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Einmal im Leben

■ MATTHIAS BERGHÖFER

„Der Reisepass Ihrer Frau läuft am Mittwoch ab!“, meint die Dame am Check-In, und am liebsten würde ich „WEISS ICH SELBER!“ schreien, aber stattdessen knirsche ich nur derart laut mit den Zähnen, dass in zehn Kilometern Umkreis jeder Zahnarzt ein Geschäft wittert.

In ein paar Tagen, Ende März des Jahres 2006, spielt Schalke im UEFA-Cup-Viertelfinale in Sofia, und wegen des Scheiß-Reisepasses meiner bis zur Entdeckung dieser Unterlassungssünde geliebten Gattin sind wir da nicht mit dabei. Der Frust muss irgendwo hin, und so wird die für „Viertelfinale“ geplante Kohle anderweitig rausgehauen – da trifft es sich gut, dass wir sowieso schon immer mal einen besonderen Fußballer am Ball erleben wollten. Raúl, von Real Madrid. Ein unfassbarer Kicker, mit zahllosen Titeln und noch viel mehr unfassbaren Toren, und dabei stets doch irgendwie elegant und zurückhaltend. Nicht mehr lange, dann wird „El Siete“, wie er wegen seiner Rückennummer bei Real genannt wird, 30, und seit die „Galaktischen“ auf der ganzen Welt die Superstars aufkaufen und als eine Art Zirkustruppe auftreten, spielt Raúl immer seltener – die Karriere scheint sich langsam ihrem Ende entgegenzuneigen. Und weil Schalke in über hundert Jahren Vereinsgeschichte noch nie gegen Real Madrid angetreten ist und das womöglich zu unseren Lebzeiten auch nicht mehr passieren wird, heißt es „jetzt oder nie!“: Nur, um Raúl González Blanco einmal im Leben am Ball zu sehen, live im Stadion, fliegen wir also nun nach Madrid.

Schön warm ist’s in der spanischen Hauptstadt, als wir am riesigen Estadio Santiago Bernabéu die Schwarzhändler abwehren und uns ansonsten die Beine in den Bauch stehen, bis wir an einem der Kassenfensterchen endlich Eintrittskarten für die morgige Partie Real – La Coruña ergattert haben. 35 Euro die Karte, Spitzenspiel, der Dritte gegen den Sechsten. Die Stadiontour tun wir uns heute schonmal an, sehr beeindruckende Kiste, das muss man sagen – nicht zuletzt, weil alles so schön Schalkeblau ist. Zum Abschluss geht’s durch das Vereinsmuseum, in dem man vor lauter glitzernder Pokale beinahe blind wird, und dann zur Stärkung nochmal ins Real Café, das in die Südtribüne eingebaut ist und einen Blick aufs Spielfeld gestattet. In einem Heftchen lesen wir etwas von einem gewissen Alexander Jobst, einem Deutschen, der hier seit ein paar Monaten im Marketing Management tätig ist, und Marketing wird hier weiß Gott jede Menge gemacht. Rund ums Stadion und auch hier im Café wimmelt es nur so von Touristen, angelockt von all dem Bohei ums „weiße Ballett“.

Im Heft lesen wir auch, dass morgen Mittag, sieben Stunden vor der Partie der Weltstars, schon die Reserve von Real spielt. Real Madrid Castilla gegen UD Levante, dem Ex-Klub von Bernd Schuster. Draußen im nagelneuen Trainingszentrum, im Nichts zwischen Stadt und Flughafen, soll dieses Spiel der 2. Liga steigen, und wir fragen im Café am „Real-Infostand“ eine Angestellte, wie man da wohl hinkäme. In Nullkommanix stehen zwei in phantastische Anzüge gehüllte Herren vor mir und versuchen über ihre Headsets und Handys, die von mir gewünschte Information von der Real-Zentrale zu bekommen. Und tatsächlich: Es gebe einen Bus, direkt hier vom Stadion aus. Ein Mannschaftsbus von Real Madrid, und der würde Vereinsmitglieder kostenlos zum Trainingsgelände bringen, gerne würde man für uns zwei Plätze reservieren. „Vereinsmitglied? Bin ich!“, rufe ich begeistert, und präsentiere meinen großartigen Mitgliedsausweis des FC Schalke 04. Nur ganz kurz, denn ich denke, es reicht ja, dass sie sehen, dass das Ding blau ist, aber nein, die Herren sind Blitzmerker und entdecken sofort, dass da nicht „Real Madrid“ draufsteht, und das Bedauern steht ihnen ins Gesicht geschrieben.

Per U-Bahn und Taxi sind wir am nächsten Tag dann trotzdem dort. „Ciudad Real Madrid“ nennt sich das Gelände mit zahlreichen Funktionsgebäuden und feinsten Trainingsplätzen – und einem 25.000 Zuschauer fassenden Stadion, das „Alfredo di Stéfano“, das erst in ein paar Tagen eingeweiht werden wird. Per Schranke und Wachpersonal ist der Zugang zum Gelände gesichert, aber es dauert nicht lange, und wir sind drin. „Trainingsplatz 7“, ungefähr 2000 Zuschauer verteilen sich über die drei Tribünen (ja, auch das ein richtiges kleines Stadion), und etwa 150 Gästefans sind ebenfalls gekommen. Die Sonne brennt vom Himmel, und alles, was ohne Mützen kam und nicht auf der überdachten Haupttribüne sitzt, wird ordentlich gegrillt. Nebenan trainiert Reals A-Jugend, daneben tollen Kinder auf einem extra eingerichteten Real-Kinderspielplatz. Und auf dem Rasen vor uns fliegt nach drei Minuten schon der Levante-Keeper vom Platz, aber es fällt bis zum Schluss kein Tor, obwohl da bei Real auf Linksaußen ein phantastischer Techniker seine Gegenspieler dumm und dusselig tanzt. Leider fällt er etwas leicht und scheint phasenweise die Lust am Laufen zu verlieren. Trotzdem der beste Mann auf dem Platz. Neunzehn Jahre jung ist der Bursche und heißt Jurado.


Zu Besuch im Estadio Santiago Bernabéu, um Raúl am Ball erleben zu können

Ein paar Stunden später sind wir wieder am „Bernabéu“. Viel Gewusel auf den Straßen, Fahnen, Autos, aber alles ziemlich leise. Per Rolltreppe geht es ganz hinauf in den dritten Rang, und da bleibt einem erstmal der Atem weg, so steil ist das. Aber: Das Stadion ist leer – steigt etwa irgendwo anders in Madrid gerade ein Doppelkonzert von Michael Jackson und den Beatles? Erst fünf Minuten vor Anpfiff füllt sich die herrliche Kiste und dann sind 75.000 Fußballfans da – und schweigen. Die meisten sind damit beschäftigt, ihren Knabber- und Körnerkram über die Betonränge zu verteilen, Gästefans sind wohl eh keine gekommen, und nur gegenüber versucht sich ein kleines Häuflein Unentwegter an Gesängen, aber das ist schon wirklich erschreckend ruhig hier, während auf dem Rasen die berühmtesten Fußballer des Planeten ihren Gegner zerlegen. Casillas, Zinédine Zidane, Guti, Roberto Carlos, Robinho, David Beckham und Ronaldo (der echte, der mal gegen Yves spielen durfte). Und Raúl? Der sitzt auf der Bank, mal wieder. Neben mir ein Opa schimpft und schimpft, wie es sein könne, dass eine trübe Tasse wie Ronaldo müde über den Platz schleichen dürfe und dafür ein Raúl, der Raúl, draußen bleiben müsse. Aber dann macht Ronaldo eine herrliche Bude und ist danach wie verwandelt, wirbelt den Rest des Spiels die Gästeabwehr ganz alleine durcheinander. Der Opa ist ganz begeistert.

Erst weit in der zweiten Halbzeit, als es schon 3:0 steht, erhebt sich Raúl von der Bank und beginnt, sich warm zu machen – und das Stadion erwacht. Der Held kommt für Zidane, und endlich sehen wir „El Siete“ live am Ball. Die Verehrung, die ihm entgegengebracht wird, ist rundum körperlich spürbar, aber wirklich gut spielt er nicht in den gerade mal zwanzig Minuten, die man ihm ließ. Mit 4:0 siegt Real Madrid an diesem Abend, wenige Sekunden nach Schlusspfiff sind alle Stars in den Kabinen verschwunden, alle außer Beckham und Raúl, die noch die Linie entlang schreiten und sich von allen verabschieden.

Am nächsten Morgen warten wir am Flughafen auf den Rückflug, sehen durch die Scheiben des Terminals drüben im Dunst die Ciudad Real Madrid liegen, wo die zukünftigen Weltstars gezüchtet werden und wo Raúl, Beckham und Co sicher gerade wieder trainieren.

Noch einmal gehen die Gedanken lächelnd zurück an den gestrigen Tag. Einmal im Leben Real Madrid, einmal im Leben Raúl gesehen. Konnte ja keiner ahnen, was in den Jahren darauf auf Schalke so alles passieren würde.

Mit Schalke machse wat mit

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