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Karl Barth (1886–1968) – ein reformierter Reformierter
ОглавлениеTheologie für eine durch Gottes Wort zu reformierende Kirche
Michael Weinrich
Vor allem in Deutschland wurde Karl Barth von seinen Kritikern immer wieder mit dem Stigma seines Reformiertentums etikettiert – besonders intensiv zur Zeit des Kirchenkampfes. Häufig wurde damit zumindest indirekt eine grundsätzliche Disqualifikation annonciert, die Grund genug war, Barth gegenüber einen prinzipiellen Abstand zu wahren. Gleichzeitig befand sich Barth in einer durchaus bemerkenswerten Konstanz gerade auch mit den Reformierten in einer kritischen Auseinandersetzung – und das keineswegs nur am Rande. Von beiden Seiten schlug ihm Skepsis entgegen, die zwar sehr unterschiedlich begründet war, aber in jedem Fall mit dem reformierten Profil seiner Theologie zu tun hatte; was den einen (in der Regel ohne nähere Benennung der problematischen Aspekte) zu reformiert war, erschien den anderen zu wenig reformiert, weil die spezifische Prägekraft der reformierten Tradition zu wenig herausgestellt werde (Barth liess jeden reformierten Stallgeruch vermissen). Bei aller Unterschiedenheit waren beides mehr gefühlte als tatsächlich ausgewiesene Vorbehalte. Tatsächlich aber wirkte Barth, verglichen mit den geltenden konfessionellen Verlässlichkeiten, wie ein programmatisch agierendes unregelmässiges Verb, indem er nicht nachliess, die überkommene Regelmässigkeit in den theologischen Deklinationen anzugreifen. |24| Barth attackiert die Harmlosigkeit gewohnheitsmässigen Theologietreibens, das mit den üblichen Regelmässigkeiten verbunden ist und eben dann in der Regel auch nur zu mässigen Einsichten führt.
Die angedeutete diffuse Gemengelage legt die Frage nahe, wie es sich nun tatsächlich mit Barths Beziehung zur reformierten Tradition verhält. Ist Barth im konfessionellen Verständnis ein reformierter Theologe und wenn ja, in welchem Sinne ist er es? Der erste Teil der Frage wird sich relativ einfach beantworten lassen, während eine Antwort auf den zweiten Teil der Frage durchaus mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist.
Immerhin wurde Barth 1921 ausdrücklich für die reformierte Theologie von seiner Schweizer Pfarrstelle an die Theologische Fakultät in Göttingen berufen, nicht zuletzt unter dem Einfluss des profunden Kenners der reformierten Bekenntnisschriften in Erlangen, Ernst Friedrich Karl Müller (1863–1935). Es wurde von Barth erwartet, dass er insbesondere den reformierten Studierenden das spezifische Profil der reformierten Theologie lehren solle, wozu er als Mitglied einer reformierten Kirche in der Schweiz als besonders prädestiniert angesehen wurde. Barth hingegen war zwar Mitglied einer reformierten Kirche, weil in der Schweiz die protestantische Kirche eben vorzüglich reformiert ist, aber er sah sich nun durch den Ruf nach Göttingen seinerseits das erste Mal dazu herausgefordert, sich in substantiell vertiefter Weise mit der reformierten Tradition auseinanderzusetzen, um schliesslich auch für sich selbst eine Antwort auf sein Verhältnis zur reformierten Tradition zu finden. In der volkskirchlichen Mehrheitssituation der Schweiz war offenkundig auch für Barth die reformierte Tradition die selbstverständlich hingenommene geschichtliche Prägung seiner Kirche, die er in ihrem Alltag von anderen Fragen in Atem gehalten sah als von ihrem konfessionellen Profil.1 Das änderte sich grundlegend mit dem Wechsel nach Göttingen. Barth war nun zu differenzierter akademischer Auskunft über die reformierte Theologie herausgefordert und hat diese Herausforderung auch entschlossen und intensiv angenommen. |25|
Barth hat dabei einen ganz eigenen Weg eingeschlagen, auf dem er sich zwar auf verschiedene Leitmotive der reformierten Tradition beruft, die er aber ausdrücklich einem reformierten Traditionalismus mit seinen konfessionalitischen Neigungen entgegenstellt.2 Wenn Barth sich auf die reformierte Tradition bezieht, will er konsequent als ein Theologe evangelischer Freiheit verstanden werden, der sich um eine unter den gegenwärtig gegebenen Umständen einzunehmende Position bemüht. Das möchte ich an drei ausgewählten Beispielen ein wenig illustrieren. Zunächst möchte ich mich mit Barths Verhältnis zum Bekenntnis beschäftigen (1.). Sodann soll mit einigen Andeutungen Barths besonderes Verständnis des Wortes Gottes angesprochen werden, das die Theologie einerseits zu einer prinzipiellen Vorbehaltlichkeit nötigt – dafür steht der bleibend dialektische Charakter seiner Theologie – und andererseits ihr eine Freiheit eröffnet, hinter der sie in ihren geschichtlichen Koalitionen und mit ihren ängstlichen Zögerlichkeiten faktisch in beschämender Permanenz zurückbleibt (2.). Schliesslich möchte ich mich einer unbeachteten Platzanweisung zuwenden, die Barth für die Reformierten in der Ökumene gleichsam als eine konkrete Konsequenz der Freiheit im Auge hatte (3.). Zum Schluss wird dann eine vorläufige Bilanz gezogen (4.).