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ANASTASIA HARTLEIB

Etta James

• ERSTE LP 1961

Als Etta James 2012 stirbt, liegt eine lange und bewegte Geschichte hinter ihr. Eine Geschichte, in der Freude und Leid stets nah beieinander liegen und Schmerz und Leidenschaft nie so ganz voneinander zu unterscheiden sind.

Als Jamesetta Hawkins 1938 in Los Angeles auf die Welt kommt, ist ihre eigene Mutter gerade mal 14 Jahre alt. Über ihre damaligen Lebensumstände kursieren einige Mythen, sicher ist nur: Ihre Mutter verbringt ihre Zeit überall, nur nicht zu Hause, und ihren Vater lernt sie nie als solchen kennen. Sie wächst in Pflegefamilien auf, die Gewalt oftmals als einzig wirksame Erziehungsmethode ansehen. Denen aber auch auffällt, dass die kleine Jamesetta ein besonderes Talent zu haben scheint.

Bereits mit fünf Jahren stellt sie den gesamten Kirchenchor in den Schatten. Chorleiter James E. Hines nimmt das Kind unter seine Fittiche, denn er sieht in ihr den nächsten Gospelstar. Schon in diesem zarten Alter muss Jamesetta auf die harte Tour lernen, dass das Leben es nicht immer gut mit einem meint: Selbst im Gesangsunterricht erfährt sie regelmäßige Gewalt, wenn sie sich aus Hines’ Sicht nicht genug anstrengt. Aufgrund dieser frühen, traumatischen Erfahrungen wird sie auch später immer wieder Probleme haben, unter Druck zu singen.

Gebrochen haben ihre Peiniger sie jedoch nie. Sie wendet sich schnell von der kirchlichen Musikszene ab und findet immer mehr Gefallen an kontemporärer Musik, besonders dem Doo-Wop. Im Teenageralter nimmt ihre Mutter sie wieder bei sich auf und zieht mit ihr nach San Francisco. Dort gründet Jamesetta eine Girl-Band und trifft wenig später, ebenfalls unter mythisch umwobenen Umständen, den Musiker Johnny Otis, der ihr nicht nur rät, aus ihrem Vornamen den Künstlernamen Etta James zu machen, sondern der Band auch noch einen Plattenvertrag organisiert. Als Etta mit ihrem Song »The Wallflower (Roll With Me Henry)« ihren ersten kleinen Hit landet, ist sie 14 Jahre alt.

Dass ihr Song erst zum richtigen Hit wird, als eine weiße Sängerin ihn in einer etwas abgewandelten Form interpretiert, stört Etta James zwar, gehört 1955 aber schmerzhafterweise zum Alltag schwarzer Künstler. Ans Aufgeben denkt sie jedoch bei weitem nicht, sie weiß schließlich: Das was sie kann, muss ihr erst mal jemand nachmachen. Mit ihrer Stimme zwingt sie noch jeden Zuhörer in die Knie. Manchmal wild und aufbrausend, manchmal zärtlich sanft, stets verführerisch in ihrer Stärke löst Etta James die Grenzen zwischen Rock ’n’ Roll, Rhythm ’n’ Blues, Soul, Funk, Blues, Jazz und Gospel auf. Auch wenn sie keinen einzigen Song in ihrer sechzig Jahre andauernden Karriere selbst geschrieben hat, so hat sie doch jeden einzelnen gefühlt. Ihre Energie ist mitreißend und lässt sich auch nicht von profanen Medien wie einer Schallplatte stoppen. Jeder, der ihr zuhört, fühlt sich sofort mit ihr verbunden.


Etta James, 1990

Der große Ruhm wird Etta James zu ihrer aktivsten Zeit allerdings nicht zuteil. Für die Anerkennung, die ihre Verehrerin Janis Joplin in gerade mal zwei Jahren erfährt, muss James über zwanzig Jahre lang hart arbeiten. Und selbst dann darf sie nur als Tour-Support für die Rolling Stones auf die ganz großen Bühnen des Landes. Dass sie an diesem Umstand allerdings auch selbst Mitschuld trägt, darf nicht unerwähnt bleiben. Die Sängerin frönt neben dem Singen noch einer zweiten Liebe, die deutlich bitterer schmeckt: der Sucht. Über lange Zeit bestimmt diese über den Alltag ihres Lebens, mal in Form von Heroin, mal in Form von Schmerzmitteln. Herrin wird sie ihr erst nach regelmäßigen, teilweise auch richterlich angeordneten Besuchen von Entzugskliniken.

Dass Etta James ihre Sucht besiegen kann, zeugt nur einmal mehr von der Stärke, die in ihr steckt. Sie trotzt dem harten Einstieg, den ihr das Schicksal bereitete und überwindet Zeit ihres Lebens Grenzen, egal ob musikalische oder persönliche. Von Geschlechterrollen hält sie nichts, ist ein gern gesehener Gast in der homosexuellen und queeren Community und besingt bereits 1960 auf ihrem Durchbruchsalbum At Last! das Selbstbewusstsein unabhängiger Frauen: »Don’t bring me roses when it’s shoes I need, don’t bring me flowers, don’t bring me the see, come on and bring me some diamonds, that’ll suit me fine, and I’ll love you forever, and you’ll be mine.«

Sie gab die Musik nie auf, auch nicht, als der Alzheimer sich schon langsam in ihrem Kopf einnistete und der Krebs ihr ins Blut kroch. Noch zwei Monate vor ihrem Tod erschien ihr 29. Album. Sie hinterließ nicht nur zwei Söhne, die das musikalische Schaffen ihrer Mutter längst mittrugen, sondern ein leidenschaftliches, furchtloses Vorbild für eine ganze Generationen junger Sängerinnen, darunter Adele, Christina Aguilera oder Beyoncé. Dass Barack Obama, der erste schwarze Präsident der USA, einen ihrer Songs zu seiner Inauguration spielen ließ, darf nicht als Krönung einer bemerkenswerten Karriere gesehen werden, sondern als Anfang einer viel zu spät einsetzenden Würdigung der Frau, die dem R&B seinen Rhythmus und dem Blues seine Zärtlichkeit gab.

These Girls

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