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Nikolaus Schneider, EKD, Hannover
«Was ist das Reformationsjubiläum? Wem gehört es? Warum sind wir alle hier zusammen in Zürich?»
Sehr geehrte Damen und Herren
Das Reformationsjubiläum 2017 ist ein Ereignis von Weltrang!
In Deutschland ging der erste Anstoß zum Thema «Reformationsjubiläum» schon 2003 aus den Reihen der katholischen Kirche hervor, nämlich von Kardinal Kasper auf der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Winnipeg. Kardinal Kasper verwies damals auf dieses Datum 2017 und stellte die Frage nach den ökumenischen Dimensionen des Ereignisses. Bald danach nahm der damalige Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Prof. Dr. Wolfgang Böhmer, den Ball auf und lud Staat und Kirche ein, das Reformationsjubiläum 2017 gemeinsam in den Blick zu nehmen.
Wir sind dankbar, dass gegenwärtig nicht nur die Bundesregierung, sondern auch viele Bundesländer und betroffene Kommunen bei der Vorbereitung des Jubiläums mitwirken. Und es gehört zweifellos zu den eher seltenen Ereignissen im Deutschen Bundestag, dass alle Parteien – also auch die Linken – gemeinsam im Oktober 2011 den Beschluss gefasst haben, dass das Reformationsjubiläum 2017 als «ein Ereignis von Weltrang» von der Bundesregierung zu fördern und zu unterstützen sei.
Wir werden also in Deutschland ein großes Jahr mit Kirchentagen und einer Weltausstellung der Reformation in Wittenberg feiern. Es werden nationale Ausstellungen, erstklassig restaurierte und museumspädagogisch herausragende touristische Attraktionen etwa in Wittenberg, Eisenach, Eisleben und Torgau Menschen in das «Kernland der Reformation» locken. Große Fachkongresse ziehen ein Fachpublikum nach Wittenberg, Halle und Berlin.
Der Wissenschaftliche Beirat, der die staatlichen und die kirchlichen Partner inhaltlich berät, hat im Jahre 2009 «Perspektiven für das Reformationsjubiläum 2017» vorgelegt. Da heißt es unter anderem:
Es gilt «auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017 die Relevanz, die die Reformation weit über Theologie und Kirche hinaus für die unterschiedlichen Bereiche unserer gegenwärtigen Kultur besitzt, herauszustellen |29| und nach deren Deutungspotenzial in einer von Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung bestimmten Zeit zu fragen. Solche Gegenwartsdeutung … stellt angesichts der Signatur des Protestantischen in der modernen westlich geprägten Kultur einen Beitrag zur Bewahrung wie zur Fortentwicklung der Identität dieser Kultur dar.»4
Nun kann man natürlich fragen, ob eine von kirchlichen und staatlichen Stellen getragene Vorbereitung des Reformationsjubiläums gut und richtig ist. Schimmert hier nicht vielleicht eine veränderte Wiederauflage der alten Verbindung von Thron und Altar, von Staat und Kirche, ja, von Preußen und Protestanten durch, die niemand ernsthaft wünscht? Doch eine kulturelle «Signatur des Protestantischen», die unsere Gesellschaft, die auch unseren Lebensraum Europa prägt, bleibt eben nur «Signatur». Für eine inhaltliche, theologisch fundierte Ausgestaltung des Reformationsjubiläums ist das nur ein Baustein. Wir sind davon überzeugt, durch unsere genuin theologischen Beiträge der Gefahr einer Neuauflage der überholten Allianz von Thron und Altar widerstehen zu können.
Ich will das an zwei inhaltlichen Akzentsetzungen verdeutlichen:
1. Das Reformationsjubiläum feiert das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus!
Der 31. Oktober 1517 ist ein Symboldatum für die Wiederentdeckung der befreienden Kraft des Evangeliums. Die immer wieder neu faszinierende Erzählung vom Anschlag der 95 Thesen Martin Luthers zur Buße an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg hat sich in das kulturelle Gedächtnis unseres Landes eingeprägt. Wir feiern mit diesem Datum nicht den Geburtstag unserer evangelischen Kirche – den sehen wir im Übrigen im Heilshandeln Jesu Christi und dem gemeindegründenden Reden und Handeln der Apostel gut aufgehoben. Wir feiern, dass das Evangelium mit diesem Ereignis einen neuen Weg zu den Menschen gefunden hat. Und wir feiern die befreienden theologischen Kerngedanken, die in den vier soli der Reformation zum Ausdruck kommen:
die grundlegende Christuszentrierung, das solus Christus;
die neu entdeckte Bibelfrömmigkeit, das sola scriptura; |30|
die staunenswerte Gnadentheologie, die sola gratia;
die befreiende Glaubenskonzentration, das sola fide.
Das sind die entscheidenden inhaltlichen Orientierungspunkte für die Feier und Gestaltung des Reformationsjubiläums. In einer Welt, die ihre eigenen religiösen Wurzeln leicht vergisst, wird es immer wichtiger, sich an theologisch bedeutsamen Symboldaten und Kerngedanken zu orientieren.
Heute sind Menschen in einer ganz anderen Weise auf der Suche nach einem gnädigen Gott als zu Luthers Zeiten. Menschen, die von ihrer Geburt an darauf getrimmt sind, zu arbeitsmarkttauglichen Kompetenzträgern zu werden, brauchen den ganz anderen Klang, den das Heilshandeln Gottes in ihr Leben einspielt. Während die Spirale von Leistung zu Effizienz zu noch mehr Leistung und immer weiter gesteigerter Effizienz beständig weitergedreht wird, brauchen Menschen den Einspruch des Evangeliums: Nicht die Leistung und das Können, nicht die Anstrengung und der eigene Erfolg entscheiden über mich und meinen Wert.
Menschen brauchen die Erinnerung an die fundamentale Einsicht der Reformatoren, dass uns der Christusglaube ein Leben ohne Angst, ohne den inneren Zwang zur Selbstrechtfertigung und Selbstüberhöhung schenkt. Dass uns der Glaube frei macht vor Gott und für Gott. Und dass diese Freiheit uns in den verantwortlichen Dienst ruft für andere Menschen und für unsere Welt. Dem Evangelium geht es um Kernthemen für alle Menschen. Es geht um die Fragen nach einer unverfügbaren Menschenwürde, nach dem Verständnis einer gemeinschaftsförderlichen Freiheit, nach einer nachhaltigen sozialen Verantwortung aller Menschen füreinander und für die Welt.
Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, diese Kerneinsichten der Reformation für unsere Zeit so zu formulieren, dass sie innerhalb und außerhalb unserer Kirchen verstanden werden. Wir suchen und brauchen eine solche Auskunfts–, Sprach– und existenzielle Anschlussfähigkeit, die auch Fernstehenden und Ungeübten verständlich machen kann, warum das Reformationsjubiläum ein Erinnerungsfest an Gottes Heilshandeln in Jesus Christus ist und zugleich auch zentrale Bedeutung für das gegenwärtige und zukünftige Leben in der modernen Gesellschaft hat. |31|
2. Das Reformationsjubiläum 2017 gehört in unsere ökumenische Kirchengemeinschaft
Die Evangelische Kirche in Deutschland will 2017 feiern – fröhlich, selbstbewusst und selbstkritisch und offen für unsere ökumenischen Geschwister.
In Deutschland haben wir eine zehnjährige Reformationsdekade vereinbart. In zehn thematischen Jahresschritten versuchen wir seit 2008 die «Länge und Breite und Höhe und Tiefe» (vgl. Eph 3, 18) der auf das Evangelium bezogenen Bedeutung der Reformation auszuloten – einschließlich der Schatten und Grenzen dieser Bewegung. So geht es im Jahr 2013 mit dem Thema «Reformation und Toleranz» darum, auch die Grausamkeiten und Zerstörungen zu bedenken, die Luther und die Reformation mit ihrer Intoleranz bewirkt haben. Dabei wollen wir zugleich das bei uns oftmals mit einem nationalen Pathos gezeichnete Bild vom «deutschen Helden Martin Luther» korrigieren. Die neuere Lutherforschung zeigt deutlich: Luther war eine ambivalente Persönlichkeit, mit bewundernswerten Eigenschaften und mit nachhaltigen theologischen Inspirationen. Aber er war auch ein heftiger Polemiker und beschämender Antijudaist.
Im Blick auf diese «Schattenseite» der Reformation wird eine konfessionsverbindende Kommission zwischen der EKD und der römisch-katholischen Kirche in Deutschland unter dem Leitgedanken «healing of memories» den Versuch unternehmen, die uns noch heute belastenden Bilder und Typisierungen der Reformation zu klären. Wir wollen vor Gott und voreinander die Wunden zur Sprache bringen, die unsere Erinnerung bis heute prägen. Wenn dies gelänge, wäre die gemeinsame Feier eines Versöhnungsgottesdienstes im Jahr 2017 ein deutlicher Fingerzeig auf die befreiende und heilende Kraft des Evangeliums und ökumenisch ein großes Zeichen.
Wir haben unsere römisch-katholischen, orthodoxen und freikirchlichen Geschwister zur Mitwirkung am Reformationsjubiläum eingeladen, auch wenn die einen bei der Reformation eher an die Spaltungen und Trennungen der Westkirche denken, die anderen einen inneren Bezug zu den reformatorischen Themen noch nicht explizit entwickelt haben und die Freikirchen eine auch schmerzliche Geschichte mit den Landeskirchen erinnern. Die EKD hat mit der Deutschen Bischofskonferenz einige Verabredungen getroffen, um unsere Gemeinschaft zu stärken: So werden nicht nur die 95 Thesen ökumenisch kommentiert, |32| sondern auch eine evangelisch-katholische Schrift erarbeitet mit dem Arbeitstitel «Was jeder vom Christentum wissen sollte.»
Die ökumenische Dimension und die internationale Ausrichtung des Reformationsjubiläums 2017 ist der EKD ein zentrales Anliegen. Darin unterscheiden wir uns von den Jubiläen, die seit 1617 alle einhundert Jahre gefeiert worden sind.
Es ist, historisch gesehen, nicht nur zweifelhaft, ob es 1517 den berühmten Thesenanschlag an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg überhaupt gegeben hat. Es kann auch bezweifelt werden, ob die 95 Thesen schon als eine neue reformatorische Theologie anzusehen sind oder ob sie nicht doch gute katholische Theologie im damaligen Sinne waren. Unbestreitbar aber ist, dass der Aufbruch Martin Luthers und seiner Generation von Reformatoren alle unsere Kirchen beeinflusst hat – wenn auch zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Weisen. Die Niederländer erzählen deshalb eine andere Reformationsgeschichte als die Schwestern und Brüder in Afrika. Die Evangelische Kirche in Italien lebt mit anderen Reformationsgeschichten als die großen Kirchen in Skandinavien.
Aber genau deswegen sind wir hier in Zürich zusammengekommen: Wir wollen voneinander Geschichten der Reformation hören, wollen wahrnehmen, welche Wurzeln unsere reformatorischen Kirchen haben, welche Gegenwart sie gestalten, welche Hoffnungen sie leiten. Wir wollen voneinander erfahren, welche theologischen Einsichten uns besonders wichtig sind und welche Unterschiede unseren gemeinsamen Reichtum ausmachen. Wir wollen in unserer Vielfältigkeit und mit unserer Vielstimmigkeit nach gemeinsamen Formulierungen für den Kern des Reformationsereignisses suchen, das vor 500 Jahren von Zürich, Wittenberg und vielen anderen Orten ausging. Damit Christusgeschichten als Befreiungsgeschichten auch für heutige Menschen und für unsere heutige Welt Bedeutung gewinnen.
Lassen Sie uns darüber hier in Zürich sprechen und arbeiten!