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Franz Dobler

Queen Esther Marrow

• ERSTE LP 1969 (ERSTE AUFNAHMEN 1966)


Queen Esther Marrow, 1998

Glaubt ihr da draußen etwa, christliche Gesänge hätten keine fundamentale Wirkung auf Geist und Körper von Gläubigen wie Ungläubigen! So nehmt denn dies.

Nach der Premiere des neuen Programms von »The World’s Greatest Gospel Show« von Queen Esther Marrow & The Harlem Gospel Singers begab es sich bei der Feier im Deutschen Theater, dass Rudolph Mooshammer »euphorisch« mit einem »Ex-Eislauf-Star« tanzte: Das hätten wir aber vom Boulevard-Kollegen gern etwas genauer gelesen! Ich meine, nur mal als Beispiel, Jane Birkin und Serge Gainsbourg haben damals einen Tanz erfunden, bei dem der Mann seine Vorderseite eng an die Rückseite der Partnerin presst und seine Hände relativ weit oben an ihre Vorderseite legt. War’s das? Im Gegenteil. Die »Politik-Studentin« Davorska T. »übte erste Schritte auf dem Society-Parkett«, behielt aber trotz dieser heiklen Situation kühlen Kopf und stellte dem Boulevard-Kollegen diese Frage: »Darf ich etwas Rückenfreies tragen, wenn Frau Stoiber in der Nähe ist?« Bitte? Was soll das heißen? Ich meine, ich könnte einen Sinn in der Frage erkennen, wenn der Bayerische Ministerpräsident in der Nähe gewesen wäre.

Auf jeden Fall aber kann das Society-Küken im Werk von Queen Esther Marrow eine Antwort finden. Sie lautet »Walk Tall« und darf in diesem Fall so übersetzt werden: Fräulein, du kannst bei solch Anlässen nackt herumstehen oder nur mit ’nem Fetzchen auf der Rückseite deines wohlgestalten Leibes, der sowohl viele Männer und so manch Weib zu unkeuschen Gedanken verleitet, wichtig hingegen ist nur: walk tall!, lass niemals ab vom aufrechten Gang und falle nicht der Täuschung anheim, es könnte sich bei diesem Ausdruck nur um eine körperliche und nicht vor allem um eine geistige Position handeln. Zu der ich, sollte es zu einer Proseminararbeit »Der Aufrechte Gang unter spezieller Berücksichtigung der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung« kommen, diesen Hinweis geben darf (ohne irgendeine Form des Dankes zu erwarten).

»Walk Tall« war eine wichtige Hymne des afroamerikanischen Widerstands in den USA und wurde von Queen Esther Marrow mit Joe Zawinul geschrieben. Zur berühmtesten Einspielung kam es 1969 anlässlich des von Jesse Jackson ins Leben gerufenen Hilfsprogramms »Operation Breadbasket«; nach einer aufrüttelnden Rede des Reverends tanzen die Engel zu den Klängen des Cannonball Adderley Quintetts, der heißesten Soul-Jazz-Formation aller Zeiten. Queen Esther, einst entdeckt von Duke Ellington, hatte sich schon 1965 der Bürgerrechtsbewegung angeschlossen. Soviel auch zur Frage, ob man im Hintergrund dieser Gospel-Show mehr entdecken kann als einen soulvollen Gottesdienst, der schön anzusehen ist und in einer jubelnden Beschwörung des Weihnachtsfests endet.

Wie auf den berühmten Gemälden mit alttestamentarischen Szenen, so legen die Scheinwerfer Lichtbahnen vom Himmel zur Bühne herunter, in deren Mitte sich die Musiker in dunklen Anzügen versammeln, flankiert von blau strahlenden Lichtsäulen und den Treppen für die Auftritte der Harlem Gospel Singers. Sie tragen violett-gelbe, priesterähnliche Gewänder, von denen sich das rein helle von Chorgründerin Mrs. Marrow abhebt. Am Ende vieler Songs verbinden sie sich – freeze – zu einer menschlichen Skulptur, aus der Finger gen Himmel zeigen.

Es könnte sich also um eine Sekte handeln, deren Show in Las Vegas allen Anforderungen für eine TV-Übertragung zur besten Sendezeit entspricht. Dazu passend ist speziell der erste Teil eine bunte Revue mit Rock ’n’ Roll, Rhythm ’n’ Blues, Soul und Soft-Pop; oder auch ein Vortrag darüber, dass es in der populären Musik, außer der Neuen Deutschen Welle, kaum was gibt ohne Gospel-Wurzeln. Da ist Platz für ein getragenes »Swing Low Sweet Chariot«, für einen alle Höllenhunde verscheuchenden Temperamentsausbruch von Dorrey Lyles oder auch die Nikolausmütze, die sich der musikalische Leiter Anthony Evans mit dem Schlachtruf »Christmas Party!« überstülpt, um dann eine tobende, zitatreiche, komische Nummer am Klavier abzuziehen.

Irgendwann wird mir bewusst, dass hier was nicht passt zum gewohnten Bild der großen TV-Show. Es dauert eine Weile, bis ich weiß, was hier fehlt: die faden Sprüche des Moderators, die mäßigen Gimmicks und irre tollen Gäste und Tonnen nackter Beine vor schlechter Musik. Hier ist das scheinbar bekannte Bild plötzlich mit so viel Ernsthaftigkeit, Qualität und Konzentration auf die Musik aufgeladen, dass man sich fragt, wie man sich jemals zum Glauben bekennen konnte, dass die Hölle eine Show für die ganze Familie ist.

Während sie im ersten Teil ihren »Babies« viel Platz einräumt, stellt sich Queen Esther Marrow nach der Pause, jetzt in flammendes Rot gekleidet, ins musikalische Zentrum. Die Show wird dadurch strenger, inbrünstiger, heißer und steht ganz im Zeichen der Würde, die diese große Sängerin ausstrahlt, egal ob sie in überwältigender Ekstase oder im meditativen Gebet versunken scheint oder in einer Nightclub-Screamin’-Jay-Hawkins-Atmosphäre die Sünde an die Wand malt. Man glaubt, körperlich zu spüren, wie der ganze Saal von der Bühne aufgesogen wird. Aufgerufen und eingezogen von Gottes mobilem Spezialkommando.

Der Ungläubige hat nun nichts gesagt über das, was sie sagen, aber soviel kann er sagen: Einen Glauben, der solches Werk hervorbringen kann, hätte ich auch gern. Ohne zu verzweifeln über der Frage, wie ein und dasselbe Konzert auf Rudolph Mooshammer, Societypraktikantin Davorska T., meine Frau und mich dieselbe Wirkung haben kann. Oder wie es Cannonball Adderley gesagt hätte: »Mercy, Mercy, Mercy«.

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