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Klaus Walter

Aretha Franklin

• ERSTE LP 1961

Mit dem Tod von Aretha Franklin ging etwas zu Ende, sagen wir, minimal übertrieben: die Soul-Moderne. Während David Bowie, Prince, Leonard Cohen und George Michael, die alle zwei Jahre vorher starben, jeder auf seine Art bereits Protagonisten der Pop-Postmoderne waren, ist mit der Frau, die alle nur beim Vornamen nennen – eine (Un-)Sitte mit rassistischem Background, Sklaven hatten keinen Nachnamen – die letzte Symbolfigur einer linearen, analogen Erzählung von uns gegangen: die Erzählung von Pop als Motor der Veränderung zum Besseren, als Soundtrack zu Befreiung und Emanzipation. Eine 50 Jahre umspannende Geschichte, die man von ihrem Ende her erzählen kann.

18 Millionen Leute haben das bei YouTube gesehen. 2015, Kennedy Center, Washington D.C., eine Gala zu Ehren der großen Singer-Songwriterin Carole King. Die Schauspielerin Chilina Kennedy schlüpft in die Rolle Kings und erzählt aus ihrem Leben. Vom letzten Song, den sie mit ihrem Partner Gerry Goffin schrieb. »Ich habe ihn später selbst aufgenommen, allerdings anders als die Frau, für die ich ihn komponiert hatte. Warum? Well, there’s only one Aretha Franklin.« Auftritt Queen Of Soul, majestätisch mit Pelzrobe über dem tiefausgeschnittenen, strassbesetzten Kleid. Schnitt auf die echte Carole King in der Loge, sie wirft Aretha Kusshände zu. Die Königin küsst zurück und nimmt am Klavier Platz, die ersten Akkorde, King schaut ungläubig, »lookin out in the morning rain«, King verliert die Fassung, »I used to feel so uninspired«, Schnitt, ein attraktives afroamerikanisches Paar, sie im schulterfreien schwarzen Abendkleid wiegt sich im Rhythmus, er, schwarzer Anzug mit Fliege, wischt sich eine Träne aus dem linken Auge, es ist das letzte Jahr ihrer Präsidentschaft. Aretha Franklin erreicht den Refrain, »You make me feel«, Schnitt zu Carole King, die laut mitsingt, Tränen in den Augen, »like a natural woman«. »Wahrscheinlich der größte Song über weibliche Sexualität, der jemals aufgenommen wurde«, schrieb der weiße Kritiker Dave Marsh, getrieben von den eigenen Projektionen, klar, aber wer wollte ihm darüber böse sein? Der nächste Refrain, Carole King rastet aus, die Obamas stimmen ein, die Königin greift das Mikrofon, steht auf und geht ein paar Schritte zum Bühnenrand, »you make me feel like a natural woman«, die 73 Jahre alte Frau greift sich an die Schulter und lässt den Pelz zu Boden gleiten, der Saal tobt, Standing Ovations, die Königin extemporiert im ärmellosen Kleid (ärmellose Kleider wusste auch die First Lady Michelle zu tragen, und es gab Ärger). Der größte Song über weibliche Sexualität, der jemals aufgenommen wurde, in dem die Sängerin ihren ersten Orgasmus feiert – so Dave Marsh –, endet mit einem mehrfach wiederholten, ekstatischen »A Woman! A Woman! A Woman!« Ein orgiastischer Moment, aber eben auch ein kleiner Tod. Die schwarze Baptistentochter singt das Lied einer weißen Jüdin aus Manhattan, die als Carol Joan Klein zur Welt kam, 1942, wie Aretha Franklin. Das Lied von der sexuellen Erweckung wird zum Hit in einer Zeit, als Juden und Afroamerikaner gemeinsam in der Bürgerrechtsbewegung kämpfen und Frauen um ihre Befreiung. Aretha Franklin wird zur Queen of Soul mit einem Lied von der King, Königinnen unter sich. Wie sie den Pelz abwirft und dasteht mit den nackten Armen und ihrem mächtigen Körper, ist das auch eine Zurückeroberung ihrer Sexualität wider Ageism und Lookism. Ein Jahr nach diesem letzten grandiosen Auftritt wird Agent Orange (so hat ihn Spike Lee getauft) gewählt, wer sang noch mal bei seiner Inauguration? Keine Ahnung, bei den Obamas sang Aretha Franklin. Sie habe Songs anderer Leute nicht gecovert, sondern sie erobert, stand in einem Nachruf. 1967 erobert sie Kings »Natural Woman« und einen Song von Otis Redding. Das Lied eines gekränkten Mannes, der von seiner Frau, die ihn betrügt, etwas mehr Respekt verlangt, ein kleiner Hit 1965. Zwei Jahre nach Redding macht sich Franklin das Lied zu eigen und gibt ihm neuen Sinn. Sie fordert Respekt von ihrem Mann, und damit der auch kapiert, was sie meint, buchstabiert sie ihre Forderung: »R.E.S.P.E.C.T, find out what it means to me!«


Aretha Franklin, 1960

Die Idee mit dem Buchstabieren erweist sich als genial. Das R.E.S.P.E.C.T. verleiht dem Wunsch, respektiert zu werden, Nachdruck und ist seither verankert im kollektiven Gedächtnis, als Hymne der Bürgerrechts- wie der Frauenbewegung, viele Songs mit größerer politischer Strahlkraft gibt’s nicht. Aretha hat uns beigebracht, was Respekt bedeutet, sagt Barack Obama in mehr als einer Rede. Thank You, Aretha! »Thank You, Aretha.« Das war auch die Überschrift eines Zeitungsartikels von 1970, der berichtet, dass Aretha Franklin bereit sei, die Kaution für die afroamerikanische Aktivistin Angela Davis zu übernehmen, egal ob 100.000 oder 250.000 Dollar. »Ich tue das nicht, weil ich Kommunistin bin«, erklärt Aretha Franklin, »sondern weil sie eine Schwarze Frau ist und für die Freiheit Schwarzer Menschen kämpft.« Am 16. August 2018, es war der 60. Geburtstag von Madonna, ist Queen Aretha gestorben, sie wurde 76 Jahre alt.

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