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SVEN KABELITZ

Dusty Springfield

• THE SPRINGFIELDS

• ERSTE SINGLE 1961


Dusty Springfield, 1968 in Amsterdam

Immer mitten in die Fresse rein. Während in Irland, dem Geburtsland ihrer Mutter, noch in den 1960ern Frauen Pubs nicht betreten und ihrem Ehemann den Sex nicht verweigern dürfen, prügelt sich Mary Isabel Catherine Bernadette O’Brien mit dem Jazz-Schlagzeuger Buddy Rich. Weil sie dessen sexistische Sticheleien nicht mehr erträgt. Auf der Bühne sieht man unter gigantischen Bienenkorbfrisuren und Mascara-Massakern nur wenig von Mary. Dort ist sie Dusty Springfield, die Schnee-Eule des Souls, die entrückte Diva. Wie bei so vielen Künstler*innen zieht sich der Zwiespalt zwischen der am 16. April 1939 in London geborenen Mary und ihrer Kunstfigur durch das Leben der Sängerin.

Von 1963 bis 1968 reihte sie im United Kingdom einen Top-Ten-Hit an den anderen, brachte es auf zahlreiche grandiose Momente. Mit dem herzerweichenden »You Don’t Have to Say You Love Me«, ein Drama der Selbstaufgabe, erreichte sie 1966 sogar die Top-Position. Für die Bond-Parodie Casino Royale interpretierte sie eindringlich den Burt-Bacharach-Song »The Look of Love«. Auf der einen Seite stehen Nummern wie »Spooky«, bei dem sie die Eröffnungszeilen »In the cool of the evening / When everything is gettin’ kind of groovy« musikalisch perfekt in Szene setzte. Auf der anderen stehen zu Tränen rührende Balladen wie »If You Go Away«, ihre Version von Jacques Brels »Ne Me Quitte Pas«, oder ihre Interpretation von »Yesterday When I Way Young«. Doch über all dem thront ihr Dusty in Memphis-Album, dessen zuvor noch von Aretha Franklin abgelehntes »Son of a Preacher Man« sich dank Pulp Fiction auch fest in die Filmgeschichte meißelte. Die DNA ihrer Musik findet sich noch heute bei Sängerinnen wie Adele und Lana Del Rey.

Mehr noch als mit ihren Songs, hinterließ Dusty jedoch abseits ihrer Platten ihren deutlichen, jedoch oft sträflich übersehenen Fußabdruck in der Musikgeschichte. In einer Zeit, in der es noch keinen #aufschrei gab, wenn Cliff Richard das N-Wort nutzte, um sie anzusagen, riss Springfield die Scheuklappen von den Augen des weißen Spießbürgertums. Sie brachte Soul und Funk ins Swinging London, moderierte das The Sound of Motown-Special der Ready, Steady, Go!-Show. In diesem Rahmen stelle sie dem Vereinigten Königreich ihre Idole wie The Supremes, Stevie Wonder und The Temptations vor. Sie ging sogar so weit, zusammen mit Martha Reeves and the Vandellas ihren aktuellen Hit »Wishin’ and Hopin’« zu singen. In dieser Paarung 1965, als in Amerika die Rassenunruhen in vollem Gange waren, alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Zudem trat sie 1964 als erster Act überhaupt bei Top of the Pops auf, sang ihren aktuellen Track »I Only Want To Be with You«.

Doch auch die Rockmusik sähe ohne sie wohl anders aus. Damit ist nicht einmal der gemeinsame Auftritt mit Jimi Hendrix gemeint, bei dem sie in ihrer Show It Must Be Dusty den Song »Mockingbird« sang. Während der Aufnahmen zum Album Dusty … Definitly arbeitete sie 1968 mit dem Studiomusiker und Bassisten John Paul Jones zusammen, der sich auch für die Arrangements zuständig zeigte. Abends besuchte sie dann ein Konzert seiner neuen Band Led Zeppelin. Begeistert schlägt sie diese Jerry Wexler vor, dem Chef von Atlantic Records. Nur aufgrund ihrer Empfehlung und ohne sie je gesehen zu haben, nehmen er und Ahmet Ertegun die Band unter Vertrag.

Mit all diesen Verdiensten zeigte Dusty Springfield dem Musikbusiness der 1960er immer wieder deutlich seine Grenzen auf – und umgekehrt: Hinter der von ihren eigenen Dämonen getriebenen Idealistin verbarg sich auch eine schüchterne, zweifelnde und zurückhaltende Person. Die meisten ihrer Alben produzierte sie selbst, tauschte die Musiker nach Belieben von einem Tag auf den nächsten aus, doch ließ sie dies erst viel später in den Credits vermerken. »Ich dachte, Credits in Anspruch zu nehmen, sei nicht förderlich für meine Glaubwürdigkeit als kleine, unschuldige Sängerin.«

In einem noch weit homophoberen Umfeld als heute hatte Dusty Springfield 1970 ihr Coming-out als Bisexuelle. Ein Skandal. Ihre Plattenverkäufe brachen ein, sie zog sich mehr und mehr zurück. »Sie wollte von dem Rummel um sie herum nichts wissen. Sie wollte eigentlich straight sein. Sie wollte eine gute Katholikin sein und sie wollte schwarz sein«, erklärte ihre damalige Lebensgefährtin Norma Tanega später. Dusty griff zu Alkohol und Drogen. Immer labiler werdend unternahm sie einen Selbstmordversuch.

Ihr Comeback kam zu einem Zeitpunkt, an dem niemand mehr damit rechnete. 1987 holten sie die Pet Shop Boys für den Hit »What Have I Done to Deserve This?« zurück ins Studio, nahmen danach mit ihr das Album Reputation auf. »Dusty hat eine der wunderbarsten Stimmen der Pop- und Soulmusik. Sie hat diese verletzliche Qualität in ihrer Stimme und diese fantastische Phrasierung. Sie verwandelt jeden Song in einen Dusty-Springfield-Song«, erinnerte sich Neil Tennant an diese Zeit. Doch während der Produktion zum Nachfolger A Very Fine Love erkrankte sie an Brustkrebs. Am 3. März 1999 sollte sie von Queen Elisabeth II. den Order Of The British Empire erhalten, doch sie starb einen Tag zuvor mit 59 Jahren. Keine zwei Wochen später wurde Dusty Springfield in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen.

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