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EINLEITUNG

MICHAEL P. STRECK

1. RAHMEN UND ZIEL DES BUCHES

„Darum wird diese Stadt Babel genannt, denn dort hat der Herr die Sprache der Menschen verwirrt und von dort aus die Menschen über die ganze Erde zerstreut“ (Genesis 11,9). Sprachenvielfalt und Vielzahl der Völker – die Bibel verlegt den Ursprung beider nach Babylon, der uralten Metropole im Land zwischen den Strömen Euphrat und Tigris. Was an der Oberfläche nur eine gelehrte und dennoch falsche Namensetymologie zu sein scheint,1 ist im Kern eine Erinnerung an eine überaus bewegte dreitausendjährige Geschichte des Alten Mesopotamiens und seiner Nachbarn. Diese Geschichte wurde in der Tat durch eine Vielzahl von Völkern geformt; Sumerer, Babylonier, Assyrer, Elamer, Hurriter, Urartäer, Hattier, Hethiter, Luwier, Kassiten, Amurriter, Ugariter, Aramäer und Phönizier heißen die wichtigsten Akteure auf der Bühne des Alten Orients. Wie sie lebten, was sie taten und dachten ist uns durch ihre mannigfaltigen materiellen Hinterlassenschaften, vor allem aber durch eine heute nicht mehr überschaubare Zahl von Texten überliefert. Text bedeutet schriftlich festgehaltene Sprache. Schrift und Sprache sind somit das wichtigste Medium zur Rekonstruktion der lange Jahrhunderte verschollenen Kulturen des Alten Orients geworden. Doch nicht nur das: sie sind zugleich selbst charakteristische Komponenten dieser Kulturen. Die schriftlich überlieferten Sprachen des Alten Orients sind Gegenstand des vorliegenden Buches.

Geographie, Chronologie und der Gebrauch der Keilschrift definieren diesen Gegenstandsbereich. Das geographische Herz des Alten Orients ist Mesopotamien auf dem Gebiet des heutigen Iraks und Teilen Syriens. Darum gruppieren sich vor allem Westiran, Syrien westlich des Euphrats bis zum Mittelmeer und schließlich Kleinasien auf dem Gebiet der heutigen Türkei, Armeniens und Aserbaidschans. Das Auftreten der Schrift am Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. und das Aufgehen der altorientalischen Kulturen im Hellenismus um Christi Geburt bilden die chronologischen Grenzen. Innerhalb dieser Grenzen in Raum und Zeit stellt die Keilschrift das wichtigste Schriftsystem dar, in dem Texte in Sumerisch, Akkadisch (= Babylonisch-Assyrisch), Elamisch, Hattisch, Hethitisch, Luwisch, Palaisch, Hurritisch und Urartäisch geschrieben wurden. Die Beschränkung des zur Verfügung stehenden Raumes verbot es, auf die in anderen altorientalischen Schriftsystemen – protoelamische Strichschrift,2 luwische Hieroglyphen (S. 13) und die verschiedenen Alphabete3 – geschriebenen Sprachen sowie die nur durch Eigennamen und Lehnwörter erschließbaren Sprachen (z. B. Amurritisch,4 Kassitisch5) näher einzugehen.

Selbst der Fachforscher kann sich kaum mehr mit allen Sprachen und Kulturen des so definierten Alten Orients gründlich auseinandersetzen und bedarf einer Orientierungshilfe in ihm ferner liegenden Arbeitsbereichen. Um so mehr benötigen Studenten und Wissenschaftler aus Nachbardisziplinen einen Einstieg in dieses weit verzweigte Forschungsgebiet. Allerdings kann vorliegendes Buch kein Lehrbuchersatz sein. Vielmehr besitzt der ideale Leser schon Grundkenntnisse in der einen oder anderen altorientalischen Sprache; Beherrschung verwandter (vor allem semitischer und indoeuropäischer) Sprachen oder Routine im Umgang mit sprachwissenschaftlicher Literatur können solche Kenntnisse jedoch bis zu einem gewissen Grad ersetzen. Der einführende Charakter des Buches und die Platzbeschränkung bedingen, dass nicht jedes Detail zur Sprache kommen kann. Da die altorientalische Philologie in keinem ihrer Teilbereiche schon auf so festen Füßen steht wie andere Philologien und die Forschung noch überall im Fluss ist, legt vorliegendes Werk Wert darauf, den aktuellen Forschungsstand zu referieren und bibliographisch zu dokumentieren.

2. DIE SPRACHEN DES ALTEN ORIENTS IM ÜBERBLICK

Die folgende Tabelle bietet eine Übersicht über die Sprachen des Alten Orients.6 Sie ist nach Sprachfamilien geordnet. Die Spalte „Familie“ verwendet für die die folgenden Abkürzungen: OS = Ostsemitisch, NWS = Nordwest-semitisch, IS = isoliert, HU = Hurro-Urartäisch, AN = anatolischer Zweig der indoeuropäischen Sprachen, II = indoiranischer Zweig der indoeuropäischen Sprachen. Die Angaben in der Spalte „Chronologie“ verstehen sich, sofern nicht explizit „n. Chr.“ angegeben ist, immer als „v. Chr.“. Die vorletzte Spalte „Schrift“ gebraucht die Abkürzungen: KS = (mesopotamische) Keilschrift, KA = (ugaritisches) Keilalphabet, AL = (lineares) Alphabet, PS = protoelamische Schrift, HG = (urartäische bzw. luwische) Hieroglyphen, AP = altpersische Keilschrift.

Die Angaben zur Größe der Textkorpora beziehen sich nicht auf die Zahl der Texte, sondern auf die Summe aller Wörter in den Texten; sie sind in fast allen Fällen ungefähre Schätzungen.19 Die Gesamtzahl der in Keilschrift beschriebenen, bislang ausgegrabenen Texte – ganz überwiegend Tontafeln – beträgt etwa 600.000.20

Das Textkorpus der best bezeugten Keilschriftsprache, des Akkadischen, kommt ungefähr der Größe des antiken lateinischen Textkorpus gleich und wird im Altertum nur noch vom Korpus des Altgriechischen21 übertroffen. An zweiter und dritter Stelle unter den Keilschriftsprachen stehen das Textkorpus des Sumerischen und Hethitischen, beide kleiner als das Korpus des Ägyptisch-Demotischen,22 aber immer noch deutlich größer als das des Althebräischen. Eine Besonderheit aller altorientalischer Textkorpora, die sie von manch anderen antiken Textkorpora abhebt, besteht darin, dass sie durch archäologische Ausgrabungen und Raubgrabungen von Jahr zu Jahr anwachsen.

Insgesamt und gemessen an Überlieferungsdauer, räumlicher Verbreitung und Dichte der Bezeugung bietet der Alte Orient sprachliche Reichtümer, die in der antiken Welt kaum ihresgleichen finden und ein Erbe der Menschheitsgeschichte darstellen, dessen Bewahrung und Erforschung eine der wichtigsten und dankbarsten Aufgaben der Wissenschaft ist.

Bibliographie

Balkan, K.
1954 Kassitenstudien 1: Die Sprache der Kassiten = AOS 37.
CDLI Cuneiform Digital Library Initiative. https://cdli.ucla.edu.
de Vaan, M. und A. Lubotsky
2011 Altpersisch, in: H. Gzella (ed.), Sprachen aus der Welt des Alten Testaments (2. Aufl., Darmstadt) 160–174.
ediana Digital Philological-Etymological Dictionary of the Minor Ancient Anatolian Corpus Languages. https://www.ediana.gwi.unimuenchen.de/news.phpM.
Englund, R.
2006–08 Proto-Elamisch, RlA Bd. 11, 21–26.
Golinets, V.
2018 Das amurritische Onomastikon der altbabylonischen Zeit, Bd. 1 = AOAT 271/1.
Gzella, H. (ed.)
2011 Sprachen aus der Welt des Alten Testaments, 2. Auflage Darmstadt.
Peust, C.
2000 Über ägyptische Lexikographie. 1. Zum Ptolemaic Lexikon von Penelope Wilson, 2. Versuch eines quantitativen Vergleichs der Textkorpora antiker Sprachen, Lingua Aegyptia 7, 245–260.
Streck, M. P.
2000 Das amurritische Onomastikon der altbabylonischen Zeit, Bd. 1 = AOAT 271/1.
2011 Großes Fach Altorientalistik. Der Umfang des keilschriftlichen Textkorpus, MDOG 142 35–58.
2011–13 Sprache, RlA Bd. 13, 16–19.

1 Babel wird in Anlehnung an die semitische Wurzel BLL „mischen“ gedeutet. In Babylon selbst verstand man den Namen der Stadt babylonisch als bāb ili, „Gottespforte“. Beide Etymologien halten einer Überprüfung durch die moderne Namensforschung nicht stand. Vielmehr ist Babillu Teil einer alten Schicht von Ortsnamen, die auf -llu u. ä. enden und vermutlich einer uns nicht mehr bekannten, prähistorischen Sprache angehören.

2 Vgl. Englund 2006–08.

3 Für einige der in Alphabeten geschriebenen Sprachen sowie das Altpersische vgl. Gzella 2011.

4 Vgl. Streck 2000; Golinets 2018.

5 Vgl. Balkan 1954.

6 Die Übersicht folgt Streck 2011–13.

7 Nur Personennamen und Lehnwörter, entspricht ca. 12.000 Wörtern Text.

8 Sumerisch stirbt zu Beginn des 2. Jt. als gesprochene Sprache aus, wird aber danach noch als Kult- und Gelehrtensprache, z. T. auch als Sprache von Königsinschriften gebraucht.

9 Die Überlieferung des Elamischen ist innerhalb dieser Zeitspanne nicht kontinuierlich, sondern weist große Lücken auf.

10 Nur Lehnwörter und Namen.

11 Wohl schon um 1400 keine gesprochene Sprache mehr.

12 Vgl. ediana (Zugriff: Mai 2020): 16.001 Wörter Keilschriftluwisch + 12.017 Wörter Hieroglyphenluwisch.

13 Vgl. ediana (wie Anm. 12).

14 Vgl. ediana (wie Anm. 12): Lykisch A 5238 Wörter + Lykisch B/Milyisch 762 Wörter.

15 Vgl. ediana (wie Anm. 12).

16 Nur Lehnwörter und Namen.

17 Vgl. de Vaan/Lubotsky 2011: 160.

18 Nur Lehnwörter und Namen.

19 Vgl. Peust 2000: bes. S. 252ff.; Streck 2011.

20 Einen noch nicht abgeschlossenen Versuch einer weltweiten Katalogisierung aller Keilschriftdokumente bietet die Webseite CDLI.

21 Angeblich 57.000.000 Wörter Text, darunter allerdings zahlreiche Vorkommen des Artikels.

22 Ca. 6.000.000 Wörter Text.

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