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Vorwort von Dr. Rainer Böhm

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Ich danke der Herausgeberin Sabine Mänken für die Einladung, ein Vorwort zu dem vorliegenden Buch zu verfassen, und fühle mich geehrt, als Mann und als Vater den Müttern der Neuen Zeit ein Geleitwort auf den Weg geben zu dürfen.

Wir durchleben eine besondere Zeit, eine Zeit, die charakterisiert ist von der Jagd nach unablässigem, zwanghaftem ökonomischem Wachstum, von einer permanenten, digital beschleunigten Steigerungslogik, wie sie der Sozialphilosoph Hartmut Rosa in seinen Werken eindringlich beschreibt. Der neoliberale Kapitalismus bemächtigt sich in einer scheinbar unaufhaltsamen Dynamik natürlicher Ressourcen, um Renditen und Konsum in schwindelerregende Höhen zu treiben. Die unvermeidlichen Nebenwirkungen spüren wir zunehmend, unter anderem in Form von Klimawandel und Biodiversitätsverlusten. Das System stößt immer stärker an planetare, existenzbedrohende Grenzen.

Es sind aber nicht nur die materiellen Ressourcen, die diese Maschinerie befeuern, es sind auch die Zeit und die Energie des Menschen, die unablässig in den Sog dieses Wirbels geraten. Eine dieser menschlichen Ressourcen ist die Zeit, die wir als Eltern unseren Kindern widmen. Aus unserer Sicht und der Sicht unserer Kinder ist diese gemeinsame Zeit eine langfristige Zukunftsinvestition, aus kapitalistischer Sicht hingegen eine ineffiziente Verschwendung von Potenzial für kurzfristiges Wirtschaftswachstum. Der schönfärberische Begriff der »Vereinbarkeit von Familie und Beruf« als Leitbild unserer sogenannten Familienpolitik kennt daher faktisch nur eine Stoßrichtung: weniger Familienzeit, mehr Erwerbstätigkeit.

Die Gruppe, die hierunter am unmittelbarsten und stärksten zu leiden hat, sind unsere jüngsten Kinder. Die unter dem Vereinbarkeits-Paradigma und dem taktischen Schlagwort der frühkindlichen Bildung vorangetriebene Defamilisierung und Institutionalisierung hat mittlerweile auch die allerersten Lebensjahre erreicht. Betreuungsgarantie ab Geburt, 24/7-Kitas und umfassende »Ferienspiele« sind als nächste dystopische Elemente bereits in der Diskussion.

Gleichzeitig liefern uns wissenschaftliche Studien aus verschiedenen Sektoren seit mehr als zwanzig Jahren Resultate, die eigentlich unsere Alarmglocken schrillen lassen sollten. Sorgfältig konzipierte Untersuchungen zeigen uns immer wieder, dass die frühkindlichen Gruppenbetreuungskonzepte vor dem Alter von drei bis vier Jahren mit einem erheblichen Risiko für Gesundheit und Wohlbefinden verbunden sind – in Form übermäßiger Stressbelastungen und langfristiger Verhaltens- und Persönlichkeitsstörungen.

Die einzigartige individuelle Zuwendung, die in dieser Intensität nur die elterliche Liebe zu den eigenen jungen Kindern hervorzubringen vermag, lässt sich durch noch so ausgefeilte pädagogische Konzepte in »Sternchen-Kitas« nicht ersetzen. Der Bindungstheorie kommt das große Verdienst zu, diesem psycho-spirituellen Phänomen der Eltern-Kind-Liebe auch Widerhall in den modernen Naturwissenschaften verschafft zu haben.

Als Kinderarzt und Sozialpädiater bin ich mittlerweile über Jahrzehnte in der Kinderschutzarbeit damit konfrontiert, welche gravierenden Folgen Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung besonders im frühen Lebensalter für Kinder haben können. Gleichzeitig bin ich aber immer wieder davon beeindruckt, wie liebevoll, zugewandt und anregend die große Mehrheit der Eltern mit ihren Kindern umgeht – wenn man sie denn lässt; und dies sogar unter erschwerenden Umständen wie Armut, Migration oder Flucht. Die ausgiebige Erfahrung dieser elterlichen Liebe und Zuwendung ist für alle Kinder ein Grundrecht, das elementar zu ihrer Würde und ihrem Entwicklungspotenzial beiträgt.

Viele Frauen hadern heute mit solchen Überlegungen. Der Kampf gegen patriarchale Machtstrukturen hat die Frauenbewegung gestählt, aber zu einem großen Teil auch von ihren mütterlichen Wurzeln entfremdet. Der Feminismus hat sich indes selbst auch als »Bewegung für alle Schwachen« definiert und sollte sich somit auch für die echten Belange von Kindern – als besonders vulnerabler Gruppe unseres Gemeinwesens – verantwortlich fühlen.

Wir sollten daher nicht nur gemeinsam die »Gläserne Decke« durchstoßen, die Frauen davon abhält, sich Positionen mit großem gesellschaftlichem Gestaltungspotenzial zu erschließen. Wir müssen gleichzeitig verhindern, dass in unserem Haus mehr oder weniger unverhohlen ein »Gläserner Boden« eingezogen wird, der uns als Eltern zunehmend von unseren Kindern trennt und entfremdet. Dieses höchst bedeutsame Ziel wird nicht nur persönliches, familiäres Engagement erfordern, sondern auch publizistische Anstrengungen sowie elterlichen Widerstand und basisdemokratischen Aktivismus.

In diesem Sinne wünsche ich den Müttern der Neuen Zeit für ihre überaus wichtige und verdienstvolle Aufgabe den langfristigen Erfolg, auf den wir alle angewiesen sein werden.

Dr. Rainer Böhm, Kinder- und Jugendarzt, Schwerpunkt Neuropädiatrie Leitender Arzt des Sozialpädiatrischen Zentrums Bielefeld-Bethel

Mütter der Neuen Zeit

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