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ОглавлениеLutz Vössing
Karen Dalton
• ERSTE LP 1969
Folk-Musiker*innen erzählen oft autobiografische Geschichten. Die Musikerin Karen Dalton (1938–1993) jedoch hat nie einen selbst geschriebenen Song gesungen oder aufgenommen, und dennoch schreitet ihre persönliche Lebensgeschichte, von der im Übrigen nur wenige Informationen wirklich gesichert sind, jedes Mal wie ein verkehrter Schatten ihrer Musik voraus. Es ist die Geschichte einer Frau, die mit 20 so singt, als hätte sie bereits zwei Leben hinter sich gehabt, die geradeheraus, ehrlich, mit ihrer krächzenden Stimme zu Lebzeiten gerade mal zwei Alben veröffentlichte, auf denen sie ihre Schwermut so roh und eindringlich einfing. Da ist das 1969 veröffentlichte It’s So Hard to Tell Who’s Going to Love You the Best und das kurze Zeit später aufgenommene und 1971 veröffentlichte In My Own Time.
Das Leben der in Enid, Oklahoma, in eine musikalische Familie geborenen Dalton hat einige Hoch- und Tiefpunkte. Glaubt man den teils irren Geschichten bzw. dem roten Faden der Wahrheit, von dem man ausgehen muss, klingt es vor allem nach einer langen Reihe von Tiefpunkten: gescheiterte Ehen, Kindesentzug, Drogenprobleme, künstlerische Erfolglosigkeit, Armut und nicht weniger als zwei ausgeschlagene Zähne durch ihren Ex, die sie sich durch den Erlös der beiden ersten Alben reparieren lassen wollte, wozu es jedoch nie kommen sollte. Lauscht man ihrer Musik, verstärkt das die Annahme einer leidenden Person, schafft sie doch mit ihrer starken und zugleich sehr zerbrechlichen Stimme eine äußerst intime, melancholische, von der Tragik ihres Lebens sprechende Stimmung. Müssen Künstler*innen leiden, um Leid in Musik glaubhaft darzustellen? Schwer zu sagen. Im Falle von Karen Dalton sind die Anzeichen deutlich. Man kann sogar zum Teil vage Parallelen zu der Geschichte des enigmatischen Folk-Musikers Jackson C. Frank ziehen, dessen Karriere ebenfalls einer Reihe von Schicksalsschlägen und Depressionen erlag. Sidefact: Karen Dalton sang den Song »Mole in the Ground«, bei Frank heißt er in einer anderen Version »Kimbie«.
Mit 17 war sie bereits zweimal verheiratet und Mutter zweier Kinder. Die Ehen scheiterten, das Sorgerecht für einen Sohn verlor sie. Sie krempelte ihr Leben um, verliebte sich in die Geschichten der amerikanischen Folk-Musik und trieb sich von nun an in den Kreisen um Tim Hardin, Fred Neil oder Dino Valente herum. Sie sang mit Bob Dylan, war als die wichtigste Frau in der Greenwich-Village-Folk-Szene der 1960er-Jahre anerkannt und Teil einer Hippie-Kommune mit Leuten wie Stan Brakhage. Bestes Terrain für eine steil verlaufende Karriere. Ihr Debüt bestätigt das. Hier klingt sie, wie man sie später auch auf den Live-Aufnahmen erleben wird, nämlich roh, straight-forward und so ungemein traurig. Beim zweiten Album klingt sie im Gegensatz zum Vorgänger etwas poppiger, etwas mehr Up-Beat. Das kann zwar durchaus schön sein, »Something on My Mind« sei nur ein Beispiel. Doch man hört auch den posthum veröffentlichen Aufnahmen an, dass ihre wahre Größe dann am besten zum Vorschein kommt, wenn sie allein, in ihrer Geschwindigkeit, nur mit Gitarre oder Banjo spielt, schön wie ein unbehauener Diamant. Auf 1966 ist das zu hören oder Green Rocky Road (zu Hause aufgenommen), besonders aber der 2007 als Cotton Eyed Joe veröffentlichte Live-Auftritt zeugt von ihrer starken, intensiven Präsenz, die schlechte Qualität der Aufnahme lässt jedoch nur einen Bruchteil des Glanzes zu, dessen sie mächtig war. Ebenfalls erst spät entdeckt wurden ihre selbst geschriebenen Texte. Ein paar wurden auf der Compilation Remembering Mountains: Unheard Songs by Karen Dalton von u. a. Sharon Van Etten, Julia Holter und Lucinda Williams interpretiert. Zum Einstieg sei allerdings ihr Erstlingswerk empfohlen, denn es zeigt am besten, was sie konnte und zu was sie wohl noch fähig gewesen wäre, hätte ihr Leben einen anderen Lauf genommen.
Karen Dalton, It's So Hard to Tell Who's Going to Love You the Best (Capitol, 1969)
Und nicht nur Bob Dylan sprach in höchsten Tönen von ihr, auch heute beziehen sich viele Künstler*innen auf Karen Dalton, darunter Mark Lanegan, Nick Cave, Joanna Newsom und Devendra Banhart. Trotz der Achtung, die ihr schon damals zuteil wurde, kam es weder zu Lebzeiten noch danach zum Durchbruch. Das lag einerseits an der Musikindustrie, die mit ihren Covern von alten Folk-Liedern oder auch denen ihrer Zeitgenossen wie Tim Hardin nichts anzufangen wusste, und andererseits auch an ihrer nicht konformen Art. Sie wollte bloß Musik machen. Im Gegensatz zu ihren Zeitgenoss*innen war sie eine schüchterne Person. Sie mied das Rampenlicht, fühlte sich unwohl, wenn sie auf der Bühne stand. Mit der Industrie konnte sie nie etwas anfangen. Im Gegensatz zu ihren Zeitgenoss*innen war sie eher schüchtern, mochte das Business nicht und wurde so zu Lebzeiten nicht »entdeckt«. In ihren letzten Lebensjahren verfiel sie den Drogen, infizierte sich mit HIV – und starb, nachdem man 20 Jahre nichts mehr von ihr gehört hatte, vereinsamt im Wohnwagen eines Freundes. Zeit ihres Lebens hatte sie mit sich und der Welt zu kämpfen. Was wäre wohl passiert, hätte sie früher die Aufmerksamkeit und den Erfolg erfahren, den die von ihrem Talent überzeugte, aber doch bescheidene junge Frau verdient hätte? Vielleicht hätte sie viel mehr von ihren Ideen und ihrer Kreativität verwirklichen können. Karen Dalton ist eine beeindruckende Frau in der vom männlichen Pathos dominierten Folk-Szene der 1960er-Jahre und ihre Lebensgeschichte gibt eindrücklich Probleme wider, die sich aus dem realen Problem der Verquickung von Privatleben und Musikgeschäft ergaben.