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Frank Apunkt Schneider

Karen Carpenter

• CARPENTERS

• ERSTE SINGLE 1966

Über einen Auftritt der Punkband Noh Mercy Ende der 1970er-Jahre schreibt der RE/Search-Herausgeber V. Vale: »In fact, we could not recall ever having seen a female drummer before.« So genau hatte er da aber wohl nicht hingeschaut, sonst wäre ihm aufgefallen, dass außer den Velvet Underground noch eine andere Band mit Schlagzeugerin spielte, die mindestens genauso viel Musikgeschichte geschrieben hat: die Carpenters, »the biggest-selling group of the 70s« (Band-Webseite).

Wie Velvet Undergrund waren sie ein Gegenentwurf zum entgrenzten Acidrock, allerdings vom gegenüberliegenden Ende der Anti-Hippie-Skala. Sie repräsentierten ein Amerika, in dem sich Leistung lohnt und Qualität durchsetzt. Good clean fun. Nach außen hin zumindest. »They are young America at its very best«, erklärte Richard Nixon seinem deutschen Staatsgast Willy Brandt 1973 bei einem Empfang im Weißen Haus, den die Carpenters umrahmten, während ihm draußen, in der richtigen Welt, bereits Watergate um die Ohren flog.

Die Carpenters waren Karen und Richard Carpenter, und damit ein waschechtes Familienunternehmen von der Sorte, die über ein geheimes Familienrezept verfügt. Ihre Geschichte erzählt von der Nähe zweier Geschwister, die so sehr aufeinander fixiert waren, dass böse Zungen schon bald mehr vermuteten. Auf der Bühne und auf Fotos wirken sie wie ein Traumpaar; und im Video zu »Please, Mr. Postman« wie frisch vermählt (auf Hochzeitsreise: in Disneyland!).

Karen, so wird erzählt, habe mit dem Schlagzeugspielen angefangen, um bei ihrem Bruder zu sein, der sich in seine Musik vergraben hatte. Sie half nach Kräften, die Familienerzählung vom Wunderkind Richard zu erfüllen, das seinen Weg gehen und berühmt werden wird. Warum diesseits von Andy Warhols dekadenter Factory ein Mädchen am Schlagzeug saß, war damit halbwegs zufriedenstellend erklärt. Zumindest fürs erste. Schließlich war das Ergebnis im landläufigen Sinne bezaubernd. Hinreißend, wunderschön, unbedrohlich, unaufdringlich. Formvollendet. Das ging gut, solange Karen jung und unschuldig wirkte, eben Schwester und nicht Frau war (der auch das burschikose T-Shirt mit der Aufschrift »Leadsister« nachgesehen wurde). Ein leichtes Unbehagen blieb dennoch, das nach einem Narrativ verlangte, das erklärte und einordnen half. Mit auffälliger Penetranz wurde Karen in Fernsehshows als Virtuosin vorgeführt, ein Format, das durch klassische Musikerinnen gedeckt war. Die Schlagzeugkunststücke, die sie dort zum Besten gab, waren artistische Einlagen, die das Publikum showbizmäßig beeindruckten. Im Vergleich zu dem, was sie als singende Schlagzeugerin bei den Carpenters leistete, waren sie ein schlechter Witz. Als »a drummer who sang« (Selbsteinschätzung) trug sie ebenso viel zum einzigartigen Carpenters-Sound bei wie die Arrangements ihres Bruders, der aus »Close to You«, einer nie wirklich funktionierenden Burt-Bacharach-Komposition für Dionne Warwick, durch sein Neuarrangement eine richtige Bacharach-Nummer gemacht hatte, die sofort zum Welthit wurde (»I missed and he nailed«, musste Bacharach neidlos zugeben), der in der Folgezeit ausschließlich in der Carpenters-Version interpretiert wurde (selbst von Warwick). In einem Playboy-Poll wurde Karen 1975 zum »Best Rock Drummer« gekürt – vor John Bonham, der sich mächtig auf den Schlips getreten fühlte (»She couldn’t last ten minutes with a Zeppelin number!«).


Cover der Carpenters-7" Close to You (A&M, 1970)

Dass sie heute als Schlagzeugerin weitgehend vergessen ist und nur als eine der vier oder fünf besten Sängerinnen der Popgeschichte gilt, liegt daran, dass das Management und schließlich Richard sie drängten, sich voll aufs Singen zu konzentrieren. Drummer gab es wie Sand am Meer. Und live hinterließen die Carpenters einen durchaus unmitreißenden Eindruck: Richard am Klavier, Karen am Schlagzeug, dazwischen ein paar charismafreie Mietmusiker. Dennoch fühlte sich das wie Verrat an. Immerhin bot das Schlagzeug Karen Schutz vor jenem Blick, den sie fürchtete, seit ein Journalist sie ein bisschen pummelig gefunden hatte. Auf alten Aufnahmen erleben wir Karen am Schlagzeug gelöst und glücklich. Sie ist frei von jener unergründlichen Traurigkeit, die ihren Gesang so unverwechselbar macht.

Nur passte das eben immer weniger zum Geschäftsmodell des Familienunternehmens: die Darstellung großer Gefühle. Die hat vom Bühnenrand aus zu erfolgen und in durchaus scheußlichen Kostümen. Dass das Popversprechen von Freiheit und Selbstverwirklichung scharf bewachte Grenzen hat, bekam Karen am eigenen Leib zu spüren, der darauf auch reagierte. Ab dieser Zeit begann sie, ihn mit immer bedrohlicheren Diäten zu terrorisieren. Durch ihren Tod im Februar 1983 schaffte es die Frauenkrankheit Anorexia Nervosa (»Magersucht«) erstmals in die Abendnachrichten.

Dass die Welt nicht so sein konnte, wie in den Popmärchen, an die Karen wirklich glaubte, obwohl sie ganz genau wusste, dass sie nur Träumerei waren, die den abgearbeiteten Opfern des Pursuit of Happiness die abendliche Reproduktion versüßen sollte, hat sie nie überwunden. Der immer wieder beschriebene Eindruck von der Intimität ihres Gesangs rührt vielleicht daher. Karens Stimme kommt ihren Hörer*innen deswegen so nahe, weil sie, wenn sie singt, selbst zur Hörerin wird, zu jenem Kind vor dem Radio, das von den Enttäuschungen der Frau vor dem Mikrofon (noch) nichts wissen will. Die Musik der Carpenters ist zu schön, um wahr zu sein. Aber aus ihrer Schönheit spricht wahre Traurigkeit über die eigene Unwahrheit – und damit jene Dialektik, die große Popkunst bewältigen muss, auch wenn sie im Leben selbst zum Scheitern verurteilt bleibt.

These Girls

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