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Parkstadion

■ DETLEF AGHTE

Da ich schon als Kind die Diskussion um ein Großstadion im Revier verfolgt hatte, war ich natürlich stolz wie Bolle, als das Berger Feld den Zuschlag erhielt. Dasselbe Berger Feld, das ich 1952, als ich nach Gelsenkirchen kam, mit den Spielkameraden erkundet hatte. Der ehemalige Flugplatz des englischen Militärs war für Sechsjährige ein einziges Abenteuerland – und für Ältere ebenso. Ich wohnte unweit davon in Baracken, quasi auf der heutigen Willy-Brandt-Allee, in der Nähe des Sportplatzes von Erle 08, wo ich erstmals mit dem Fußball in Verbindung kam.

Nun entstand hier für fast dreißig Jahre die Heimstatt meines Vereins. Ich liebte aber auch die heimelige Atmosphäre der Glückauf-Kampfbahn, wo man bei Topspielen nicht die Hände aus den Taschen bekam und es weder auf die Toilette noch zum Bierstand schaffte. Einmal drin, warste gefangen in der Kurve oder auf der Gegengerade. Ich verdingte mich als Coca-Cola-Verkäufer, aber nur, um in den Innenraum zu gelangen. Mein Verkauf hielt sich in Grenzen, sodass man es nicht lange mit mir aushielt.

1964 verließen meine Eltern Gelsenkirchen, ich hatte meine Lehre beendet, Zoff mit dem Chef und ging mit, nach Schwelm in Westfalen. 1973 war es dann so weit, das neue Stadion war fertig. Zwei Tage vor der endgültigen Fertigstellung war ich mit meinem Bruder dort, um es mal gründlich zu begutachten. Kein Mensch hielt uns auf, und so drehten wir eine Runde auf der Tartanbahn. Wohlgemerkt mit dem 200D mit 55 PS. Wir hatten uns schon auf Ärger eingestellt, aber niemand nahm Notiz von uns.

Was wir sahen, erfüllte zumindest mich mit Stolz. Das Ding war riesig, und ich sah förmlich die Knete vor mir, die mein Klub einnehmen und sich damit nach ganz oben katapultieren würde. Mein Bruder, fünf Jahre älter, ging nur noch sporadisch mit. Seit Beginn der Bundesliga hatte er die Faxen dicke. „Die kaufen den MSV auf, und dann laufen die Duisburger nächste Woche hier als S04 ein – was soll ich da noch?!“ Ich und mit mir etliche Kumpel aus Gelsenkirchen aber genossen es.


Ich war mittlerweile Küchenchef bei Daimler und hatte genügend Zeit, um den Samstag in Gelsenkirchen zu zelebrieren. Eine ganze Weile hatte meine Frau auch dort zu tun, so konnten wir häufig gemeinsam fahren – was dazu führte, dass ich auch mal was trinken konnte und dementsprechend locker war, wenn es ins Parkstadion ging. Wir waren immer vier bis fünf Personen, die sich in der Stadt oder bei einem der Kollegen trafen. Wir glühten ein wenig vor und fuhren dann los.

Niemand war im Besitz einer Eintrittskarte, was uns aber überhaupt nicht störte. Das Theater ging auf der Kurt-Schumacher-Straße los, als uns einer vom Wachdienst das Abbiegen zum Stadion untersagen wollte. Da wir uns auf einer öffentlichen Straße befanden, sagten wir ihm, dass er seine Befugnisse überschritte, und fuhren weiter. Großes Lamento, aber es ging durch. Dann wurde das Tor passiert, irgendetwas wurde vorgezeigt, zur Not halt ’n Paket Tempo, das war schließlich auch blauweiß. Jedenfalls waren wir so auf dem Parkplatz für die Presse angekommen und mussten nur noch in die Tribüne, erstmal in Charlys Restaurant.

„Darf ich die Karten sehen?“ Ein Ordner hielt uns auf. Der mit Abstand Breiteste von uns, mit Pfoten wie Pannschüppen, guckte ihn von oben bis unten an. „Ich gib dich gleich Karte!“, antwortete mein Kumpel, und weiter ging es. Die Brüder hatten damals einen recht drastischen Ruf in Gelsenkirchen, und niemand legte es drauf an, eine vors Maul zu bekommen. Ich, der ich brav und züchtig inzwischen in Solingen lebte, hielt mich ein bisschen zurück. So ging es die lange Treppe hoch ins Restaurant, und dort bauten wir uns an der Theke auf, bedienten uns an den Mett- und Käsebrötchen, und einer reichte Pils durch. Da standen immer vierzig angezapfte, und so hatten wir immer frisches Bier. Niemand wollte Geld. Nur wenn ich dran war, löhnte ich ab und an ’ne Runde.

Als es Zeit war, stiefelten wir weiter. Die Ordner am Fahrstuhl und auf der Pressetribüne hielten auch still, so konnten wir uns dort in Ruhe ein Plätzchen suchen. Um dem Ordner das Leben nicht unnötig schwer zu machen, nahmen wir welche, die nicht von den Presseheinis belegt wurden. Nur ab und an ließ ich mir ein Telefon bringen und schwatzte ein bischen mit meiner Frau. Hinter mir, hinter der Scheibe, immer der lustige Werner Hansch, der mich jedes Mal freudig begrüßte, warum auch immer. Auf dieser Pressetribüne spielten sich Sachen ab, dass ich mich manchmal durch den Gang rollte vor Spaß. Irgendwann hatten wir da unsere festen Plätze.

Manches Mal half auch Günter Siebert. Sozusagen. Ich hatte mal einen Leserbrief geschrieben und bekam daraufhin Post von unserem Vereinspräsidenten. Er bedankte sich und schickte mir zwölf Anstecknadeln, die auf einer Pappe aufgesteckt waren. Dieses Set hatte ich bei mir, wenn ich mal allein war. Dann erklärte ich den Ordnern, dass ich diese Dinger verscherbeln müsse. Und schwupps war ich wieder drin.

Das Parkplatzproblem war auch bald keines mehr, denn Sieberts Brief schnitt ich auseinander, nahm den Text raus und fügte ihn wieder sinnvoll zusammen. Meine Frau arbeitete in einer Firma, die unter anderem auch Bilder und Buchstaben herstellte, die man abrubbeln konnte. Eigentlich war sowas gedacht, um zum Beispiel ein Album oder so zu beschriften. Ich aber nahm die große Buchstabenversion und rubbelte „FREIE DURCHFAHRT“ auf den Brief von Siebert. Dann wurde das Ding in Klarsichthülle gesteckt und lag fortan auf meinem Armaturenbrett. Irgendwann gab sich ein Ordner damit nicht so recht zufrieden, und weil gerade einer vom Vorstand des Weges kam, rief er ihn dazu. Herr Kerl, glaube ich, war es. „Was ist das denn?“, fragte der Ordner und zeigte auf mein Durchfahrtspapier. „Sehen Sie doch, SIEBERT!“, rief der Vorstand verächtlich, und damit war das Ding geadelt. So hatten wir das Parkplatzproblem ein für allemal aus dem Kopf.

Die anderen Ordner kannten uns mittlerweile, bekamen was zu trinken und gut war. Da wir versprochen hatten, den Platz zu verlassen (und zwar ohne Randale), falls jemand mit der richtigen Karte käme, passierte es schon mal, dass wir mehrfach die Plätze wechselten. Einmal saßen wir zu zweit unter so einem Ding, auf dem die Kameras installiert wurden. Ich redete mir die ganze Zeit ein, dass ich nicht aufspringen werde, wenn ein Tor fällt, vergaß aber, das auch dem Nachbarn kundzutun. Nach dem ersten Tor hatte er ’ne Riesenmacke im Schädel und verbrachte die zweite Halbzeit im Bergmannsheil.

Ab und an kam ich erst auf den letzten Drücker, aber ich schaffte es mittlerweile auch allein bis auf die Pressetribüne. Doch dieses Mal: alles besetzt. Ich zog meine Brieftasche raus, klappte sie auf, schaute rein und dann auf die Nummer eines Sitzes. Der Typ dort stand sofort auf und verschwand, suchte sich ein anderes Plätzchen – offentsichtlich war auch er ohne gültigen Einlassbeleg hier. Einige Reihen über mir kugelten sich die Kollegen vor Vergnügen.

So gab es immer lustige Geschichten auf der Pressetribüne. Wie beispielsweise diese hier: Ein Kumpel ging los und holte drei Bier und drei Würstchen, verpasste bei der Gelegenheit zwei Tore und war entsprechend angesäuert, als er wieder zurück war. Wohl auch deshalb strauchelte er ein wenig und benetzte einen Menschen mit Bier. Der machte ’ne Mordswelle, obwohl klar war, dass es unglücklich passiert war. Aber nun verteilte der Kollege Bier und Wurst an uns, stellte seinen eigenen Becher ab, nahm die Wurst von dem Pappding, ging den Schritt runter zu dem Schreihals und rieb ihm den Senf ins Haupthaar. Mit den Worten „So, nun darfst du dich aufregen!“ nahm er wieder Platz. Es passierte auch da nichts.


Ein andermal machte ich mich auf den Weg und nahm einen schönen, relativ großen Flachmann mit. Gefüllt mit Strohrum. Keine Ahnung, warum, aber für ’n Späßchen war das 80-prozentige Zeug allemal gut. Wir spielten und verloren gegen Molenbeek, oder so ähnlich. Vorstadtbrüsseler, die normalerweise kein Problem fürs Weiterkommen darstellen sollten, aber was ist schon normal. Wir verloren, und Fichtel trat einem belgischen Rüpel in den Allerwertesten und flog vom Platz. Aber das war auch gar nicht so wichtig, ich saß neben einer netten Belgierin und füllte sie mit dem ihr wohl unbekannten Feuerwasser ab. Sie war sicher im Glauben, sowas gäbe es auf Schalke immer auf der Tribüne. Ich hatte einen Mordsspaß und die Dame echte Probleme, von der Tribüne zu kommen.

Man muss aber nicht denken, wir wären nur Rüpel gewesen. Auf der Pressetribüne saßen auch mal die Knaben, die das Vorspiel bestritten hatten. Sowas gab es damals noch, bevor die Profis antraten. Alle diese Kinder zogen los und holten sich etwas zu trinken und ’ne Wurst. Nur der Kleine neben mir blieb sitzen. Ich wusste, dass er in Duisburg wohnte und dass er von unserem Verein zuhause abgeholt und wieder zurückgebracht wurde. Er mag zehn Jahre alt gewesen sein. Dass sie solche Knirpse schon in anderen Städten aufgabelten, war mir damals unheimlich. Auf meine Frage, warum er sich denn nicht auch was holte, druckste er rum. Ich gab ihm einen Heiermann und sagte: „Nun hol du dir auch was zu trinken und zu essen.“ Der Knirps kam nach ’ner Weile zurück und hatte nichts bei sich. Auf meine Frage meinte er, dass er die fünf Mark lieber seiner Mutter mitbringen möchte. Natürlich gab ich ihm noch ’nen Fünfer und schickte ihn los. Er kam mit dicken Backen zurück und ich sah in zwei glückliche Kinderaugen. Für zehn Mark hatte ich noch nie so viel Freude erlebt.

Ab und an, wenn ich früh genug da war, erkundete ich das Stadion. In der obersten Etage lagen die Matten für die Sprunggruben, da hätte Man(n) richtig Spaß drauf haben können. Ich weiß gar nicht mehr, wie, aber gleich bei einem der ersten Spiele war ich oben auf dem Dach. Ein Wahnsinnsstandort, obwohl ich aus Bammel schön Abstand von der Kante hielt, war es ein irres Gefühl. Ein anderes Mal ließ mich ein SchuPo durch sein Fernrohr gucken, mit denen sie unterm Dach die Nordkurve beäugten. Ich weiß nicht mehr, ob sie damals schon filmten.

So lernte ich das ganze Gebäude kennen, Blauer Salon, Palisander Salon. Ich war da zur Halbzeit reingestiefelt, als mich ein alter Nachbar sah. Wir tranken etwas und er fragte: „Kennste den?“ Ich antwortete: „Nee, nicht dass ich wüsste.“ „Äh, komm mal her!“, brüllte er sofort in Richtung des älteren Herrn. Zweimal, denn der fühlte sich nicht so recht angesprochen. „Äh du Arsch, komm doch mal her!“ Da kam der Herr doch auf uns zu. „Darf ich vorstellen? Werner Kuhlmann, Oberbürgermeister von Gelsenkirchen.“ Das war mir dann doch etwas peinlich.

So reihten sich die nicht immer für jedermann lustigen Dönekes aneinander, und manch einer wird denken: schier unmöglich, so etwas heutzutage. Bis dann in vierzig Jahren einer seine Geschichten aufschreibt.

Übrigens, das Parkstadion wurde 28 Jahre alt, die Arena ist heute fast halb so alt. Ich hoffe, sie hält ein bisken länger durch.

Mit Schalke machse wat mit

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