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Was, wenn ich das jetzt an Schalke schicke?

■ ANDREAS PYRCHALLA

Der 19. September 1989: Elf Tage später sollte Außenminister Hans-Dietrich Genscher in der deutschen Botschaft in Prag historische Worte sprechen: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise ...“ Weiter würde er nicht kommen. Der Rest ist sicherlich bekannt. Inzwischen hat eine Flasche Veltins mehr Prozent als Genschers FDP. Unbekannter dürfte aber das nun Folgende sein.

Also, zurück in das Jahr 1989. George Bush hatte im Januar Ronald Reagan als US-Präsident abgelöst, in Berlin gab es die erste Love Parade, ein Gericht in England hob das Urteil gegen die seit fünfzehn Jahren in Haft sitzenden Guildford Four auf, Steffi Graf und Boris Becker gewannen beide in Wimbledon, Benedikt Höwedes lernte gerade laufen, ab Oktober würde es den ersten langen Donnerstag im Einzelhandel geben, und Madonna brachte ihr Album „Like A Prayer“ heraus.

Aber kommen wir zu viel, viel wichtigeren Dingen. Zum Fußball. Gerald Isringhaus vom SV Türk Gücü München war der erste Torwart, der das „Tor des Monats“ erzielte. In der laufenden Saison wurde später, völlig überraschend, Bayern München zwei Spieltage vor Schluss Deutscher Meister. Der Vizemeister war da schon überraschender: der 1. FC Köln. Fortuna Düsseldorf erreichte einen respektablen 9. Platz, Bayer 05 Uerdingen wurde 14., und absteigen mussten Waldhof Mannheim sowie der FC Homburg. In der Relegation konnte sich der VfL Bochum gegen den 1. FC Saarbrücken durchsetzen.

Und Schalke?

Am 19. September 1989 traf unser FC Schalke im heimischen Parkstadion auf die Spielvereinigung Bayreuth. Bayreuth ist für vieles berühmt, die Richard-Wagner-Festspiele zum Beispiel, aber nicht für die 1. Bundesliga. Und richtig, unsere Blauen befanden sich nach dem Abstieg 1988 schon im zweiten Jahr hintereinander in der 2. Bundesliga und hatten dort im Jahr zuvor so gerade mal den Abstieg verhindern können. Aber auch im September 1989 lief nicht alles rund. Es war die Saison, in der die Königsblauen mit Alexander Borodjuk den ersten russischen Fußballer verpflichtet haben und der Schalker Kreisel berichtete mit gewissem Stolz, dass die Prawda gerade einen Bericht über ihn veröffentlicht hatte.

Der Schalker Kreisel! Papa brachte ihn von seinen unregelmäßigen Besuchen auf Schalke mit, und ich habe ihn verschlungen, mit Taschenlampe unter der Bettdecke. 1989, es ist die Saison, die mit einem 0:0 bei RWE begann, dem ein 1:5 zuhause gegen Eintracht Braunschweig und ein 4:0 bei Alemannia Aachen folgten, wo wir übrigens gute drei Stunden bis weit nach Mitternacht auf dem völlig überfüllten Tivoli-Parkplatz im Stau standen.

Die Blauen hatten die zwei Spiele vor der Partie gegen Bayreuth verloren – 0:1 zuhause gegen Preußen Münster und 2:3 bei Darmstadt 98 – und befanden sich nach neun Spieltagen auf einem unbefriedigenden 14. Tabellenplatz. In der September-Ausgabe unseres Vereinsmagazins, dem Schalker Kreisel, appellierte Präsident Günter Eichberg im Vorwort an die Solidarität aller Schalker. Antje, die Frau von Trainer Peter Neururer, brachte in der vergangenen Woche Kristin zur Welt. Ernst Kalwitzki wird bald 80. Erwin Weiß veröffentlichte gerade „Schalke 04 – Liebe im Revier“. Die Schallplatte kostete damals sechs Mark.

Warum ich das und den Schalker Kreisel ständig erwähne?

Nun, seitdem haben er – der Kreisel – und ich eine besondere Beziehung, aber davon hatte ich damals natürlich noch keinen blassen Schimmer. Aber ist es nicht häufig so mit Beziehungen? Erst nach vielen Jahren stellt sich heraus, ob das was wird.

Ich persönlich jedenfalls hatte damals gerade eine recht gute Phase. Der Ausbildungsplatz bei der Sparkasse fürs kommende Jahr war in trockenen Tüchern, und in der Schule sollte es noch bis ins nächste Frühjahr dauern, bis der Abi-Stress zuschlagen sollte. Darüber hinaus begann meine Freundin gerade ihr Theologie-Studium in Münster, weshalb ich unter der Woche wohl zu viel Zeit hatte. Die Liebe zu den Blauen war schon lange eine innige, und mir machte es auch wenig aus, dass sie in der 2. Liga dümpelten. Dauerkarteninhaber wurde ich 1986, auch den Führerschein besaß ich endlich, und so verpasste ich, dank Papas Opel Chevette, kein Heimspiel mehr. Im Jahr zuvor waren wir u. a. in Darmstadt, bei Fortuna Köln, in Wattenscheid, Düsseldorf und Solingen gewesen. Doch richtig gut ging es den Blauen nun wirklich nicht. Finanziell schien alles ein Drahtseilakt, und die durchschnittliche Zuschauerzahl im Parkstadion dürfte irgendwo bei 25.000 gelegen haben.

Jedenfalls hatte ich schon länger mit der Idee gespielt, irgendetwas Lustiges, Selbstironisches, aber gleichzeitig auch Aufmunterndes zu Papier zu bringen. Einfach mal so. Und wenn, dann nur für mich. Und für die Kollegen. Vielleicht. Und irgendwann, vermutlich Anfang September, konnte ich mich tatsächlich mal aufraffen und ein paar Sätze auf der alten Schreibmaschine meiner Eltern abtippen. War jetzt gar nicht so schlecht geworden. Aber dann bekam ich plötzlich die fixe Idee: Was wäre denn, wenn ich das jetzt an Schalke schicken würde, an den Schalker Kreisel? Mein Papa hatte früher öfter mal Ausgaben mitgebracht, und ich erinnerte mich, dass irgendwann, schätzungsweise Mitte oder Ende der Siebziger eine meinem Text ähnliche, witzige Kolumne da auftauchte. Jetzt aber schon lange nicht mehr. Das wäre also, grundsätzlich, gar nicht so weit hergeholt. Aber irgendetwas Besonderes, Spezielles sollte mein Text dann schon noch haben.

In der WAZ, der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, gab es seinerzeit eine Wochenendkolumne von Wilhelm Herbert Koch, „Kumpel Anton“, die sich dadurch auszeichnete, dass sie in Ruhrpott-Deutsch geschrieben worden ist. „,Anton’, sachtä Cervinski für mich“, fingen diese Kolumnen immer an.

„Und das, mein Freund, das kannst du auch!“, dachte ich mir und hab meinen Text komplett verfremdet. Ich hab halt so überlegt, wie kriegst du die Wörters hin, datt da sonn bissken Ruhrpott-Släng bei rübberkommen tut, ne? Jau, watt soll ich sagen? Datt haute töffte hin. Fertich war der Text.

Aber jetzt nach Schalke schicken? Ach, ich weiß nicht. Außerdem fehlt da noch eine Überschrift, sowas Regelmäßiges irgendwie, weil ... ja, ich weiß, klar, es ist natürlich völlig vermessen, davon auszugehen, dass das jetzt hier irgendetwas Regelmäßiges werden wird, aber trotzdem, die Möglichkeit ist ja irgendwo ... äh, möglich. Auch weil so richtig Inhalt war damals im Schalker Kreisel nun nicht und Fangeschichten oder auch Gedichte sind damals häufiger abgedruckt worden. Also, lasst uns mal gemeinsam überlegen, was für eine Überschrift passen würde? Brainstorming würde man heute sagen ...

„Die Meinung der Fans“? – hmm, nee, ich will ja nicht für die Süddeutsche schreiben. „Die subjektive Sicht der Dinge“? – hmm, nee, ist ja nicht die FAZ. Was wäre denn mit, wir mögen ja allgemein alle Alliterationen ... „Der Kommentar der Kurve“? – hmm, ja, schon nicht so schlecht, aber zweimal „der“ ... Ist dann auch wieder doof. „Der Nordkurven-Kommentar“? Aber komm, da fehlt das Besondere. Ich hab neulich noch, gegen Viktoria Aschaffenburg (kein Witz: 27. August 1988, 0:0, 11.000 Zuschauer) einen in der Nordkurve neben mir gesehen, der mit weißer Farbe auf seine Lederkutte „Nordkurfe“ geschrieben hatte, der auch noch sagte: „Sach ma, gegen wen spieln die heute übberhaupt?“ Aber ich finde, ein w passt da besser, also: „Der Nordkurwen-Kommentar“. Jawoll, da ham wir datt doch. Dankeschön.

Fehlt nur noch ein Name, oder? Mit meinem richtigen Namen unter dem Artikel, tja, passt jetzt nicht so, finde ich. Weiß ich nicht. Ich mein, klar, ich spinn jetzt mal völlig: Du wirst bekannt dadurch, jeder kennt deinen Namen, kuckt da im Telefonbuch nach, und ab und zu schreibst du was nicht ganz so Lustiges über den Gegner, und die Eltern freuen sich über astreine Anrufe angenervter Auswärts-Anhänger. Muss ja nicht sein. Ich find ein Alter Ego grundsätzlich auch ganz cool. Tja, was machen wir denn da? Vorschläge?

Das müsste nun irgendwie so in der Tradition der Knappen sein. Irgendwas mit Szepan, Kuzorra, Laszig, Orzessek, Kalwitzki, Tibulski. Karl-Heinz Schempinski vielleicht? Anton Koschewski? Irgendwie gefällt mir die Endung mit i. Hmm ... Erwin Koslowski vielleicht? Hört sich doch nicht so schlecht an. Nehmen wir mal. Ist ja auch egal, ist ja nicht so, dass irgendwann mal das Maskottchen danach benannt werden würde!

Gut, also dann tippe ich das nochmal sorgfältig ab und tüte das in einen Umschlag. Und dann schreib ich noch so ein, zwei Zeilen, an die ich mich heute nun wirklich nicht erinnere. Die Adresse von Schalke kann ich ja aus dem letzten Kreisel abschreiben. Gibt es irgendwie einen Ansprechpartner? Ich wüsste nicht, also einfach an Schalke 04, Kurt-Schumacher-Straße, und wer kennt noch die alte Postleitzahl? Genau, 4650 Gelsenkirchen.

Was kam damals auf so einen kleinen Brief? 40 Pfennig, 80 Pfennig? Keine Ahnung, auf jeden Fall hab ich den Brief dann zur Hauptpost gebracht, ein kleines Klopf-Klopf auf den Umschlag und ab dafür. Zu verlieren hast du nichts dabei. Im schlimmsten Fall hörst du gar nichts. Aber, was ich definitiv noch weiß: Damals waren bei mir und meinen Freunden sogenannte lustige Anrufe in Mode. Und auf die Schüppe nehmen lassen wollte ich mich nun auch nicht. Deshalb habe ich von meinem Brief und meinem Text für Schalke niemandem erzählt. Nur meiner Mama. Die fand das auch ganz witzig. Aber sonst wusste das keiner.

Nur einen Tag später kam ich von der Schule nach Hause und dachte eigentlich gar nicht an eine spontane Reaktion von meinem Lieblingsverein. Mama grinste schon beim Aufmachen der Tür und sagte: „Du, da hat einer von Schalke für dich angerufen. Ich hab den Namen aufgeschrieben, Bruchhagen. Du sollst dich mal melden.“ Alter Schwede, Mama kannte vieles von Schalke: die Spieler, den Trainer. Aber diesen Namen kannte sie bestimmt nicht, den hab ich ihr nie gesagt. Heribert Bruchhagen war damals Marketing-Chef beim S04 und dürfte inzwischen einem weiteren Publikum bekannt sein, insbesondere wegen seiner langjährigen Tätigkeit als Vorstand bei Eintracht Frankfurt. Aber damals, im September 1989, da war er halt bei Schalke.

Schnell hatten wir uns telefonisch darauf verständigt, dass ich regelmäßig zu Heimspielen solche Texte schreiben könnte, weil ihm der, den ich geschickt hab, ganz gut gefallen hat. Honorar oder Ähnliches wurde überhaupt nicht thematisiert. Das interessierte mich auch nicht. Ich sollte die Texte einfach per Post schicken und fertig.

Und echt: Ich hab mir den Schalker Kreisel immer irgendwo am Parkstadion gekauft. Fette zwei Mark kostete der damals. Und jawoll, da ist mein Artikel drin. Gegen Bayreuth. Sagenhaft. Und naja, es sollte nicht der letzte sein.

Wenn ich nun gewusst hätte, wie sich das über den Lauf der Jahre entwickelt, dass ich in der Lage sein würde, im Schnitt alle zwei Wochen was halbwegs Humorvolles zu schreiben, dass tatsächlich das neue Maskottchen fünf Jahre später nach Erwin benannt werden würde, dass ich gute 25 Jahre später noch über diesen einen Brief schreiben würde ... Ich hab keinen Schimmer, was dann anders gelaufen wäre.

Neulich sagte noch Kollege Robin: „Na klar, Erwin Koslowski, EK, hat die gleichen Initialen wie Ernst Kuzorra, deshalb hast du das genommen, oder?“ Natürlich ließ ich ihn in dem Glauben, wobei es das erste Mal war, dass ich das gehört hab, aber ja, klingt doch gut.

Wobei, so richtig kapieren kann ich das selber nicht. Fast 25 Jahre sind es jetzt. Gut, es mag in der Anfangszeit mal vorgekommen sein, dass – der Deutschen Post sei Dank – der ein oder andere Kommentar zu spät auf der Geschäftsstelle eintrudelte, aber später per Fax oder per E-Mail passierte das nicht mehr so schnell. Ich habe dank dieses einen Briefes viele, viele neue, interessante, faszinierende Leute kennenlernen dürfen. Und es mag vielleicht ein wenig überzogen klingen (zumal – und das wissen meine Freunde – ich mich eigentlich völlig unwichtig finde), aber so ein bisschen Teil der Geschichte ist man da schon beim FC Schalke.

Vor zwei, drei Jahren, bei einem Spiel gegen Eintracht Frankfurt, lief mir noch Heribert Bruchhagen über den Weg, und ich überlegte, ob ich was zu ihm sagen soll? Ich hab’s sein gelassen, weil ich sicher war, dass der Mann Wichtigeres im Kopf hat als unser Telefonat von 1989.

Jedenfalls hab ich hier nochmal den Text von damals. Es müsste der erste „Nordkurwen-Kommentar“ sein. Blöder- und dummerweise hab ich die Ausgaben des Schalker Kreisel von vorherigen Spielen damals weitergegeben oder weggeworfen (wie konnte ich nur?!), aber seitdem habe ich alle verwahrt. Alle. Und auch den vom 19. September 1989.

Ach so, der Text damals?

Kein Ding. Bitte sehr:

Der Nordkurwen-Kommentar

Da sollze et nich mit die Nerfen kriegen. 42.000 Zuschauers bei uns, und watt machen die Junks daraus? 0:1 gegen Münzter, ferdammt nomma! Abber gut, die Junks ham ja gar nich so schlecht geschpielt, bloß die Schanxenauswärtunk war bissken dürftich (wem sachse datt?). Und unsere beiden Pünktkes hat der Schietzrichter auf sein Konto. Da zeicht der Willi anne Lienje ganz deutlich Appseits mit die Fahne und der Schiri sieht datt nich!!! Ja, Himmel, Schiri und Wolkenbruch, wozu issen dann sonn Lienjenrichter da oder watt? Kerl, und dann macht unser Träner den Schiri höflich darauf aufmerchsam und watt iss? App auffe Tribüne! Perunja! Und dann musse Dich da Hätzparolen fonn den Münzteranen Anhank gefallen lassen. Gottchen, et war Sonntach! Da iss, nachem Frühschoppen, nich mehr fiel los mit die Stimme, und ein Schalker Törchsken fehlte wie S04 inner Bundesliga! Naja, unn als dann die Junks auffen Rasen nomma allet nach forne schmissen, da wär fast noch ein Debakel durche Konters fonne Münzteraners geworden, wattet ja Dank Werner, nich wurde.

Schlimm genuch, zwei Pünktkes futsch, Zuschauers sauer und Sänse issat erss ma mitten positives Punktekonto (datt iss, wennze mehr gewonnene Punkte hass als wie wie ferlorene. Unforstellbar eigentlich!).

War datt jätz auch schon datt Ende mitten Aufstiech? Ich happ für meine Kumpels auffen Pütt gesacht: „Immer mit die Ruhe, die Säsonk iss noch lank. Da kann noch allet passieren?“ Lasst uns mit datt Schlimmste rechnen!

Also... gut gehen!

Euer Erwin Koslowski.

Gut, mit der Freundin von damals ist schon längst Geschichte, ich sag nur Theologie-Studium. Aber sonst, du merkst schon, so viel hat sich gar nicht geändert, oder?

Mit Schalke machse wat mit

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