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3. Nelle mani giuste: Berlusconis Aufstieg an der Schnittstelle von Politik, Wirtschaft und Verbrechen
ОглавлениеVerstrickungen von Politik, Wirtschaft und Mafia sind nicht nur das zentrale Thema von Nelle mani giuste, sondern auch von dessen Vorgängerroman Romanzo criminale (2002), in dem De Cataldo ein umfassendes Panorama der Verflechtungen staatlicher, parastaatlicher und krimineller Strukturen in Italien von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart entfaltet.1 Romanzo criminale trägt bereits im Titel eine Referenz auf den Kriminalroman, ein Genre, das sich in Italien bereits seit seiner Entstehung als kritische und engagierte Literatur präsentiert.2 Der italienische ‚Giallo‘ – zu Deutsch ‚gelb‘; so benannt nach der Umschlagsfarbe einer Kriminalroman-Reihe des Verlags Mondadori – zeichnet sich zum einen durch einen hohen Lokalbezug aus; zum anderen beziehen sich Autorinnen und Autoren des ‚Giallo‘ immer wieder auf politisch brisante Themen wie ungelöste Kriminalfälle, in die Staat, Mafia und Wirtschaft verwickelt sind, um mit Mitteln der Fiktion literarische Hypothesen aufzustellen und nicht nachweisbare oder verschleierte Sachverhalte zu rekonstruieren. Der italienische Kriminalroman lässt sich entsprechend als Genre bezeichnen, „che affonda le radici nella realtà“ (Sangiorgi 21), also als eines, das in der Realität verwurzelt ist.
Zu den Pionieren des ‚Giallo‘ zählt unter anderem Leonardo Sciascia, der in Romanen wie Il giorno della civetta (1961) und Todo modo (1974) die Verflechtungen von Mafia und Politik thematisiert. Seine Romane lassen sich als ‚Anti-Detektivromane‘ beschreiben, denn angesichts der scheinbaren Übermacht der Mafia und politischer Interessen sind den aufklärenden Ermittlern die Hände gebunden, so dass die Wahrheit zwar aufgedeckt wird, aber nicht bekannt gemacht werden kann.3 So wird in Todo modo zwar augenscheinlich die Lösung für eine Reihe von Mordfällen gefunden, aber nicht preisgegeben; der ermittelnde Kommissar äußert sich zudem nur vage und resigniert: „– Non si troverà, il colpevole; non si troverà mai – disse malinconicamente il commissario.“ (Sciascia 120)4
De Cataldos Kriminalromane erweisen sich durch den konkreten Bezug auf reale, beim Namen genannte Personen und tatsächlich stattgefundene Ereignisse als noch anspielungsreicher als Sciascias Romane. Nelle mani giuste spielt zwischen 1992 und 1993, mitten in einer politischen Umbruchsituation Italiens: „Quello che si cerca di fotografare nel romanzo è un passaggio fondamentale della storia politica in Italia o meglio, della storia del potere in Italia.“ (Amici 82)5 Die Handlung setzt sich aus mehreren sich überkreuzenden Erzählsträngen zusammen: Vertreter der Mafia sowie Politiker und Journalisten, sowohl von links als auch von rechts, spielen eine Rolle, ebenso ein privater Unternehmer, der aufgrund von Verbindungen zur organisierten Kriminalität ins Visier der Ermittler gerät, sowie Mitglieder verschiedener Geheimdienste beziehungsweise paramilitärischer Organisationen. Ein zentrales Thema stellt das Gleichgewicht und Miteinander von Staat, Mafia und Unternehmertum dar:
Finchè c’è convenienza, finchè c’è un tornaconto, Stato e mafia possono sedersi a un tavolo e trattare come due pari, gli imprenditori possono pagare tangenti al sistema politico, i politici possono adeguare le loro idee e scegliere un diverso schieramento. (Ebd.)6
Parallel verfolgt der Roman den Aufstieg Silvio Berlusconis zum italienischen Ministerpräsidenten. Vor seinem Eintritt in die Politik zählte Berlusconi bereits zu den reichsten und einflussreichsten Managern Italiens. Als Medienmogul erwies sich Berlusconi den Machthabern der so genannten ‚Ersten Republik‘ Italiens als nützliches Sprachrohr und konnte im Gegenzug auf ihre Unterstützung zählen (vgl. Krempl 117).
Anfang der 1990er Jahre kam es zum Zusammenbruch des etablierten Parteiensystems, das von Korruptionsskandalen erschüttert wurde: Im Rahmen einer großangelegten Ermittlung wurde das Ausmaß von Schmiergeldzahlungen aufgedeckt, in die alle großen Parteien verwickelt waren.7 Von Mailand aus gerieten italienweit Städte und Kommunen ins Visier der Ermittler; die Generalsekretäre aller Regierungsparteien mussten zurücktreten. Für einige Parteien wie die Democrazia Cristiana bedeutete der Skandal das Ende, die Partei spaltete sich in mehrere kleinere Gruppen auf.8
Während die Ermittlungen noch liefen, verkündete Berlusconi im Januar 1994 die Gründung seiner Partei Forza Italia; treibende Kraft hinter der Gründung war sein Vertrauter Marcello Dell’Utri, der rund zehn Jahre später aufgrund von Kontakten zur Mafia zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden sollte.9 Dell’Utri bediente sich bei der Vorbereitung der Parteikampagne der Werbesparte von Berlusconis Holding Fininvest,10 der 1979 gegründeten Publitalia – ein erster Hinweis auf die Vermischung von wirtschaftlicher und politischer Ebene, die Berlusconis Politikstil charakterisiert:
Als Inhaber der größten Werbeagentur Italiens muß [sic!] er […] nicht groß umlernen, als Besitzer von drei Fernsehkanälen und mehrerer Zeitungen und Magazine stehen ihm alle Mittel zur Verfügung, die von seinen Marketing-Strategen erdachten Botschaften direkt unters Volk zu bringen. Und so macht Berlusconi, was er immer schon gemacht hat – Selbstvermarktung und Unternehmensführung – auch weiterhin, allerdings unter dem neuen Namen der ‚Politik‘. (Krempl 126-7)
Nur zwei Monate später gewann Berlusconi die Wahlen in Italien. Er ging dabei Koalitionen mit der neofaschistischen Alleanza Nazionale und der rechten, populistischen und separatistischen Lega Nord ein.11
In Nelle mani giuste tritt Berlusconi selbst nicht als Protagonist auf; stellvertretend für seinen Politikstil steht die Figur Emanuele Carú. Carú wird als skrupelloser, opportunistischer Journalist charakterisiert, der vormals der Linken angehörte und sich nun für die Rechte starkmacht. Im nachfolgend zitierten Kapitel „L’illuminazione di Carú“ („Carús Erleuchtung“) werden die Anfänge von Berlusconis politischen Bestrebungen geschildert; bei einem Abendessen im Kreise von Mitgliedern der Loge, der auch Carú angehört,12 hört der Journalist zum ersten Mal von Berlusconis Absicht, in die Politik zu gehen:
Später erfuhr Carú […], dass der Typ dem mittleren Management von Publitalia angehörte, der Werbeagentur von Berlusconis TV-Sendern. Am Anfang war er zwar ungläubig und auch ein wenig belustigt gewesen – Berlusconi in der Politik? Reagan war zwar auch Präsident der USA gewesen, immerhin – doch in den Tagen darauf sah er die Sache langsam in einem anderen Licht. […] Von Berlusconi ging eine gewisse Faszination aus. Er hatte Charisma. Er war skrupellos. Wer ihn kannte, behauptete, dass man sich seinem Charme kaum entziehen konnte. Er war glühender Antikommunist. Er war überzeugt, dass es die Linken auf ihn abgesehen hatten. Der Sieg der Roten war womöglich sein Untergang. Berlusconi hatte auch einen Haufen Schulden und eine politische Lösung konnte seinem Unternehmen nur nutzen. (Schmutzige Hände 216-7)13
Für die Frage, in welcher Form in De Cataldos Roman Kritik an wirtschaftlichen beziehungsweise kapitalistischen Strukturen geäußert wird, sind in erster Linie die in freier indirekter Rede wiedergegebenen Überlegungen Carús zur Rolle Berlusconis von Bedeutung. Aus Carús Visionen für die politische Zukunft Italiens geht deutlich hervor, dass durch Berlusconi als Schlüsselfigur eine klare Trennung zwischen Staat und Wirtschaft beziehungsweise Unternehmertum nicht mehr möglich ist. Zentral hierfür ist die Aussage: „Berlusconi hatte auch einen Haufen Schulden und eine politische Lösung konnte seinem Unternehmen nur nutzen.“ Zudem wird die fast schon paranoide Angst Berlusconis vor „den Kommunisten“ genannt, etwa in der Formulierung „[d]er Sieg der Roten war womöglich sein Untergang“ – ein Hinweis darauf, dass mögliche Staats- und Wirtschaftsformen jenseits des Kapitalismus für einen Unternehmer wie Berlusconi ein ‚worst case scenario‘ darstellen.
Weitere Beispiele aus dem Roman verstärken diesen Eindruck. Exemplarisch dafür ist ein Kapitel, in dem Carú sich mit dem ehemaligen Kommissar Scialoja – einer bereits aus Romanzo criminale bekannten Figur – trifft und versucht, ihn davon zu überzeugen, sich ebenfalls an einer möglichen zukünftigen Regierung Berlusconi zu beteiligen:
Scialoja hatte wie betäubt zugehört, während sein Gehirn auf Hochtouren arbeitete. Neue Partei … unvorstellbares Szenarium … der Unternehmer wird Staatsmanager, beziehungsweise der Manager des Staates … eine faszinierende Idee, nein, mehr noch, eine verführerische Idee … Berlusconi … der so sympathisch ist … so gerissen … so italienisch … (SH 308).
Hier wird die Verknüpfung, ja mehr noch, die komplette Verschmelzung von Politik und Wirtschaft deutlich: In der freien indirekten Rede der Figur Scialoja wird Berlusconi nicht mehr als Ministerpräsident, sondern als „Staatsmanager“, als „Manager des Staates“ bezeichnet.14
Auch ein weiterer Aspekt der Kapitalismuskritik, der mögliche Moral- und Gemeinschaftsverlust in kapitalistischen Gesellschaften, kommt in Nelle mani giuste zum Tragen. Berlusconi als exemplarischer Kapitalist wird aus der figuralen Perspektive Carús explizit als „skrupellos“ (SH 217) bezeichnet; die Figur Carú selbst, die sich ganz in den Dienst Berlusconis und der ‚neuen Rechten‘ stellt, steht ihm in dieser Hinsicht in nichts nach:
Carú nahm sich nie ernst. Carú nahm keine Idee ernst. Carú hielt das rechte Gedankengut für Dreck.
Carú hielt das linke Gedankengut für Dreck. Carú hielt jedes Gedankengut für Dreck.
Carú dachte, dass sich ein intelligenter Mensch gewissermaßen eine Zeitlang von einer Idee pachten lässt, um größtmöglichen Profit daraus zu schlagen. Keine Minute länger, keine Minute weniger. (SH 214-5)
Carú wird als Repräsentant einer Haltung gegenüber Staat und Gesellschaft inszeniert, für die nur die Profitmaximierung und das eigene Weiterkommen zählt; die anaphorische Wiederholung seines Namens unterstreicht diese Ich-Bezogenheit. Die Verwendung eines marktwirtschaftlichen Vokabulars – pachten, Profit15 – verweist auf das bereits angesprochene Themenfeld der Kapitalismuskritik, das sich mit Fragen von Moral oder Unmoral befasst: Carù steht dabei für einen politischen Akteur, dessen ‚Engagement‘ von Profitgier und Eigennutz und nicht vom Interesse am Gemeinwohl bestimmt ist.
Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die Fiktion im Falle von Nelle mani giuste die Möglichkeit bietet, anhand entsprechend gezeichneter – und auch bewusst überzeichneter Figuren, wie das Beispiel Carús verdeutlicht – komplexe Zusammenhänge sowie Kritik an politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen auf den Punkt zu bringen. Eine entsprechende Äußerung De Cataldos findet sich auch im Vorwort zu Nelle mani giuste; hier spricht der Autor gezielt von der Funktion solcher fiktionaler Freiheiten:
Abgesehen von den bewusst genannten realen Personen sind die Protagonisten dieses Romans jedoch frei erfunden; Firmennamen, öffentliche Strukturen, Medien und Politiker werden nur genannt, um Figuren, Bilder und das Wesen der kollektiven Träume zu benennen, die sie wesentlich mitgeprägt haben. Nur die metaphorische Überhöhung gestattet es, die Personen, die dem Autor als Vorbild gedient haben, in literarische Archetypen zu verwandeln. (SH 5)
In De Cataldos Anmerkungen zu seinem Roman finden sich Bezugspunkte zu den bereits eingangs angesprochenen Merkmalen fiktionalen Erzählens, die es auf einer pragmatischen Ebene von faktualem Erzählen unterscheiden:
[…] what distinguishes fictional narrative from factual narrative is not that the former is referentially void and the latter referentially full. What distinguishes them is the fact that in the case of fictional narrative the question of referentiality is irrelevant, whereas in non-fictional narrative contexts it is important to know whether the narrative propositions are referentially void or not. (Schaeffer, Absatz 26)16
Bedeutet diese Aussage, dass fiktionales Erzählen nicht daran gemessen werden kann, ob die darin getroffenen Aussagen einen konkreten Bezug in der ‚realen‘ Welt haben, heißt dies im Umkehrschluss aber nicht zwangsläufig, dass dies nicht der Fall sein darf – in De Cataldos Fall ist der Verweis auf reale Personen und Ereignisse sogar eminent wichtig, damit die Leserinnen und Leser einen Bezug zur konkreten Situation in Italien erkennen und zu kritischer Reflexion angeregt werden können.