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ОглавлениеVera Kropf
Kathy Marshall und Chiyo Ishi
• THE CRESCENTS
• ERSTE SINGLE 1963 (ISHI)
Für mich als Gitarristin, total land-locked aufgewachsen, bedeutet Surfmusik den Kulminationspunkt meiner Sehnsüchte, musikalisches Nonplusultra und unumstößliches Ideal: Ich reagiere mit viszeraler Erregung auf die treibenden, manchmal nervösen Gitarren, die den Drums viel Platz lassen oder sich im Call-und-Response-Modus mit ihnen duellieren. Wer braucht Gesang? Die Leadgitarre hat so viel Hall, wie das Wasser des weiten Ozeans nass ist, und bewegt sich von voller Sehnsucht wogenden Melodien zu abgedämpften Schlägen der angespannten Zurückhaltung, in denen die Angst vor der heranrollenden, sich aufbauenden Welle spürbar wird, bis zur Entladung der Naturgewalten in angezerrten, weil laut gespielten, ja aggressiven Riffs und überschäumenden Tremolo-Kaskaden, die klingen, als ob die große Welle über einem zusammenbricht. Es ist eine durchaus sexuelle Fantasie. Dabei richtet sich die Sehnsucht auf eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort, denn diese Musik entsteht und erlebt ihre Hochblüte im Rahmen der südkalifornischen Surf Culture zwischen 1960 und 1965 und ist nicht umsonst so bildhaft aufgeladen. Zeitlich wie geografisch recht genau festzumachen, ist es das Phänomen einer prototypischen Jugendkultur, in der sich beliebte Outdoor-Aktivitäten mit Musik, Tanz, Mode und Film zu einem schon zeitgenössisch als ikonisch empfundenen Lebensgefühl verbinden. Der Teenager feiert fröhliche Urstände. Der Aufstieg der Surfmusik beginnt im Sommer 1960, erreicht seinen Höhepunkt im Jahr 1963, als Gesangsgruppen wie die Beach Boys oder Jan & Dean das Ganze in Worte fassen und damit US-weite Hits landen, kurz bevor die sogenannte British Invasion das Land überrollt und neue musikalische Parameter setzt. Infolgedessen ebbt die Begeisterung für die Surf Culture rasch wieder ab und bereits Mitte der 1960er-Jahre hat sie massiv an Anziehungskraft verloren.
Welche Rolle spielen Frauen in diesem so männlich und weiß dominierten Universum? Eine nicht allzu große. Aber interessanterweise ist es gerade der Film Gidget (1959), eine Coming-of-Age-Story über ein Mädchen, das unbedingt surfen lernen will und mit Müh und Not im Boys Club der Surfer akzeptiert wird (Bitch Fights mit den langweiligen, normalen Girls inklusive), der einen wesentlichen Anstoß für den Aufstieg der Surf Culture liefert. Die Buchvorlage dafür, der Roman Gidget, the Little Girl with Big Ideas von Frederick Kohner, hat ihr reales Vorbild wiederum in der halbwüchsigen Tochter des Autors, Kathy, und deren Umtrieben und Erfahrungen als Surferin in Malibu. Damit ist Kathy Kohner nicht nur the real Gidget, sondern überhaupt Pionierin der Surf Culture und das originale »Surfer Girl«, wie es von Brian Wilson und Band Jahre später besungen wird (1963).
Wir befinden uns mitten in einer Welt, in der Männer den Ton angeben, auf den Surfboards genau wie an den Instrumenten. Dick Dale, selbst leidenschaftlicher Surfer, mit seiner Band The Del-Tones und The Belairs gilt als Pionier des Genres. Dale, seines Zeichens der unbestrittene King of the Surf Guitar, ist auch Versuchskaninchen für Leo Fender und somit auch technisch prägend für den Gitarrensound der Ära. In den frühen 1960ern entstehen hunderte motivierte Teenage-Garagenbands in Kalifornien, mit denen Fender ein gutes Geschäft macht. Tausende von ebensolchen Teenagern beiderlei Geschlechts tanzen jede Woche zu Livemusik den Surfer Stomp im Rendezvous Ballroom und dutzenden anderen Tanzlokalitäten. Die Rollen sind klar verteilt. Und mitten in dieser Welt betritt eine 13-Jährige die Bühne, die mit versiertem Gitarrenspiel und meisterlichem Double Picking alle beeindruckt und große Aufmerksamkeit auf sich zieht: Kathy Marshall.
Ein Teenager, der den Boys Club erobert und bewundernde bis neidvolle Blicke auf sich zieht: Was Gidget am Surfboard vorlebt, macht Kathy Marshall an der Gitarre. Ihre Bedeutung und einzigartige Stellung in der Szene sind gut belegt, unter anderem durch Fotografien und Plakate, die z. B. die erfolgreiche Surfinanny-Tour 1964, zuerst in Hawaii und dann auf dem mainland, dokumentieren. Sie hat keine eigene Band, spielt aber als regelmäßiger Gast mit The Blazers, The Crossfires, Eddie & The Showmen und vielen anderen. Ihr Talent, Mut und Mädchen-Sein machen ihre On-stage-Rivalität mit Eddie Bertrand, dessen Vater sie auch managt, zum Publikumsmagneten. Über eine Bühnenbegegnung mit King Dick Dale ist folgende Anekdote überliefert: »He introduced her, and then she broke into ›The Wedge‹. Her fire caused him to first step back and watch, then take off his guitar and stare, then finally throw up his hands and walk off stage. Dick didn’t like being upstaged. He got over it quickly, as he does.« Darum verleiht er ihr, ganz Gentleman, auch den Titel Queen of the Surf Guitar. Von ihr ist aus späteren Jahren der Ausspruch überliefert: »I didn’t want to be better than the boys; I just wanted to be as good as the boys.« Das hat sie mit Sicherheit geschafft, nur leider hat diese Königin keine einzige Aufnahme hinterlassen.
Anders liegt der Fall bei der zweiten Gitarristin, die Spuren in der kalifornischen Surfmusik hinterlassen hat: Chiyo Ishi (oder: Ishii) stammt dem Vernehmen nach von Hopi Indians aus Arizona ab und ist mit einem japanischen Geschäftsmann verheiratet. Im Gegensatz zu den meisten in der Szene, wie etwa ihren Bandkollegen bei Chiyo and the Crescents, ist sie bereits erwachsen. Sie hat schon in den 1940ern an der University of Nebraska Musik studiert und betreibt im Jahr 1962/63, als fröhliche Mittdreißigerin in Oxnard bei Ventura ein Musikgeschäft, Chiyos Guitars and Drums, wo sie Fender-Gitarren und Ludwig-Drums verkauft. Im Hinterzimmer des Musikgeschäfts gibt sie Musikunterricht und rekrutiert in diesem Umfeld auch ihre Band. Vermutlich ist es auch in besagtem Laden, wo die Aufnahme zu »Pink Dominos« entsteht. Beim bandeigenen Label Break Out Records erschienen, erreicht die Nummer im November 1963 immerhin Platz 69 der Billboard Top 100. Dieses Lied sowie die B-Seite der Single »Devil Surf« sind heute noch verfügbar und gelten zurecht als heimliche Kultklassiker der Surfmusik. Wie viele andere Bands der Zeit fahren die Crescents in einem ausgedienten Leichenwagen auf Tour. Wie viele andere Bands ihrer Zeit haben sie die verwirrende Angewohnheit, sich öfter umzubenennen (spätere Singles erscheinen unter Namen wie Krescents oder Sundancers). Auf dem einzigen erhaltenen Bandfoto sieht Chiyo auch aus wie eine strahlende Königin umgeben von ihrem Hofstaat.
Zu erwähnen bleibt noch die einzig aufzufindende All-Girl-Instrumentalband der Ära, Angie and the Originals aus Hawaii, die aus den Schwestern Angie und Cynthia Pang und ihren Cousinen Susan und Janet Lara besteht. Die Mädchen gehen zusammen in die Schule und lernen das Gitarrenspiel von Vater Pang, selbst Musiker. Im Jahr 1963 geben sie bei der Waikiki Surf Battle das bekannte »Surfrider« zum Besten und das durchaus amtlich. Mehr ist mir derzeit nicht bekannt.
Waren diese Gitarristinnen besser als die Boys? Das lässt sich so nicht sagen. Sie waren vielleicht mutiger und sie waren allesamt gut. Ihr wichtigstes Alleinstellungsmerkmal bleibt leider, dass es sie überhaupt gegeben hat, sie waren schwer genug zu finden. Wenn es nach mir ginge, würde es mehr von ihnen geben. Ich recherchiere also weiter.