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SVEN KABELITZ

Nina Simone

• ERSTE LP 1959

»I Wish I Knew How It Would Feel to Be Free« heißt ein Song, den Nina Simone 1967 für das Album Silk & Soul aufnahm. 2001 wurde er ein Hit für die Lighthouse Family. Auf die Frage, was Freiheit für sie bedeute, antwortete die Sängerin, Pianistin, Arrangeurin, Songwriterin und Bürgerrechtsaktivistin einst: »Frei sein ist ein Gefühl, und wie könnte man dies beschreiben? Wie erklärst du jemanden, der noch niemals verliebt war, wie es sich anfühlt, verliebt zu sein? Man kann Gefühle beschreiben, aber man kann sie nicht begreiflich machen. Aber man weiß, wann es passiert. Das meine ich mit Freiheit. Ich hatte einige Auftritte, bei denen ich mich wirklich frei fühlte. Ich sag’ dir, was Freiheit für mich bedeutet: keine Angst. Ich meine, wirklich keine Angst zu haben. Wenn ich nur die Hälfte meines Lebens keine Angst haben würde.«

Die am 21. Februar 1933 in Tryon, North Carolina als Eunice Kathleen Waymon geborene Simone war ihr Leben lang auf der Suche nach dieser Freiheit. Sie kämpfte für sie, wo sie nur konnte. Dieser Wunsch drückt sich in jeder Note ihrer Musik aus. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie Jazz-Standards, Jacques Brel, The Beatles, Bee Gees oder eigene Songs spielte. Ihr intensiver, kehliger Gesang und die bemerkenswerte Technik ihres Klavierspiels ließen jedes Lied, das ihr unter die Finger kam, zu ihrem Baby werden. Egal, wer sich danach an den Kompositionen versuchte, musste sich an ihr messen. Wo sie Ungerechtigkeit sah, prangerte sie diese laut und deutlich an. Ebenso verehrt wie gefürchtet, war »The High Priestess of Soul« nie gnädig zu sich selbst, zu ihren Mitmusikern, zu ihrem Publikum. Dabei wollte sie nie in die Jazz-Schublade gesteckt werden, nannte ihre eigene Musik Black Classical Music.

Bereits mit vier Jahren saß sie zum ersten Mal am Klavier. Ihr größter Wunsch: die erste schwarze Konzertpianistin Amerikas werden. Ein Traum, der sich zeitlebens nicht erfüllen sollte. Von Geburt an blies ihr der kalte Wind des Rassismus ins Gesicht. Als sie mit elf Jahren ein Schulkonzert gab, sollten ihre Eltern ihre Plätze für eine weiße Familie räumen. Eunice weigerte sich, weiterzuspielen, bis ihre Eltern ihren Platz wieder einnehmen durften.


Nina Simone, 1965

Um ihre Finanzen aufzufrischen, arbeitete die als Klavierlehrerin tätige Simone ab 1954 nebenbei in einem Club in Atlantic City, in dem der strenge Besitzer sie nur nahm, wenn sie gefälligst auch sang. Um vor ihrer Mutter unentdeckt zu bleiben, die ihre dort gespielte »Teufelsmusik« niemals gutheißen würde, trat sie unter dem Decknamen Nina Simone auf. Der Vorname stammt von ihrem damaligen Freund, der sie auf Spanisch Nina (»kleines Mädchen«) nannte, der Nachname von der französischen Schauspielerin Simone Signoret. Doch die Chancen in der Musikindustrie standen weiterhin schlecht. Egal wo sie hinging, bekam Nina Simone zu hören, sie sei zu hässlich, ihre Haut zu dunkel, ihre Lippen zu groß und ihre Nase zu breit. Wut, Qual, Unsicherheit und der Wunsch nach Liebe und Anerkennung wurden zu ihren ewigen Begleitern.

Bereits mit ihrer ersten Single »I Loves You, Porgy« schaffte sie den Sprung in die amerikanischen Top 20. Der endgültige Durchbruch zum Star gelang ihr 1959 mit dem Album Nina Simone at Town Hall, das wie sämtliche anderen Live-Mitschnitte ihre brennende Seele noch mehr einfing als es jede Studioaufnahme je konnte. Darauf folgte in den 1960ern ein musikalischer Meilenstein dem anderen.

Der 5. September 1963 änderte nochmals alles. Bei einem Bombenattentat des Ku Klux Klans in der 16th Street Baptist Church in Birmingham ließen vier Mädchen während des Bibelunterrichts ihr Leben, 22 weitere Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Noch am gleichen Tag schrieb Simone innerhalb einer Stunde ihren ersten Protestsong »Mississippi Goddam«. Ihm folgten weitere, darunter »Four Woman«, das mit Weldon Irvine geschriebene »To Be Young Gifted and Black« oder ihr gallig bitteres »Strange Fruit«-Cover.

Sie wurde Teil der Bürgerrechtsbewegung, zu deren musikalischer Leitfigur. Eine Kämpferin für die Gleichberechtigung. Eine Art Malcolm X oder Martin Luther King am Klavier. Dabei scheute sie auch vor dem Aufruf zur Gewalt, »if necessary«, nicht zurück. Sie trat vor ausschließlich afroamerikanischen Zuschauern auf, rief: »Seid ihr bereit, Waffen zu benutzen? Seid ihr bereit, zu töten?« ins Publikum.

Mit Kings Tod am 4. April 1968 brachen sie und ihre Welt zusammen. Mehr und mehr entfernte sich Nina Simone von der Bewegung, wurde zu einer unruhigen Wanderin über die Kontinente. »Die Leute glauben, wenn meine Mutter auf die Bühne ging, verwandelte sie sich in Nina Simone. Meine Mutter WAR Nina Simone, jeden Tag, rund um die Uhr. Und da begann das Problem«, erinnert sich ihre Tochter Lisa Simone im Dokumentarfilm What Happened, Miss Simone? Getrieben, hoch verschuldet, alkoholabhängig und depressiv wechselte die Hohepriesterin des Souls immer wieder ihren Wohnsitz. Stets gefolgt von Schlagzeilen und Skandalen, lebte sie mal in Trinidad, mal in der Schweiz, mal in Liberia oder in England, bis sie schließlich im Süden Frankreichs in Aix-en-Provence wieder etwas zur Ruhe kam. Ende der 1980er stellten Ärzte bei ihr eine bipolare Störung fest.

Über Jahre selbst Opfer von der Gewalt ihres Managers und zweiten Ehemanns Andrew Stroud, wurde sie nach der Trennung von ihm selbst zur Täterin, ließ ihre Zornausbrüche an ihrer Tochter aus. 1985 schoss sie auf einen Geschäftsführer einer Plattenfirma, da sie sich betrogen fühlte, verfehlte ihn aber. Als zehn Jahre später ein Nachbarskind nicht aufhören konnte zu lachen und sie sich in ihrer Konzentration gestört fühlte, schoss Nina Simone mit einer Druckluftpistole auf das Kind, verletzte es leicht.

Nahezu abgeschrieben, bescherten erst eine mit »My Baby Just Cares for Me« unterlegte Parfümwerbung und ein dazu veröffentlichtes Knetkätzchenvideo Nina Simone 1987 ein unerwartetes Comeback und stellte sie einer neuen Generation vor. Da sie keine Rechte an dem Song besaß, verdiente sie an dem Erfolg zwar nichts, aber die Konzerthallen füllten sich endlich wieder. Der Einsatz ihrer Songs in diversen Filmen, Serien, Videospielen und die Remix-Alben Verve Remixed und Remixed And Reimagined verstärkten diesen Effekt nochmals.

Am 21. April 2003 starb Nina Simone, eine der besten Sängerinnen des 20. Jahrhunderts, nach einem fünfjährigen Kampf mit dem Brustkrebs im Schlaf. Auch nach ihrem Tod bleibt ihr Werk schmerzhaft wahr, aufrichtig und allgegenwärtig. In ihrer Liebe zur Musik war sie wild wie der Wind, beständig wie die Erde, unendlich wie der Ozean und beißend wie das Feuer.

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