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1.6 Erinnerungspflege: neue Möglichkeiten und Zugangswege durch die Nutzung digitaler Medien

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Erinnerungspflege (im Englischen oft als »reminiscence« bezeichnet) stellt von jeher einen zentralen Stützpfeiler einer person-zentrierten Begleitung von Menschen mit Demenz dar. Bei der Erinnerungspflege geht es darum, auf der Basis von biografischem Wissen sowie des Erlebens des Bewohners im Alltag bewusst Situationen zu gestalten, in denen angenehme Erinnerungen geweckt werden. Diese können eine wichtige Rolle dabei spielen, die Selbstvergewisserung und Identität der Person im Hier und Jetzt zu stärken. Wenn sich das eigene gelebte Leben nicht mehr ohne weiteres vergegenwärtigen lässt, beginnt die Gewissheit darüber zu bröckeln, wer man »im Erkennen und Fühlen« (Kitwood 2000) ist. Sich die eigene Vergangenheit zu vergegenwärtigen und Ereignisse oder Erfahrungen ins Bewusstsein zurückbringen zu können, die die eigene lebensgeschichtliche Entfaltung ausmachen, hilft dabei, sich selbst zu bestätigen und als vom unmittelbaren sozialen Umfeld angenommen und wertgeschätzt zu erfahren. Damit ist im Kern das Konzept von Erinnerungspflege markiert, die versucht, durch gezielte Interventionen im Alltag die Ich-Identität zu stärken und letztlich das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz zu fördern.

Bislang wurden in der Erinnerungspflege vor allem konventionelle Medien (wie Fotos u. a.) verwendet. Inzwischen spielen aber auch neue interaktive Medien eine immer wichtigere Rolle dabei, Menschen mit Demenz und ihre Erinnerungen anzusprechen. Mit den neuen, digitalen Medien bieten sich innovative Einsatz- und Anwendungsmöglichkeiten, welche das Potenzial beinhalten, Erinnerungspflege im Rahmen einer Medienkultur und -gesellschaft angemessen zu modifizieren und neu zu formen. Generell eröffnen die neuen Medien andere Möglichkeiten in Bezug auf den Zugang zu Inhalten und die Umsetzung von Erinnerungspflege im Alltag. Ob zu Hause oder im Pflegeheim: das klassische Erinnerungsalbum wird ergänzt, erweitert, wenn nicht ersetzt durch neue Formen und Möglichkeiten, die auch den Zugriff auf bislang nicht nutzbare Erinnerungsmaterialien erlauben. Die technischen Lösungen erlauben es, neben persönlichen Erinnerungsmaterialien auf den breiten Fundus medialer Artefakte/Materialien zurückzugreifen, die im Erleben der heute alten Menschen eine wichtige Rolle gespielt haben. Damit bieten die neuen Medien große Potenziale für eine Erweiterung und Neuausrichtung von Erinnerungspflege, indem eine Vielzahl neuer Inhalte erschlossen werden kann. Die bereits erwähnten Produkte memocare bzw. media4care bieten eine erste Auswahl entsprechender digitalisierter Medien auf dem Markt an.

Aufgrund der vorliegenden Studienlage wird Erinnerungspflege grundsätzlich als eine vielversprechende Intervention für Menschen mit Demenz gesehen, die das Potenzial hat, Stimmung, Kognition und Verhalten zu verbessern (Woods et al. 2018).

Eine Überblicksarbeit, die sich explizit mit den Effekten der technikgestützten Erinnerungspflege befasst, sieht die Vorteile im Zugang zu reichhaltigen und die Beteiligung fördernden multimedialen Erinnerungsmaterialien. Ebenso wird angeführt, dass diese Form der Begleitung soziale Interaktion befördert und es den Betroffenen leichter zu fallen scheint, Gespräche zu bestimmen. Dies kann vor allen Dingen durch die Anregung des emotionalen und musikalischen Gedächtnisses gelingen. Ebenso bieten technikgestützte Lösungen eine Reduzierung von Barrieren, so dass sie zum Teil (motorische) Einschränkungen kompensieren. Generell fehlt es jedoch noch an Wissen dazu, welche Arten von Medien besonders geeignet sind und wie diese aufbereitet werden sollten (Lazar et al. 2014).

Die umfangreichsten Erkenntnisse und Erfahrungen zur technikgestützten Erinnerungspflege gibt es aus dem Projekt CIRCA – Computer Interactive Reminiscence und Conversation Aid1. Die ersten Schritte mit CIRCA wurden bereits Anfang des Jahrtausends unternommen. Eine Forschergruppe um Gary Gowans an der Universität Dundee entwickelte CIRCA mit der Zielsetzung Kommunikation zwischen Pflegenden und Menschen mit Demenz zu verbessern. Erinnerungspflege/Reminiszenz schien hierfür das geeignete Potenzial zu haben. Es entstand die Idee durch die Bereitstellung digitaler Medien den Prozess zu vereinfachen und damit den Aufwand für die Pflegenden zu reduzieren. Das System ist einfach zu bedienen und hilft vielfältige Quellen zu kollektiven Gedächtnisinhalten einer Generation zu erschließen. Es gibt Filme, Fotos und Musik mit zeitgeschichtlicher Bedeutung, die vielen Älteren vertraut sind (Gowans et al 2004). CIRCA wurde von seinen Anfängen in allen Entwicklungsstufen bis heute wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse zeigen zum Beispiel, dass sich durch die Nutzung von CIRCA die Interaktion zwischen Pflegenden und Bewohnerinnen und Bewohnern deutlich verbessern lässt. Die Begegnung findet auf Augenhöhe statt, was bei den Bewohnerinnen und Bewohnern zu einer erlebten Verbesserung des Status und bei den Pflegenden zu einer Erhöhung der Arbeitszufriedenheit führt (Astell et al. 2010). In einer neueren Evaluationsstudie zur Nutzung von CIRCA in Gruppensitzungen zeigte sich bei den Teilnehmenden sowohl Verbesserungen in der Kognition als auch in der Lebensqualität (Astell et al. 2018).

Die im Rahmen der Testung von CIRCA gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse bestätigen sich auch in einem kürzlich in Deutschland abgeschlossenen Projekt zur digitalen Erinnerungspflege, auf das im Folgenden eingegangen werden soll.

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