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KUKU SCHRAPNELL

Marianne Rosenberg

• ERSTE SINGLE 1970


Marianne Rosenberg, 2009

Angefangen in der kleinstädtischen Metal- und Punkjugend bis in die Existenz als linke Großstadt-Schrulle, bei aller Liebe und Harmonie, die man sich in all den Freundinnenkreisen und Filterbubblen aufbaut: Bei Musik hört der Spaß auf. Klar, heute ist man da breiter aufgestellt, heute hört man nicht nur Metal und Punk, sondern auch Poststep, Grimecore und Neofolk, der aber nicht von Nazis gemacht wird. Dann gibt’s natürlich auch immer noch die Leute, die ironisch zu DJ Bobo gehen oder zu Santiano oder zu den Onkelz. Einig waren sich aber immer alle, dass Schlager der Feind ist. Wenn man an Andreas Gabalier oder die Wildecker Herzbuben denkt, ist es auch total nachvollziehbar, mit Schlager nichts zu tun haben zu wollen. Irgendwelche Männer mit schwierigen Texten und volkstümlichen Kostümen und dazu so ein Dauerekelgrinsen im Gesicht, das Publikum ähnlich, nur noch betrunkener. Aber was ist denn mit Hildegard Knef? Oder mit Katja Epstein? Oder mit Marlene Dietrich, die uns ihr »Deutschland? Nie wieder!« schenkte? Oder eben mit Marianne Rosenberg?

Es folgt der klassische Faktenteil: Marianne Rosenberg wird 1955 in Westberlin geboren. Ihre ersten Auftritte hat sie mit fünf auf Bartischen, wenn ihr Vater sich betrunken nach der Musik seiner ermordeten Familie sehnt. Mit 14 der erste Talentwettbewerb, der Startschuss für die Karriere in der Musikindustrie. Dort bleibt sie erst mal eine Weile.

Das Mädchen wird zum Star. Also Auftritte auf echten Bühnen und im Fernsehen und bei noch mehr Wettbewerben. Ausverkauf der Seele, Verrat der eigenen Künstlerinnenidentität und all sowas könnte man jetzt sagen. Oder halt dass da eine ihre Familie ernährt hat, eine, die schon früh erfährt, was Antiziganismus heißt, in einem Land, in dem niemand Täter war. Weil sie als Schlagerstar nicht mehr als Sintezza gesehen wird, vermutet man einfach, dass sie wohl lesbisch sei, da sie in der Öffentlichkeit keinen Boy dabei hat, dabei hatte sie sich nur geschworen, sich von keinem Mann je beherrschen zu lassen.

Der Erfolg hält sich im Rahmen. Er ist nicht klein, aber auch nicht der eines Superstars. Okay, zwei Bravo-Ottos – aber ein Preis, der Otto heißt, ist halt auch nur ein Preis, der Otto heißt. Kein Riesendurchbruch. Das merken auch die Plattenfirmen und Marianne ist wieder raus aus dem Business. Also nicht ganz. Es folgen die großartigen Blondie-Cover auf Deutsch oder der antiimperialistische Smash-Hit »Amerika« mit dem schwulen Kommunisten Schernikau, der den Text beisteuert. Dann das Feature mit Extrabreit »Duo Infernal (Rückkehr der phantastischen Fünf)«. Alles Lieder, die man aus den unterschiedlichsten Gründen schlecht finden kann, aber dann ist man eben ein schlechter Mensch. In dieselbe Zeit fallen auch die Filme mit Rosa von Praunheim und Marianne Enzensberger. Mit »Enzi« macht sie auch eine seltsame Radioshow und grandios verwirrte Auftritte als Rouge et Noir. Dazu hier und da ein bisschen Schwarzer Block, auch gerne mal mehr, aber immer très chic, sehr zum Leidwesen der Genossen.

Natürlich kommt sie auch mit Rio Reiser zusammen. Also nicht zusammen zusammen, aber künstlerisch und freundschaftlich. Dahinter steckt etwas, das die Rosenberg schon immer ausgemacht hat, denn bevor Rio ihr Freund wurde, war er ihr Fan (auch umgekehrt, aber darum geht’s hier nicht). Ihren größten Erfolg hatte sie schon immer unter den Abgehängten und Ausgestoßenen, den Perversen und den Heimkindern, egal ob mit Schlager oder mit Neuer Deutscher Welle. Jetzt muss man zum Glück nicht mehr die Trennung von Kunstwerk und Künstlerin behaupten, wenn es um Pop geht, aber man darf auch nicht einfach verkürzen. Trotzdem gibt es in all diesen Liedern von Marianne Rosenberg etwas zutiefst Trauriges. Nein, das ist übertrieben. Es gibt in all diesen Liedern etwas Unpassendes und Unfertiges. Irgendetwas liegt immer ein bisschen daneben – und das ist als höchstes Kompliment gemeint. Viele haben so etwas ja später auch noch versucht, die ganze Hamburger Schule wollte verkrampft Schlager machen, ohne Schlager zu machen, aber Marianne Rosenberg gelingt es einfach in ihrer ganz persönlichen Traurigkeit, in ihrem ganz intimen Scheitern, einen kleinen Riss in die Popfassade zu zaubern, und darin liegt mehr Traurigkeit und mehr Schönheit als in den meisten Herzschmerzsongs, die ich sonst so höre.

Aber natürlich muss man auch Kritik üben. Denn auch wenn es ursprünglich für sie geschrieben wurde, ist es wirklich nahezu unverzeihlich, das schönste Liebeslied, das je auf Deutsch geschrieben wurde, »Für immer und dich« acht Jahre nach dem Tod von Rio Reiser ausgerechnet mit Xavier Naidoo neu aufzunehmen.

Doch soll dieser Text versöhnlich enden und es gibt wohl nichts Versöhnlicheres als das Idol selbst zu Wort kommen zu lassen. Denn Naivität ist manchmal eine Tugend, genauso wie die Lüge: »Warum sich die Menschen Lieder wünschen, bei denen man weint, verstehe ich nicht.«

These Girls

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