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2. Wort Gottes und Freiheit

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Als inhaltliches Kriterium für ein Bekenntnis nennt Barth in der zitierten Definition die «allein in der Heiligen Schrift bezeugte Offenbarung Gottes in Jesus Christus». Die erste Wahrheit des Barmer Bekenntnisses27 nennt als einzigen Bezugspunkt für theologische Einsichten «Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird» als «das eine Wort Gottes», das «Quelle ihrer [sc. der Kirche] Verkündigung» ist. In formaler Hinsicht ist das gemeint, was Barth in den 1920er Jahren noch das Schriftprinzip nennt. |33| Inhaltlich geht es um sein differenziertes Verständ­nis des Wortes Gottes.

Damit kommt ein Grundzug der Theologie Barths in den Blick, der seiner Theologie ihr charakteristisch dialektisches Gepräge gegeben hat, nicht nur in den 20er Jahren, sondern mit einigen Akzentverschiebungen bis hinein in die letzten vorliegenden Fragmente seiner unvollendeten Kirchlichen Dogmatik28. Lieber als von der reformierten Kirche sprach er von der durch Gottes Wort reformierten Kirche.29 Auch wenn es offen­kun­dig zu sein scheint, was Barth damit meint, kommen wir mit der Frage nach dem Verständnis des Wortes Gottes zu dem sensiblen Kern seiner Theologie, der in diesem Rahmen nur angedeutet werden kann. Das eben zitierte Barmer Bekenntnis weist auf drei Dimensionen des Wortes Gottes: Jesus Christus, das biblische Zeugnis und die Verkündi­gung der Kirche. In den Prolegomena seiner Kirchlichen Dogmatik entwi­ckelt Barth über die Lehre von der dreifachen Gestalt des einen Wortes Gottes seine für alle theologische Erkenntnis grundlegende trinitarische Hermeneutik – beginnend mit dem verkündigten Wort über das ge­schriebene Wort und das offenbarte Wort schliesslich zur Hervorhebung der Einheit des Wortes Gottes.30 Er übernimmt damit die in umgekehrter |34| Reihenfolge gemachte Distinktion Offenbarung – Schrift – Lehre (Pre­digt), wie sie für diverse reformierte Bekenntnisse charakteristisch ist.31

Die entscheidende Pointe besteht nun darin, dass in allen drei Gestal­ten des Wortes Gottes dieses nicht einfach greifbar zur Verfügung steht. So sehr sich Gott in seinem Wort offenbart, so sehr hält er sich in ihm zugleich verborgen.32 So sehr sich auf sein Wort verweisen lässt, so wenig ist es einfach offenkundig. Wo sein Wort in Erscheinung tritt, ist es nicht in dem Sinne offensichtlich, dass sich jeder gleichsam unwidersprechbar darauf berufen könnte. Dass es sich um sein Wort und eben nicht um eines unserer Worte handelt, kann er nur selbst zeigen. Auch im Blick auf das inkarnierte Wort, auf das es Barth entscheidend ankommt, ist das nicht anders: Der Blick auf Jesus gibt nicht von sich aus den Christus zu erkennen.

Das Wort Gottes erschliesst sich konsequent nur dann, wenn Gott selbst das Subjekt der Erkenntnis ist. Offenbarung wird also nicht als eine in der Vergangenheit anzusiedelnde Selbstvergegenständlichung Gottes verstanden. Barth verweist ausdrücklich auf die reformierte Lehre vom Heiligen Geist33, um zu unterstreichen, dass Offenbarung die conditio sine qua non für alle theologisch orientierende Erkenntnis bleibt. Sie ist keine feststehende Tatsache, der sich nicht mehr widersprechen lässt, sondern ein Geschehen, ein Ereignis, das von den Spuren, die hinterlassen wur­den, niemals auch nur annähernd festgehalten werden kann. Das Wort Gottes ist keine handhabbare Grösse. Ihm eignet eine in der Lebendigkeit Gottes gründende eigene Dynamik, in der es immer wieder neu gehört werden will. |35|

Hier kommt Barths kritische Auseinandersetzung mit der sogenann­ten natürlichen Theologie in den Blick. Sie ist nicht nur – wie jetzt Ger­hard Sauter annonciert hat34 – eine den besonderen historischen Heraus­forderungen geschuldete Überpointierung, sondern hat prinzipiellen Charakter.35 Die konsequente Offenbarungstheologie Barths ist m. E. als ein stringentes Zu-Ende-Denken des bereits von den Reformatoren für die Theologie als grundlegend festgehaltenen hermeneutischen Zirkels anzu­sehen, auf den man im Laufe der theologischen Erkenntnisarbeit unwei­gerlich an irgendeiner Stelle stösst. Indem Barth herausstreicht, dass dies nicht an irgendeiner Stelle geschieht, sondern bereits grundsätzliche Voraussetzung jeder theologischen Erkenntnis überhaupt ist, wird die Theologie in eine unabschüttelbare Verlegenheit versetzt, die sie dazu nötigt, sich in all der geforderten Entschlossenheit doch zugleich eine prinzipielle Vorbehaltlichkeit aufzuerlegen, in der sie sich ganz und gar auf den Selbsterweis des von ihr bezeugten lebendigen Gottes verwiesen weiss.

Diese Vorbehaltlichkeit wird bereits in den immer wieder zitierten Leitsätzen von Barths unter anderem auch vor reformiertem Publikum gehaltenen Vortrag «Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie» (1922) angemeldet: «Wir sollen von Gott reden» – «Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden» – «Wir sollen beides, dass wir von Gott reden sollen und nicht können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.»36 Wie Barth später verdeutlicht, liegt es allerdings nicht allein an unserer Menschlichkeit, dass wir nicht von Gott reden können, sondern vor allem an der Dynamik des lebendigen Gottes, der zwar nicht immer ein anderes Wort, wohl aber sein Wort immer wieder neu sagt, so dass nur da angemessen von Gott geredet wird, wo auf das aktuell erge­hende Wort Gottes geantwortet wird.

Gewiss können wir es lernen, uns in unseren Traditionen zu bewegen und diese dann auch in theologischen Disputen zu verteidigen oder zu |36| relativieren, aber es gibt in keiner Tradition ein Wahrheitsprivileg, weil wir von uns aus weder einen Zugang zur Wahrheit noch eine Verwal­tungshoheit über die Wahrheit haben.37 Das hat durchaus weitreichende Konsequenzen etwa für die Ökumene bis hinein in den heute so wichtig gewordenen interreligiösen Dialog, wenn Barth so konsequent die Wahr­heit auf der Seite Gottes belässt und sie davor schützt, zu einer Disponib­len des Menschen zu werden. Sie bleibt im Horizont der Erwählung Got­tes und verschafft sich darin Geltung, dass Gott eben auch heute erwählt, beruft und sendet38 – nicht zur Traditionsweitergabe, sondern zum Zeug­nis von der befreienden Versöhnung, durch welche der Mensch aus den Bindungen der alten Welt entnommen ist, so dass er den von diesen Bin­dungen nach wie vor ausgehenden Ansprüchen im aufrechten Gang ent­gegentreten kann.

Wenn Barth 1923 in seinem Vortrag auf der 19. Hauptversammlung des Reformierten Bundes in Emden die Reformierten dazu aufruft, das Zeugnis der Schrift doch erkennbarer in die Mitte ihres Selbstverständnis zu rücken, möchte er davor warnen, «die Frage der Lehre […] als ‹ir­gendwie› schon gelöst […] vorauszusetzen»39. Traditionalismus ist – poin­tiert gesprochen – mangelnde Ernsthaftigkeit, weil der in ihm liegende theo­logische Narzissmus der theologischen Aufmerksamkeit und Er­wartung im Extremfall so enge Grenzen setzt, dass es nur noch zur Selbst­bestätigung kommt. «Mit der Liebe des Antiquars, […] des religiö­sen Heimatschützlers, des Freundes reformierter Art, weil sie reformiert ist, kann gerade der reformierten Kirche auf keinen Fall gedient sein.»40 Viel­mehr konzentriert Barth die ganze reformierte Tradition auf die an­haltende konstitutive lebendige Beziehung zum seinerseits lebendigen biblischen Zeugnis: Es «gibt […] streng genommen keine reformierte Tra­dition |37| ausser der einen zeitlosen: dem Appell an die offene Bibel und an den Geist, der aus ihr zum Geiste redet.»41 Nur wenn der prinzipiell sekun­däre Charakter der theologischen Lehre konsequent im Bewusstsein steht, hat dieser Appell eine Chance, ernst genommen zu werden. «Ein Dogma im strengen hierarchischen Sinn kennt die reformierte Kirche also gerade nicht.»42 Und so verwundert es auch nicht, wenn Barth später in den Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik die Methode der Dogmatik vor allem in diesem grundsätzlichen Sich-Offenhalten gegenüber dem theologischen Altbesitz sieht43.

Damit wird wohlgemerkt nicht die theologische Lehre diskreditiert44, wohl aber ihre Dogmatisierung im Sinne einer Festschreibung. Sie be­kommt im Gegenteil eine ungleich anspruchsvollere Aufgabe, weil sie sich nicht auf den bereits erworbenen Errungenschaften ausruhen kann, sondern erst dann an ihr Ziel kommt, wenn sie sich als je neu zu formu­lierende Antwort auf das heute gehörte Wort Gottes artikuliert. Indem wir damit aber nicht bei Null anfangen, sondern auch die Bibel immer schon mit den Augen unserer Konfession lesen, weist Barth im Zeichen des fünften Gebots auf die Ehre, die wir unseren Müttern und Vätern – also der theologischen Tradition – zu erweisen haben, denn ohne sie wä­ren wir nicht, was wir sind. Ohne Schaden kann niemand einfach an der theologischen Tradition vorbeigehen.45 Wolfgang Lienemann weist zu Recht darauf hin, dass kaum ein Theologe so häufig wie Barth «immer wieder aufs Neue die Bekenntnisse der Kirche ausgelegt hat»46. Anstelle eines Bedingungsrahmens für die Theologie sind sie für Barth vor allem der die Theologie sprachfähig machende Orientierungshorizont für eine möglichst genaue Benennung von Entscheidungen, welche die Kirche in |38| ihrer Geschichte bereits zu bestehen hatte. Inwieweit sie allerdings tat­sächlich Autorität beanspruchen können, kann nicht kirchenrechtlich geregelt werden, sondern wird sich in ihrer für heute zu erprobenden Erschliessungskraft beim Verstehen des biblischen Zeugnisses erweisen. Wenn Barth vor dem theologischen Zitat warnt, dann nicht weil er an­nimmt, dass wir heute alles besser sagen können. Es kommt vielmehr darauf an, dass wir es uns von niemand abnehmen lassen können, die Antwort selbst zu sagen. Gerade weil es nicht einfach zur allgemeinen Verfügung steht, was Gott gesagt hat und sagt, sondern jeweils neu ge­hört werden muss, gilt es auch menschlich und d. h. im Horizont all der Unzulänglichkeiten, mit denen das Menschliche nun einmal behaftet ist, jeweils neu zu sagen47, was es als das Wort Gottes zu hören gibt und dies dann gegebenenfalls auch zu bekennen: Wir, hier, jetzt – dies.

Von den reformierten Aufbrüchen im 16. Jahrhundert ist von ihren Vertretern zu lernen, nun auch selbst wieder zum Anfänger zu werden.48 Alles, was durch etwas anderes als das Wort Gottes bewahrheitet wird, wird schwerlich den Anspruch erheben können, das Wort Gottes zu sein – nicht die Lehrautorität der Kirche steht zur Debatte, sondern die Aner­kennung der Autorität Gottes, die sich eben auch heute in seinem leben­digen Wort Geltung verschafft.49 In dem für die reformierte Tra­dition charakteristischen Schriftprinzip geht es schlicht und folgenreich darum, «sich eine so zufällige, kontingente, menschliche Grösse wie die Bibel allen Ernstes zum Zeugnis von Gottes Offenbarung, diese an sich profane zur Heiligen Schrift werden zu lassen».50 In einer neuen Erfassung des recht verstandenen «Schriftprinzips» sieht Barth ausdrücklich «den einzi­gen ernsthaften Programmpunkt einer reformierten Theologie für die nächste Zeit. Es wird, soweit es sich hier um ein menschliches Tun über­haupt handeln kann, darum gehen, die Kategorie der Offenbarung wieder denken und unter diesem Gesichtspunkt die Bibel Alten und Neuen Tes­taments wieder lesen zu lernen.»51 |39|

In der Konzentration auf das Wort Gottes steht auch die Freiheit der Theologie zur Debatte, und das schliesst für Barth die Befreiung des in­zwischen von der eigenen Tradition domestizierten Reformiertentums mit ein – er nennt die Orthodoxie, den Pietismus, die Aufklärung und Schleiermacher als die vier Ecksteine seines Gefängnisses52 (was hier nicht weiter ausgeführt werden kann). Die Befreiung zielt auf die anspruchs­volle Freiheit des ersten Gebots. Christliche Freiheit und auch die Freiheit der Kirche gehen unmittelbar mit dem Gebotsgehorsam gegenüber die­sem Gebot zusammen, wobei es bedeutungsvoll bleibt, dass der Gott, der von dem Gebot als der Befreier Israels aus der Gefangenschaft in Ägypten gepriesen wird, der heute lebendige Gott ist, der sich durch den Heiligen Geist in der biblischen Bezeugung immer wieder neu vernehmbar zu machen verheissen hat. Es gilt, all die inzwischen zur Selbstverständlich­keit verkommenen Versuche der Gefangennahme Gottes zu beenden, durch welche sich der Mensch als Regisseur und Dramaturg seiner Reli­giosität zu behaupten versucht, ohne sich dabei von dem circulus vitiosus, in dem er sich dabei faktisch bewegt, irritieren zu lassen. Der sich selbst ausgelieferte Mensch bleibt auch in seinen Befreiungsversuchen ein Ge­fangener seiner selbst – wirkliche Befreiung, eben auch von seinen An­strengungen zur Selbstbefreiung, kann ihm nur von aussen eröffnet wer­den. Hier behält das erste Gebot seine fundamentale Bedeutung.53

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