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2 Nicht nur zur Weihnachtszeit: Die Bedeutung zahlt der Empfänger

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Michael Beißwenger & Steffen Pappert

Bedeutung ist, was man draus macht. Das gilt für sprachliche Äußerungen gleichermaßen wie für Äußerungen, die mittels Bildzeichen realisiert werden. Beim Handeln mit Sprache wird das, was aus einer Äußerung „herausgelesen“ werden kann, durch die wechselseitige Unterstellung von Kooperation und in diesem Zusammenhang einer Befolgung syntaktischer Konventionen für die Komposition von Satz- und Ausdrucksbedeutungen gesteuert. Für die Entscheidung, welchen Handlungswert und welchen Beitrag zur Weiterentwicklung des lau-fenden Kommunikationsgeschehens mit dem Gegenüber wir einer Äußerung zuschreiben, beziehen wir zudem Wissen zur Situation und zur Partnerin bzw. zum Partner in unser Deuten ein.

Im Falle des Handelns mit Bildzeichen, wie es sich gegenwärtig in Praktiken der Emoji-Verwendung in Kommunikationsdiensten und Plattformen wie WhatsApp-Chats, Facebook, Twitter oder Instagram beobachten lässt, können wir uns nicht auf syntaktische Konventionen stützen. Bildzeichen tragen auch keine stabile, Kontexte übergreifende Bedeutung, wie wir das für Wörter als Einheiten des Wortschatzes gewohnt sind. Die Bedeutung einzelner Zeichenformen wird damit in hohem Maße kontextabhängig und situationsgebunden. Ausschlaggebend für die Interpretation von Äußerungen, die ausschließlich mit Bildzeichen operieren, sind ganz wesentlich das mit der Partnerin bzw. dem Partner geteilte Wissen zum Anlass und zum Thema der Interaktion sowie die Verhaltenserwartungen, die wir unserem Gegenüber abgeleitet aus vorgängigen Kommunikationserfahrungen und geteilter Biographie zuschreiben. Die Bedeutung „zahlt“ somit – eine Metapher aus einem Songtext Marcus Wiebuschs aufgreifend – in noch stärkerer Weise die Empfängerin bzw. der Empfänger der Nachricht als das im Falle sprachlicher Äußerungen der Fall ist:1 Was eine Dialogäußerung, die ausschließlich aus Emojis zusammengesetzt ist, bedeutet, entscheidet die Adressatin bzw. der Adressat, indem sie/er die vielfältigen Assoziationen, die sich an die enthaltenen Bildzeichen knüpfen lassen, mit Kontextwissen und Annahmen über die Motivationslage der Partnerin oder des Partners „verrechnet“. Dabei kann man sich gehörig missverstehen und aneinander vorbeireden. Es verwundert daher nicht, dass sich in Chats, die z. B. über Anwendungen wie WhatsApp geführt werden, längere Passagen, in denen ohne Sprache und nur über Emojis kommuniziert wird, typischerweise nur dann finden, wenn dies explizit spielerisch motiviert ist.

Der nachfolgende Dialog veranschaulicht das. Der Dialog wurde von den beiden Verfassern per WhatsApp „erchattet“. Verabredet war der Versuch, sich ausschließlich mittels Emojis sinnvoll verständigen zu wollen. Hypothesen über das vom Gegenüber Mitgeteilte und Intendierte sowie Intentionen hinsichtlich der eigenen Dialogbeiträge wurden parallel zum Verlauf des Chats von den Beteiligten unabhängig voneinander notiert. Die hier wiedergegebene Repräsentation des Interaktionsereignisses wurde nachträglich aus dem gespeicherten Chatverlauf sowie den schriftlichen Notizen der beiden Beteiligten rekonstruiert. Für den linguistischen Hintergrund, vor dem dieser Dialog entstanden ist (und in dem es u.a. darum geht, warum man nur mit Emojis nicht in gleicher Weise kommunizieren kann wie mit Sprache), verweisen wir auf Beißwenger/Pappert (2020a, 2020b). Man kann den Dialog aber auch ganz vortheoretisch auf sich wirken lassen – eben getreu dem Motto: „Die Bedeutung zahlt der Empfänger.“2





Fühlen Sie sich eingeladen, durch vergleichbare, eigene Experimente spielerisch auszuloten, was Emojis für die schriftliche, interaktional intendierte Kommunikation leisten und wo ihre Grenzen liegen. Für Sprachskeptikerinnen und -skeptiker, die in Emojis eine Bedrohung abendländischer Schriftkultur, womöglich gar der Sprache als Kommunikationsträgerin insgesamt, vermuten, mag das sogar eine wohltuende Entspannungsübung sein. Nicht zuletzt eignet sich der Versuch eines Dialogisierens ausschließlich mit Emojis als kreativer Einstieg in eine Reflexion über Spezifika internetbasierter Kommunikation im Deutschunterricht. Emojis können bestimmte Formen schriftlicher Kommunikation bereichern – aber nicht ersetzen. Stattdessen tragen sie dazu bei, Äußerungsintentionen in schriftlicher Kommunikation erkennbar und die Beziehung zum Gegenüber sichtbar zu machen (vgl. Beißwenger/Pappert 2019, 2020c). Achten Sie bitte darauf, wenn Sie Ihren Lieben in diesem Jahr Weihnachtswünsche per WhatsApp, Twitter, Facebook, Insta- oder Telegram übermitteln!

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