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Auffassungen des Klimawandels in Longyearbyen

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Die in Longyearbyen lebenden Menschen erleben und beobachten, dass die Natur, das harte Klima und die kalten Winter, was für viele ein Grund ist, um nach Svalbard zu ziehen, sich verändern. In der Klimaanthropologie werden zunehmend lokale Beobachtungen komplementär zu Klimadaten herangezogen, um Umweltveränderungen und ihre Auswirkungen auf die Menschen zu dokumentieren (Krupnik & Jolly 2010; Savo et al. 2016). Während in indigenen Gesellschaften dadurch weit zurückgehende Datenreihen erstellt werden können, ist Longyearbyen eine Stadt mit relativ kurzer Erinnerung. Nur ca. 500 Personen von den insgesamt 2400 EinwohnerInnen leben seit mehr als zehn Jahren auf Svalbard, und nur 130 seit länger als 20 Jahren. Die Fluktuation in der Bevölkerung ist extrem hoch: Ca. 20 Prozent der Bevölkerung werden jedes Jahr ausgetauscht (Statistisk Sentralbyrå 2016: 11). Somit haben nur die wenigsten lange genug dort gelebt, um die Veränderungen über einen längeren Zeitraum beobachten zu können. Trotzdem berichten viele von Umweltveränderungen. Die „Svalbardveterane“ erzählen, wie Gletscher sich zurückgezogen haben und die Winter wärmer und nässer geworden sind. Eine Veränderung, über die oft gesprochen wird, ist der Rückgang des Meereises. Der Isfjord („Eisfjord“), das große Fjordsystem, in dem sich Longyearbyen befindet, war seit dem Winter 2004/2005 nicht mehr zugefroren (dieses Jahr könnte es zum ersten Mal seit 15 Jahren wieder zufrieren [UNIS 2020]). Für die Lokalbevölkerung war der zugefrorene Fjord vor allem für ihre Mobilität und Freizeitaktivitäten von Bedeutung: Sie konnten mit dem Schneemobil den Fjord entlang fahren und überqueren, was die Fahrten unkomplizierter und die Abstände deutlich kürzer machten. Diejenigen, die lange genug in Longyearbyen leben, um das erlebt zu haben, erinnern sich gerne an diese Zeit zurück und erzählen nostalgisch von legendären Ausflügen mit perfekten Schneemobilbedingungen.

Es wäre vielleicht naheliegend zu denken, dass an einem Ort wie Svalbard, wo die Klimaveränderungen sehr stark und deutlich erkennbar sind, die Leute sich bezüglich der Rolle von Anthropos in diesen Veränderungen einig seien. Während die meisten der Meinung sind, dass die Veränderungen im globalen Klima Auswirkungen auf die lokale Umwelt auf Svalbard haben, scheiden sich jedoch die Geister, ob dies eine Konsequenz natürlicher Variation oder anthropogener Einflüsse sei. Die Feststellung der Veränderungen bedeutet also keinesfalls eine Übereinstimmung bezüglich der Zuschreibung ihrer Ursache. Dennoch reflektieren viele Menschen auf Svalbard, sowohl Zureisende, die meilenweit fliegen, um die arktische Wildnis zu erleben, bevor sie schmilzt, als auch BewohnerInnen, über die Tatsache, dass menschliche Aktivität die Natur Svalbards modifiziert, und drücken ein Dilemma aus, dass das Erleben von und Leben auf Svalbard nicht nachhaltig sein kann. Haraway et al. sprechen in diesem Zusammenhang von der „Tragik des Anthropozäns“ (Haraway et al. 2016: 535): Im Anthropozän sind die Menschen, in ihren Anstrengungen, die Welt zu beherrschen, zu ihrer größten Zerstörungskraft geworden. Reflexionen über dieses Dilemma führen wiederum zu kleinen und größeren Veränderungen der Lebensweise auf Svalbard. Longyearbyen war lange eine Kohleminenstadt, eine „Company Town“, für die Kohleminenindustrie gebaut und aufrechterhalten. Aufgrund von Krisen am Kohlemarkt und dem mangelnden politischen Willen, in Zeiten des Klimawandels den Kohleabbau in der hohen Arktis zu unterstützen, wurde in den letzten Jahren die Kohleminenindustrie eingestellt; zurzeit operiert nur noch eine Mine, die Longyearbyen mit Energie versorgt.

Das Anthropozän lernen und lehren

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