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Der Braunbär

■ THOMAS SEEGER

Ich kann mich noch gut an den ersten Stadionbesuch mit meinem Sohn Justin erinnern. Er war gerade dreieinhalb und meiner Meinung nach im richtigen Alter, um vom Schalkevirus infiziert zu werden. FC Schalke gegen Bayer Leverkusen an einem schönen, sonnigen Samstagnachmittag. Gemeinsam mit meiner Herzallerliebsten packte ich einen kleinen Rucksack mit Getränken und ein paar Süßigkeiten, befestigte den Kindersitz am Fahrrad und machte mich auf den Weg zum Parkstadion. Die Sonne brannte ganz schön, und so entschied ich mich gegen die Kurve und besorgte mir am Ticketstand eine Tribünenkarte. Den Rucksack in der linken Hand, in der rechten Hand die Eintrittskarte und auf den Schultern meinen blau-weiß gekleideten süßen Fratz, stellte ich mich in die lange Reihe der Wartenden an. Langsam wurde es immer wärmer, und der Schweiß lief mir warm über das Gesicht. Einige Reihen vor uns stand eine Schar von leicht bis mittelleicht angetrunkenen Schalke-Fans. Sie sangen, schubsten und suchten das Terrain nach Leverkusener Gegnern ab.

Plötzlich geriet ich in das Blickfeld eines auf den Einlass wartenden Fußballhünen. Er musterte mich mit einem langen Blick und verzog dabei keine Augenbraue. Wieder ein Schweißtropfen. War es die Hitze oder die aufsteigende Angst vor dem blauweißen Braunbären in den Reihen vor mir? Jetzt drehte er sich vollkommen in meine Richtung. Als er einatmete, erfasste mich ein starker Sog, bevor er mit einem tiefen Bass rief: „Macht mal Platz. Los, los, macht Platz, sonst mache ich Platz. Lasst doch mal unseren Nachwuchs ins Stadion!“

Schon war er bei mir, nahm mich in den Arm und öffnete nur durch seine Blicke die Reihen wie Moses das Meer. Innerhalb von Sekunden hatte ich eine lange Warteschlange hinter mir gelassen und befand mich im Stadion. Erst nachdem ich an allen feiernden Fans des Eingangsbereiches vorbei war, begannen sie erneut zu singen und zu feiern. Der Bär schaute mir glücklich winkend nach, und ich war erleichtert und beschämt ob meiner furchtsamen Gedanken.

„Und was war mit deinem Sohn?“, fragt ihr euch? „Hat er denn überhaupt schon das Spiel mitverfolgt in dem Alter?“ Nee, natürlich nicht. Nach ungefähr zehn Minuten war das Spiel nur noch Nebensache. Ihn interessierte eigentlich nur noch der Eismann, der sich langsam durch die Reihen auf uns zu bewegte. Erst nach dem Eis gelang es ihm noch einmal, fünf Minuten das Spiel mitzuerleben, bevor er den Rucksack mit Süßigkeiten plünderte. Aber insgesamt hat es uns beiden viel Spaß gemacht. Bis auf das Spiel, das war echt schlecht. Die Leverkusener standen tief, uns fiel nix ein. Den einzigen sehenswerten Angriff fuhren kurz nach der Pause die Gäste und Kirsten köpfte ein. Fast eine halbe Stunde lang spielte Schalke noch in Überzahl, bis der kurz vorher erst eingewechselte Latal ebenfalls vom Platz flog und das Spiel mit einer Heimniederlage endete.

Aber mein Sohn war ein Schalker Junge.


Thomas Seeger mit Sohn Justin

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