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Exklusiver Glaube – Das vierfache «Allein» reformatorischer Theologie18 1. Reformatorische Theologie

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Wenn wir darüber nachdenken wollen, was es heute bedeutet, evangelisch zu sein, müssen wir zunächst zwischen «evangelisch» und «protestantisch» unterscheiden. Das bevorstehende Reformationsjubiläum 2017 bietet Anlass, sich auf die zentrale Botschaft der Reformation zu besinnen, die das Evangelische im Sinn des Evangeliumsgemäßen neu zur Geltung gebracht hat. Das Evangelium von Jesus Christus aber ist ein kritischer Maßstab für die Verkündigung aller Kirchen und Konfessionen, der sich durchaus gegen bestimmte Entwicklungen und auch heutige Tendenzen im Protestantismus richtet. Die Frage, was heute evangelisch ist, soll auch nicht allein als Ausdruck konfessioneller Selbstvergewisserung, sondern in ökumenischer Weite gestellt werden. Ich verstehe das Reformationsjubiläum als Einladung an alle Kirchen und Konfessionen, darüber nachzudenken, inwiefern die Einsichten der Reformation von ökumenischer Tragweite sind, wenn es heute darum geht, sich auf das Evangelium und das Evangeliumsgemäße zu besinnen.

Die nachfolgenden Ausführungen gehen davon aus, dass die Lehre von der bedingungslosen Annahme und Rechtfertigung des Gottlosen und die aus ihr abgeleitete Kirchenkritik zwar nicht der alleinige Inhalt, wohl aber das theologische Herzstück reformatorischer Theologie sind. In ihnen gründen das evangelische Verständnis christlicher Freiheit wie auch das evangelische Kirchenverständnis und sein Kerngedanke vom Priestertum aller Gläubigen.

Nach reformatorischer Auffassung beruht die Rechtfertigung auf der bedingungslosen Vorgabe des Heils und damit auf der klaren Unterscheidung zwischen dem empfangenden und dem tätigen Wesen des Glaubens. Diese Unterscheidung wird durch ein Geviert von Exklusivbestimmungen zum Ausdruck gebracht, deren Sinn für die Gegenwart erschlossen werden soll: Allein durch den Glauben – sola fide – wird der |69| Mensch vor Gott gerechtfertigt, und zwar durch den Glauben an Jesus Christus, weil allein Christus – solus Christus – das Heil und die Rettung des sündigen Menschen erwirkt. Das geschieht allein aus Gnade – sola gratia – und wird gültig bezeugt allein durch die Schrift – sola scriptura – als der Quelle und dem Maßstab des rechtfertigenden Glaubens, des Lebens aus dem Glauben, aller Verkündigung und der Theologie.

Die Pointe der reformatorischen Botschaft erschließt sich nur, wenn man beachtet und bedenkt, wie sich die vier genannten Exklusivpartikel gegenseitig interpretieren. Keine von ihnen darf isoliert genommen werden. Dass das Heil des Menschen allein an Gottes Gnade hängt, konnte auch die katholische Kirche des Spätmittelalters sagen. Und auch das Konzil zu Trient hat in seinem Dekret über die Rechtfertigungslehre die Alleinwirksamkeit der göttlichen Gnade aussagen können – jedoch so, dass diese eben nicht mit der Alleinwirksamkeit des Glaubens gleichgesetzt wurde. Was reformatorisch unter Glauben zu verstehen ist, wird aber auch verdunkelt, wenn man unter Glauben ein allgemeines Urvertrauen, Transzendenzbewusstsein oder Bewusstsein schlechthinniger Abhängigkeit versteht, das allen Menschen mehr oder weniger eigen sein soll. Glaube im reformatorischen Sinne ist Glaube an Jesus Christus als den alleinigen Grund göttlicher Annahme und Vergebung. Was das bedeutet, muss allerdings, wie sich noch zeigen wird, trinitätstheologisch erschlossen werden. Die Rechtfertigung des Sünders um Christi willen ist ein trinitarisches Geschehen. Woher aber wissen die Glaubenden das alles? Worauf gründen sie ihr Vertrauen und ihre Zuversicht? Darauf antwortet die reformatorische Tradition, dass es die Bibel Alten und Neuen Testaments ist, die dies auf gewiss machende Weise bezeugt, weil in ihr Christus selbst zu hören ist.

Der rechtfertigende Glaube ist also nach reformatorischem Verständnis exklusiver Glaube – exklusiv in dem Sinne, dass er allein das Heil bewirkt. Doch erschließt sich dieser exklusive Glaube nur durch das Geviert der sich wechselseitig interpretierenden reformatorischen Exklusivpartikel, wobei dem solus Christus der Primat gebührt, ist doch der Glaube im reformatorischen Sinne wohl eine menschliche Tat, aber kein menschliches Werk. Im Glauben ist der Mensch auf eigentümliche Weise passiv, weil das Glaubenkönnen eben kein menschliches Vermögen und keine von der Natur mitgegebene Begabung, sondern eine unverfügbare Gabe ist und bleibt. Die Tat des Glaubens aber besteht darin, der Christusbotschaft – dem Evangelium – Glauben zu schenken und darauf im Leben und im Sterben zu vertrauen. |70|

Solch ein exklusives, nämlich christologisch zugespitztes Verständnis von Glauben erweist sich nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch heute als anstößig. Mit einem sola gratia mag man sich ja für sich genommen vielleicht noch halbwegs anfreunden. Aber müssen die Exklusivpartikel reformatorischer Theologie in einer pluralistischen Kultur und im Dialog der Religionen nicht ermäßigt werden? Ist das solus Christus nicht enorm intolerant gegenüber nichtchristlichen Religionen? Untergräbt das sola fide nicht jede Ethik und jedes Engagement zur Weltverbesserung? Und lässt sich das sogenannte reformatorische Schriftprinzip, also das sola scriptura, angesichts der Befunde historisch-kritischer Kanonforschung überhaupt noch begründen?

Nun wird bisweilen auch noch eine fünfte Exklusivpartikel genannt, wenn man die Botschaft reformatorischer Theologie zu bündeln versucht: solo verbo – allein durch das Wort. Daran ist richtig, dass sich der Glaube nach evangelischem Verständnis an das Wort hält, das den Menschen Gottes Gnade und Vergebung bezeugt und zuspricht. Das Glauben provozierende und bezeugende Wort wird als Gottes Wort im Menschenwort verstanden, das letztlich den bezeugt, der als Gottes lebenschaffendes und befreiendes Wort in Person begriffen und geglaubt wird, nämlich Jesus Christus. Auch wenn sich die Formel solo verbo gelegentlich bei Luther findet, so ist ihre Zuordnung zu den reformatorischen Exklusivpartikeln doch erst neueren Ursprungs, nämlich eine Auswirkung der Wort-Gottes-Theologie im 20. Jahrhundert. Gegenüber der Reformationszeit finden in der Wort-Gottes-Theologie aber durchaus inhaltliche Verschiebungen und Neuakzentuierungen statt. Das solo verbo kann auch, wie z. B. bei Eberhard Jüngel,19 an die Stelle des sola scriptura treten und erweist sich damit als Reaktion auf die viel diskutierte Krise des reformatorischen Schriftprinzips. Ich werde im Folgenden bei den vier klassischen Exklusivpartikeln reformatorischer Theologie bleiben und ihr hermeneutisches Potenzial auszuloten versuchen. Das solo verbo möchte ich weder neben noch an die Stelle des sola scriptura setzen, sondern als ein Interpretament verstehen, das sich auf alle vier Exklusivpartikel anwenden lässt, weil es in allen vier Fällen den grundlegenden Zusammenhang von Wort und Glauben thematisiert. Dieses Interpretament ist freilich gegen manche Verengungen zu schützen, die der Wort-Gottes-Theologie |71| von Kritikern zur Last gelegt werden, welche die Wortlastigkeit und das Erfahrungsdefizit evangelischer Gottesdienste bemängeln.20 Es sollte auch nicht vorschnell zum kontroverstheologischen Unterscheidungsmerkmal erklärt werden, um die konfessionelle Differenz zwischen evangelischer und katholischer Tradition zu markieren, wie es gelegentlich in der Auseinandersetzung um die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) geschehen ist.21

Allerdings bleibt die Frage bestehen, ob die Pointen der reformatorischen Rechtfertigungslehre – bei allem Verständnis für das Bemühen um ökumenischen Konsens – in der Gemeinsamen Erklärung hinreichend gewahrt bleiben. Doch wollen wir uns im Folgenden nicht vornehmlich mit dem Stand des ökumenischen Gespräches zur Rechtfertigungslehre beschäftigen, sondern der Frage nachgehen, inwieweit die reformatorischen Exklusivpartikel eine Hilfe bieten, um die Rechtfertigungslehre für die Gegenwart zu erschließen und verständlich zu machen.

500 Jahre Reformation: Bedeutung und Herausforderungen

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