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Dilemmatypen

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Zu unterscheiden sind drei Dilemmatypen, nämlich positive, falsche und negative Dilemmata:

1. Positive Dilemmata sind eigentlich keine richtigen Dilemmata. Bei ihnen stellt sich lediglich die Frage nach dem einzuschlagenden Weg, weil das Ergebnis – egal welches Mittel man wählt – immer das gewünschte sein wird. Man kann sich beispielsweise zwei unterschiedliche medizinisch-therapeutische Maßnahmen vorstellen, deren Anwendungen gleichermaßen zur Genesung einer Patientin oder eines Patienten führen. In diesem Fall ist es daher unerheblich, für welche der beiden Maßnahmen sich die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt entscheidet, da die Patientin bzw. der Patient durch das gewählte Verfahren auf alle Fälle gesunden wird.

2. Wie der Name schon andeutet, handelt es sich bei einem falschen Dilemma ebenfalls um kein wirkliches Dilemma. Es trägt seinen Namen deshalb, weil man die Vorstellung gewinnt, dass es zu einer Streitfrage nur genau zwei sich widersprechende Standpunkte gibt, selbst dann, wenn beide Positionen gar nicht im Widerspruch zueinander stehen oder zumindest eine weitere Handlungsoption angedacht werden kann. Das von Frank Zenker angeführte Beispiel für ein falsches Dilemma, „Wir machen das entweder richtig, oder wir machen das gar nicht“3, zeigt klar, dass die Sprecherin oder der Sprecher erstens überhaupt nur zwei Handlungsmöglichkeiten vor Augen hat, nämlich „es richtig zu machen“4 oder „gar nicht“, und zweitens sie bzw. er keine weitere Handlungsoptionen ins Kalkül zieht, obwohl die Aussage, „es richtig zu machen“, diese durchaus impliziert.

3. Ein negatives Dilemma meint eine Situation, in der eine Person zwischen zwei unerwünschten Alternativen5 eine Entscheidung herbeiführen muss. Die Person weiß also vom ersten Moment an, dass sie sich mit der Wahl von Möglichkeit A nicht nur gegen Möglichkeit B entscheidet bzw. umgekehrt, sondern zugleich die jeweils andere unmöglich werden lässt. Darüber hinaus weiß sie auch, dass es in einer solchen Zwickmühle6 keine – weder für sie selbst noch für andere Beteiligte – irgendwie zufriedenstellende Lösung geben kann bzw. wird. Da sie mit ihrer Wahl in jedem Fall gegen eine von zwei gebotenen moralischen Pflichten verstößt, zieht jede der von ihr in Augenschein genommenen Alternativen unweigerlich negative Konsequenzen nach sich.7 Das Beispiel „Sophies Wahl“ aus dem gleichnamigen Roman von William Styron verdeutlicht das Gesagte: Sophie wird mit ihren beiden Kindern während des Zweiten Weltkrieges nach Auschwitz deportiert. Von einem NS-Offizier wird sie dort vor die Wahl gestellt, entweder beide Kinder in den sicheren Tod zu schicken oder eines von ihnen zu retten. Sie habe – so sagt ihr der sadistische Offizier – die Wahl, zu entscheiden, welches Kind weiterleben dürfe. Treffe sie keine Entscheidung, würden ihr beide Kinder weggenommen. Sophie entscheidet erst im letzten Moment, als die Nazis bereits beginnen, ihr die Kinder zu entreißen, dass ihr Sohn weiterleben soll.

Egal, welche Entscheidung Sophie auch trifft, sie hat keine Option, in irgendeiner Weise richtig zu agieren. Trifft sie die Wahl, dass ihr Sohn weiterleben darf (Möglichkeit A), entscheidet sie sich gegen ihre Tochter, die dann in einer Gaskammer ihr Leben verlieren wird. Trifft sie die Wahl, dass ihre Tochter weiterleben darf (Möglichkeit B), muss ihr Sohn sein Leben hingeben. Trifft sie keine Wahl (Möglichkeit C), sterben beide Kinder. Man kann also sagen, dass Sophies Handeln zugleich etwas Positives als auch Negatives bewirkt. Positiv ist die Tatsache, dass sie einem ihrer Kinder das Leben retten kann, negativ, dass sie das andere dem Tod preisgeben muss. Indem Sophie sich gegen eines ihrer Kinder wendet, verstößt sie unweigerlich gegen das moralische Gebot, jeglichen (körperlichen) Schaden von Menschen grundsätzlich fernzuhalten.

Die Entscheidung, die Sophie zu treffen hat, dürfte wohl jeden Menschen moralisch extrem belasten. Wie oft wird sich Sophie in der Folge wohl vorgeworfen haben, auf die Konversation mit dem deutschen NS-Offizier eingegangen zu sein? Hätte sie ihm seine Frage, ob sie eine »dreckige Kommunistin« sei, nicht beantwortet, wäre sie wohl nie vor die schreckliche Wahl gestellt worden. Sowohl die Tatsache, dass Sophie sich Vorwürfe macht, sie hätte die Situation umgehen können, eine Entscheidung treffen zu müssen, als auch der Umstand, eine (tödliche) Entscheidung herbeigeführt und selbst den Holocaust überlebt zu haben, lösen bei Sophie das sogenannte Überlebensschuld-Syndrom aus. Ein wesentliches Merkmal dieses Syndroms besteht darin, dass der oder die Betreffende von Schuldgefühlen geplagt wird, die Internierung in einem Konzentrationslager „überlebt zu haben, obwohl viele Menschen durch dieses Ereignis oder bei diesem Ereignis ums Leben gekommen sind. Entscheidend […] ist das Schuldgefühl des Betroffenen, dass er gewollt oder ungewollt überlebt hat, während andere Personen um ihn herum gestorben sind, ohne dass er diesen hat helfen können“.8

Das Überlebensschuld-Syndrom macht evident, wie schwierig es für Sophie fortan sein wird, mit der Schuld, die sie vermeintlich auf sich geladenen hat, zu leben: „Wenn Sophie dem […] [Offizier] nicht geantwortet hätte, wären beide Kinder in die Gaskammern von Auschwitz geschickt worden. Dies ist schrecklich. Doch dann hätte sie lediglich die Nazis, das Schicksal oder Gott verfluchen müssen. Jetzt muss sie sich jedoch auch selbst anklagen und sich mit unerträglichen Selbstvorwürfen quälen. Hätte sie geschwiegen, hätte […] nicht die Verantwortung für den Tod ihrer Tochter auf sie […] [abgewälzt werden] können“.9

Philosophieren mit Dilemmata

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