Читать книгу These Girls - Группа авторов - Страница 27

Оглавление

Holger Adam

Joni Mitchell

• ERSTE LP 1968

Lange Jahre fand ich Joni Mitchell einfach nur irgendwie gut. Ohne mir weiterführende Gedanken zu machen, hörte ich mir ihre Musik an, wann immer mir der Sinn nach leicht melancholischem aber auch leichtfüßigem Folk stand. Die »Ladies from the Canyon« waren ja allesamt für ihre zartbesaiteten Balladen bekannt – manche mehr, manche weniger. Erst im Zusammenhang mit der Produktion des vorliegenden Sammelbands bzw. der kurz zuvor erfolgten Ausstrahlung von Martin Scorseses Dokumentation über Bob Dylans »Rolling Thunder Revue« begann ich, mich näher mit Joni Mitchells Karriere – ihrem Leben als Musikerin in den späten 1960er- und den 1970er-Jahren – zu beschäftigen. Joni Mitchell wird in Scorseses Dokumentation gezeigt, wie sie eine frühe Fassung von »Coyote« auf der Gitarre spielt und dazu singt – umringt von Kojoten: Roger McQuinn, Sänger der Byrds, und einige weitere Mitreisende der »Rolling Thunder Revue« sitzen im Wohnzimmer von Gordon Lightfood, His Bobness und McQuinn begleiten den Song ebenfalls auf der Gitarre und Joni Mitchell genießt die volle Aufmerksamkeit ihres männlichen Publikums sichtlich. Um ihre Ausstrahlung wissend, trägt sie lachend und souverän den Song vor. McQuinn gibt in genanntem Filmausschnitt zu Protokoll: »Joni wrote this song about this tour and on this tour and for this tour«, und damit lag er nicht ganz falsch. Nach gegenwärtigem Stand der Joni-Mitchell-Forschung fand der Song seinen Ursprung in einer Liaison mit dem ebenfalls mitreisenden Sam Shepard, darüber hinaus aber schrieb sie »Coyote« sowie den überwiegenden Teil der Songs für ihr achtes Album »Hejira« on the road – und zwar auf der Flucht vor den Männern, die ihr Leben nicht bestimmten aber doch immer wieder entscheidend geprägt hatten und weiterhin prägen sollten. Nach der Trennung von ihrem Verlobten, dem Schlagzeuger John Guerin, schloss sie sich zunächst Dylans Wanderzirkus an und fuhr später alleine durch Amerika, um sich zu sammeln und zu erholen: »In our possessive coupling / So much could not be expressed / So now I’m returning to myself / These things that you and I suppressed.« Unterwegs auf der Straße und pausierend in Cafés und Motels sinnierte sie über vergangene Liebesverhältnisse und ihr Leben und erwartete mit Blick auf die Zukunft weitere turbulente Beziehungsdramen: »I’m traveling in some vehicle / I’m sitting in some cafe / A defector from the petty wars / Until love sucks me back that way.« Ein erfahrungsgesättigtes und fatalistisches Resümee. Frei nach Werner Enke, würde es für Joni wieder böse enden. Sie wusste es, sie hatte es schon erlebt und sie erwartete für die Zukunft nichts Gegenteiliges.


Joni Mitchell, 1983

Zum Zeitpunkt der Niederschrift des Textes von »Hejira« war sie u. a. mit Leonard Cohen, Graham Nash, James Taylor und Jackson Browne liiert gewesen, hatte einen Suizidversuch hinter sich und noch bevor sie zur gefeierten Folk-Sängerin mit wechselnden Liebhabern wurde, hatte sie unverheiratet und heimlich ein Kind ausgetragen und zur Adoption freigegeben. Auch eine kurzzeitige Ehe mit Chuck Mitchell hatte sie ausprobiert – und behielt immerhin den Nachnamen aus dieser Verbindung. Wilde Zeiten für eine Frau, die nicht hinter den Herd wollte, die rastlos und schonungslos nach Selbstständigkeit und Unabhängigkeit strebte – und so unerschrocken wie verletzlich das (auch sexuelle) Abenteuer suchte. Warum auch nicht? Die männlichen Kollegen mussten sich für ihren Verschleiß auch nicht rechtfertigen. Und so saß sie dann wieder da, umringt von Dylan und Co. und sang ein schlüpfriges Lied, das ihr abenteuerlustiges Verhältnis zu (den falschen) Männern beschrieb. Sang von Männern, die hinter jedem Rock her sind – und Frauen, die wussten, was sie hatten und kriegten, was sie wollten: »That coyote’s at my door / He pins me in a corner and he won’t take no / He drags me out on the dance floor / And we’re dancing close and slow / Now he’s got a woman at home / He’s got another woman down the hall / He seems to want me anyway.«

Sich vor dem Hintergrund der beschriebenen Szene Joni Mitchell als hilfloses MeToo-Opfer vorzustellen, greift zu kurz. Nichtsdestotrotz deutete Mitchell in diesen Zeilen sexuelle Attraktion an, die, wenn sie nicht von vornherein als gewaltsam interpretiert werden musste, doch jederzeit in Gewalt umschlagen konnte. Davon konnte Joni Mitchell schon damals nicht nur ein Lied singen. Lieder, die vor Referenzen an vergangene Liebhaber und damit verbundene nicht nur seelische Verletzungen erzählten, Lieder, die Ausdruck ihres emotionalen und emanzipatorischen Kampfes waren, Lieder, die die Erfahrungen der Frauen der Baby-Boomer-Generation in den USA reflektierten: weiße, gebildete und mehr oder weniger privilegierte junge Frauen aus der (gehobenen) amerikanischen Mittelschicht, widerspenstig gegenüber einengender häuslicher Verhältnisse aber auch in ihrem Geschlechter- und Rollenverständnis eher konservativ, unheilbar romantisch und unzweifelhaft weiblich-heterosexuell orientiert und insofern auch auf die Anerkennung von Männern angewiesen. Die New Yorker Autorin Sheila Weller hat in Girls Like Us die exemplarischen Lebenswege und Kämpfe von Joni Mitchell, Carole King und Carly Simon, den drei Singer-Songwriter-Superstars der 1970er-Jahre, nachgezeichnet und so, weit über das popkulturelle Milieu hinaus, nachvollziehbar gemacht, wie die drei Künstlerinnen – gerade aufgrund all der gelebten Widersprüche – zu vielgeliebten Vorbildern oder Projektionsflächen (nicht nur) für Frauen ihrer Generation werden konnten. Noch mit einigen Jahrzehnten Abstand liest sich diese Geschichte atemberaubend und lohnt sich die Auseinandersetzung mit der Musik von Joni Mitchell und ihren Kolleginnen und den Fragen und Perspektiven, die ihre Lieder aufwerfen. Nicht zuletzt können Männer hier lernen, ihre Männlichkeit zu entgiften.

These Girls

Подняться наверх