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4.1 Ehrfurcht vor der Vergangenheit: hörendes Denken
ОглавлениеAchtung vor der Vergangenheit ist für Noordmans’ Denken von zentraler Bedeutung. Man kann bei ihm von einem hörenden Denken sprechen. Dies hat für ihn mit «Autorität» zu tun, aber nicht mit einer Autorität im Sinne von Zwang. Vielmehr geht es darum, eine Haltung des Zuhörens einzunehmen und so intellektuelle Bescheidenheit zu zeigen. Ich möchte diesen Punkt anhand eines Artikels aus dem Jahre 1921 näher erläutern, denn dieses Jahr wird meistens als das angesehen, in dem Noordmans eine Wendung von einer ethisch-theologischen hin zu einer stärker offenbarungstheologischen Position durchlaufen hat. Aus diesem Jahr stammen einige Aufsätze, die tatsächlich seinen theologischen Ansatz der folgenden Jahre ankündigen. Einer dieser Aufsätze trägt den Titel «Glauben auf Autorität hin». Dieser Aufsatz ist ein Plädoyer für ein Autoritätselement |57| in der Erkenntnislehre und kritisiert den Hang zu intellektueller Autonomie sowohl in der Theologie als auch in der Kultur. «Glauben auf Autorität hin» bedeutet, aus einem Hören heraus zu glauben, durch welches ein Mensch in seiner ganzen Existenz betroffen wird. Hören gelingt so, dass man seine Aufmerksamkeit zu den Stimmen der Heiligen Schrift und der Kirchengeschichte ziehen lässt, aber auch zu den Stimmen derer, die noch kein Gehör in dieser Welt gefunden haben. Es geschieht etwas, wenn sich das Denken in den Dienst dieses Hörens begibt; das Denken und damit die Geisteshaltung werden bescheiden. Am hörenden Denken sind dabei zwei Seiten zu unterscheiden, eine anthropologische und eine theologische. Das Anthropologische zielt auf etwas, das nach Noordmans für das Menschsein wesentlich ist. Es ist die Ehrfurcht vor dem Geheimnis der Stimme, für das, was Noordmans als «das zum Klang geworden Innerliche des Menschen» beschreibt. Und er schreibt weiter: «Verkennung des Wortes, in jeder Form, schädigt die Heiligung des innerlichen Menschen» (VW 2, 142). Die theologische Denkhaltung, die dieses Hören achtet, basiert nicht auf einem wissenschaftlichen Drang, selbst etwas zu finden, oder auf unbeugsamen Prinzipien, sondern sie richtet sich nach der «Grammatik des Glaubens» (dem «Wortzusammenhang» der Evangeliumsverkündigung, wie Noordmans in «Neuschöpfung» schreibt, VW 2, 218). Diese Denkhaltung sagt dann (auf der Linie einer kantianischen intellektuellen Demut), dass unser Erkennen begrenzt ist und fragmentarisch bleibt, weil es von der Erkenntnis, die bei Gott ist, umgriffen ist. Das hat man Noordmans zufolge im niederländischen Protestantismus seiner Zeit verlernt. Man wollte zwar noch Autorität für die Moral anerkennen, im Denken aber autonom sein.