie es brauchen, im familiären Umfeld betreuen zu können, wurde abgeschafft. Mütter sollen (sich) nicht mehr sorgen? Mit dieser erschütternden Einsicht entschied ich mich, das Buch »Die verkaufte Mutter« herauszugeben, dem sich noch zwei weitere Mitstreiterinnen anschlossen. Mütter endlich selbst sprechen zu lassen, war unser tiefes Anliegen – sie sichtbar zu machen in ihren Motiven, für ihre Kinder da zu sein.

Inzwischen ist die frühe Fremdbetreuung von Kleinstkindern eine Selbstverständlichkeit geworden, auch wenn immer wieder gut begründete alternative Sichtweisen laut werden. Auch in meiner Arbeit als langjährige biographische Begleiterin haben viele Gespräche mit Klienten verdeutlicht, wie die mangelnde Präsenz von Eltern ein lebenslanges Liebesvakuum hinterlässt, das gleich einem fehlenden Boden wesentliche Entwicklungen im Erwachsenenleben hemmt. Doch der ökonomische Druck und die politische und mediale Inszenierung von »Vereinbarkeit« scheinen die Lebensentwürfe von Eltern zu normieren. Jetzt, in Coronazeiten, in denen die Macht staatlicher Eingriffe in einer nie gekannten Weise unseren Alltag prägt, wird das individuelle Antworten fast existentiell. Besonders Eltern müssen sich ihren Kindern gegenüber neu finden. Beruf und Betreuung können nicht gleichzeitig geschehen. Dabei wird deutlich, dass es eben doch die Mütter sind, die dem Sorgen am nächsten stehen. Offensichtlicher denn je werden sie zwischen gesellschaftlichen, politischen und finanziellen Erwartungen einerseits und den Bedürfnissen der eigenen Kinder andererseits zerrieben. Um ihre Kinder zu schützen und mit ihren Kindern Leben wieder lebbar zu machen, brauchen sie einen besonderen Mut.

Denn vergessen scheint, was immer noch Grundrecht ist:

Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft (GG 6,4).

Darum geht es in diesem Buch: der Mutterschaft ihre Würde zurückzugeben. Denn ohne die Mutter gibt es kein menschliches Leben. Und es ist nichts Falsches daran, sich für das Leben zu entscheiden. Der Mut moderner junger Frauen zeigt das. Er inspiriert Lebenswege, die ein Sich-treu-Bleiben möglich machen. Denn letztendlich bleibt, wenn die Hoffnung auf die gute Fremdbetreuung zerbricht, die Frage: Was trägt und nährt uns? Mögen die Berichte in diesem Buch gleich Leuchttürmen wegweisende Erfahrungen vermitteln, die Ihnen, liebe Leserin, weiterhelfen können. Einundzwanzig Mütter haben dafür ihre Einsichten auf der Suche nach einer stimmigen Betreuung für ihr Kind niedergeschrieben. In welcher Spannung sie sich dabei zwischen Außen und Innen, zwischen eigenen und fremden Glaubenssätzen und dem liebenden Blick auf das eigenen Kind befinden, macht den Entwicklungsauftrag sichtbar, den die Neue Zeit heute mehr denn je von uns einfordert. Denn der Graben zwischen einem gesellschaftlichen Einheitsparadigma und dem Wachsen in eine individuelle Freiheit – nicht zuletzt auch für unsere Kinder – scheint sich immer weiter zu öffnen.

Dies verdeutlichen auch die einundzwanzig kurzen Berichte von Experten, die sich Themen wie Bindung, Nachahmung, das erste Jahrsiebt, freies Spiel, aber auch politischen Themen wie Elterngeld, Patriarchatskritik, Generationenvertrag oder Care-Revolution widmen. Sie erklären, wie die Verantwortung für eine verbindlich gelebte Mutterschaft, die der Reifung und Entfaltung eines eigenständigen Wesens dient, ökonomisch und politisch ausgehöhlt, ja beinahe unmöglich gemacht wird.

Mütter sind wie ein Zuhause – eine wärmende, nährende und lebendige Hülle, gleichsam einer Fortsetzung der Gebärmutter. Und sie arbeiten mit ihrem Vorbild an der Quelle zukünftigen Lebens. Dabei müssen sie nicht alleinige Bezugsperson bleiben. Was das bedeutet, erzählen die Mütter in diesem Buch. Mutig, eigenwillig und ihrer Intuition folgend, riskieren sie es, Standardfloskeln zu hinterfragen und in Beziehung mit ihrem Kind dessen Lebensumfeld selbst zu gestalten. Denn das ist das Neue in dieser Zeit, die Suche nach der eigenen Wahrheit, die weder Ratgeber noch Mainstream beantworten. Es braucht das Hinwachsen zu einer inneren Freiheit, die neben den eigenen Werten auch die Möglichkeit zur Selbstermächtigung bewusst macht. So lassen uns die Mütter auch teilhaben an ihrer Wut, Verunsicherung und an ihren Zweifeln, an ihren Gefühlen, bevormundet zu werden, zu versagen oder einfach nur überfordert zu sein. Letztendlich sind es immer die Kinder, in deren Trauer oder Strahlen die Antwort liegt. Sie schenken uns das unermessliche Glück, in der Gegenwart ankommen zu dürfen. Das Werdende in der Beziehung zwischen Mutter und Kind, wenn wir es denn zulassen, möchte sich dem Leben offenbaren.

Möge dieses Buch jungen Müttern Mut machen, die gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu hinterfragen und die Ernsthaftigkeit ihrer Aufgabe anzuerkennen. Manche Mütter sprechen sogar von einer heiligen Aufgabe: Denn wir lernen darin, nicht wegzuschauen, sondern hinzuschauen. Wir lernen, die Einweihungen des Lebens mit uns selbst zu beantworten. In dieser Selbstheit ist selbstbestimmte Mutterschaft selbstlos. Möge jede Mutter dieses Paradoxon erfahren dürfen.

Sabine Mänken, im April 2020

Mütter der Neuen Zeit

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