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Stefan Glander

Yoko Ono

• PLASTIC ONO BAND

• ERSTE LP 1970 (ERSTE AUFNAHMEN MIT JOHN CAGE 1962)


LP-Cover Yoko Ono, Fly (Apple, 1971)

»I like to fight the establishment by using methods that are so far removed from establishment-type thinking that the establishment doesn’t know how to fight back.« (What is the relationship between the world and the artist?, Mai 1971)

Eine nackte, liegende Frau mit geschlossenen Augen. Eine Fliege in Großaufnahme, die diesen Körper erkundet. Eine menschliche Stimme, die das nervöse Surren einer Fliege imitiert. Soviel Aufmerksamkeit wurde einer Fliege in der Kunstgeschichte wohl selten zuteil wie in dem Film Fly von Yoko Ono aus dem Jahr 1970. Fünfundzwanzig Minuten folgen wir erst einer, dann mehrerer Fliegen auf ihrem Weg über den reglosen weiblichen Körper – und der Stimme von Yoko Ono, die uns dabei begleitet. Dieser Körper ist dem Blick ausgeliefert – es ist jedoch nicht der männliche Blick, der den weiblichen Körper erkundet, sondern die Fliege. Der nackte und bewegungslose Frauenkörper entspricht der von der Gesellschaft verordneten passiven Rolle der Frau: durch die Verweigerung des männlichen Blicks dekonstruiert Yoko Ono jedoch die weibliche Rollenzuweisung. Fly ist repräsentativ für ihre Kunst: subtiler Humor, Gesellschaftskritik, Performancecharakter, experimentell, feministisch, politisch, menschlich.

Yoko Ono, am 18. Februar 1933 in Tokio geboren, ist vielen leider nur für ihren Verdienst bekannt, für die Trennung der Beatles mitverantwortlich zu sein. Die Ausstellung PEACE is POWER des Museums der bildenden Künste in Leipzig (4. April bis 7. Juni 2019), der bisher umfangreichsten Werkschau der Künstlerin in Deutschland, sollte diese Wissenslücke nun jedoch geschlossen haben. Ihre Gemälde und Objekte mit poetischen Anweisungen, Texte, Filme, Performances, konzeptuelle Fotografien, Mail Art, Installationen und Soundarbeiten berühren Grundfragen des menschlichen Seins. Die Verbindung aus westlicher Kunst und asiatischen Quellen ist einzigartig und ihr japanischer Gesang (sie studierte neben Philosophie auch klassischen Gesang) für westliche Ohren ungewohnt. Ihre Kunst stellt soziale Schranken und Hierarchien in Frage (Frau/Mann, Herr/Knecht, öffentlich/privat, West/Ost) und richtet sich gegen den typisch männlichen Habitus der seriösen Wissenschaftlichkeit, der auch vielen Werken ihrer männlichen Kollegen zugrunde liegt. Damit wird sie zu einer Wegbereiterin der Fluxus-Bewegung, mit dessen Begründer George Maciunas sie seit 1960 gemeinsame Veranstaltungen und Ausstellungen durchführt.

Ihr erstes öffentliches Solokonzert fand im November 1961 in der Carnegie Recital Hall in New York statt. Unter Mitwirkung der Komponisten George Brecht und La Monte Young (mit dem sie in ihrem Loft 1960/1961 Aufführungen neuer experimenteller Musik organisierte) erlebten die Besucher*innen eine Vokalperformance, Tanz, das verstärkte Rauschen einer Toilettenspülung und Geräusche vom Tonband (»Seufzen, Atmen, nach Luft schnappen, Würgen, Schreien …« The Village Voice, 7.12.1961). Im folgenden Jahr war sie an der Performance Music Walk von John Cage beteiligt. Es existiert ein Foto dieses Events, auf dem John Cage an einem Konzertflügel sitzt, der Deckel fehlt, Yoko Ono liegt quer über dem Flügel, rücklings auf den Saiten, ihr Kopf hängt über den Rand, der Mund ist weit geöffnet. Ono setzte das Cage’sche Konzept des prepaired piano mit ihrem eigenen Körper um.

1966 führt Yoko Ono im Rahmen des »Destruction in Art Symposium« in London mehrere ihrer Performances auf, unter anderem Cut Piece (die Künstlerin sitzt auf der Bühne und das Publikum darf nach eigenem Ermessen mit einer Schere einen Teil ihrer Kleidung abschneiden und mitnehmen). Anschließend hatte sie im November eine Einzelausstellung in der Londoner Indica Gallery. Hier begegnete sie zum ersten Mal John Lennon, der die Ausstellung bereits vor der offiziellen Eröffnung besuchte. Ein Jahr später wurde in ihrer Einzelausstellung in der Lisson Gallery mit Air Bottles die erste gemeinsame künstlerische Arbeit mit John Lennon ausgestellt.

Yoko Ono findet durch ihren neuen Lebenspartner ein neues Medium, das ihre musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten erweitert: die LP. Ihre performativen und konzeptuellen Arbeiten finden nun Eingang in die Popwelt. Gemeinsam mit John Lennon nimmt sie drei avantgardistische Platten auf: Unfinished Music No. 1: Two Virgins (1968), Unfinished Music No.2: Life with the Lions (1969) und Wedding Album (1969). Die Session für ihre erste LP bestand aus 14 Stunden nächtlicher Aufnahmen vom 19. auf den 20. Mai 1968 in John Lennons Wohnung in Weybridge. Auf dem Cover sieht man die beiden, nackt und Arm in Arm, in einem Zimmer stehen. Die LP kommt auf Betreiben der Plattenfirma in braunes Packpapier verhüllt in die Läden. Auf dem zweiten gemeinsamen Album geht es musikalisch dann heftiger zur Sache. Auf Cambridge 1969, das die gesamte erste Seite einnimmt, erzeugt Lennon mit seiner Gitarre heftige Feedback-Geräusche, während Ono ihre Stimme wie ein Free-Jazz-Saxophon einsetzt, eine Mischung aus dadaistischem Lautgedicht, Schreien und Anklängen an traditionellen japanischen Gesang. No Bed for Beatle John besteht aus gesungenen Zeitungsartikeln über Ono und Lennon und erinnert thematisch an Hanns Eislers Zeitungsausschnitte op. 11, in denen ebenfalls Zeitungsartikel vertont wurden. Das Wedding Album enthält nur zwei Titel. John & Yoko ist eine über zwanzigminütige Aneinanderreihung ihrer Namen, von flüsternd, zärtlich und fragend bis zum gegenseitigen Anbrüllen. Amsterdam wurde im Hilton Hotel in Amsterdam während einem bed-in aufgenommen und besteht hauptsächlich aus einem Interview. Zu den verschwurbelten Anmerkungen über den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust sollte man Yoko Ono bei Gelegenheit mal ansprechen.

In den folgenden Jahren veröffentlichte sie einige Soloalben, die mit ihrem Mix aus Avantgarde und konventionellen Musikstilen, verbunden mit ihren feministischen Texten, einen enormen Einfluss auf nachfolgende Musiker*innengenerationen hatte. Während ihr Gesangsstil und ihre Performance Rockfans aus der Fassung brachte, inspirierte sie die Punk-Generation nachhaltig. Auf ihrer ersten Solo-LP ( Yoko Ono/Plastic Ono Band, 1970) findet sich eine Live-Aufnahme mit dem Ornette Coleman Ensemble neben dem Krautrock-artigen »Greenfield Morning« und dem experimentellen »Paper Shoes«. Der eingangs erwähnte Soundtrack des Films Fly ist Teil ihres gleichnamigen, zweiten Soloalbums. Bei einigen Songs hört man bereits den Einfluss, den sie auf Musiker*innen wie Patti Smith (»Mind Train«) und die Talking Heads (»Hirake«) ausüben wird. Auf Yes, I’m a Witch (2007) arbeitete sie unter anderem mit Kathleen Hanna (Bikini Kill, Le Tigre), 2012 nahm sie mit Kim Gordon und Thurston Moore von Sonic Youth das Album YOKOKIMTHURSTON auf.

Sie ist sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch unter Künstler*innen nicht unumstritten (»Du nervst noch mehr als Yoko Ono«, Die Ärzte). Unbestritten jedoch hat ihr Voice Piece for Soprano aus dem Jahr 1961 – ihr Schrei gegen den Wind, gegen die Wand und gegen den Himmel – als Aufschrei gegen das Patriarchat nichts an Aktualität verloren.

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