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2.7 Moderne Definition, Ausprägungen und Wirksamkeit der Mind-Body-Medizin

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Die moderne Mind-Body-Medizin, wie sie v.a. in den USA zwischenzeitlich geläufiger Bestandteil der primären Gesundheitsversorgung geworden ist, vereint heute als Oberbegriff eine Vielzahl von wirksamen Ansätzen im Kontext einer individuellen bzw. „patientenzentrierten Gesundheitsfürsorge“ und ist daher konzeptionell und praktisch anschlussfähig zu vielen aktuellen Strömungen und Disziplinen in der praktischen Medizin, in Therapie- und Grundlagenforschung (Dobos u. Paul 2019). Sie ergänzt u.a. die bis dahin vorrangig somatisch orientierte allgemeine Medizin um verhaltens- und lebensstilorientierte Aspekte im Sinne einer professionellen Stärkung von Selbsthilfe- und Selbstheilungskompetenzen.

Das amerikanische Gesundheitsministerium beschreibt die Mind-Body-Medizin als Disziplin, die sich fokussiert auf (NIH 2019):

The interactions among the brain, the rest of the body, the mind, and behavior.

The ways in which emotional, mental, social, spiritual, experiential, and behavioral factors can directly affect health.

Mind-Body-medizinische Techniken sind dann solche, die (NCCIH 2019):

Intent to use the mind to affect physical functioning and promote health.

Enhance each person’s capacity for self-knowledge and self-care.

Die Mind-Body-Medizin basiert folglich auf der Anerkennung einer zentralen „Geist-Körper-Achse“, d.h. auf möglichen Interaktionen zwischen Gehirn und Körper bzw. Bewusstsein und Verhalten. Dabei steht im Zentrum die Frage, ob und wie emotionale, geistig-seelische (d.h. mentale), soziale, spirituelle, erfahrungs- und/oder verhaltensbezogene Faktoren die Gesundheit beeinflussen können. Mind-Body-medizinische Techniken wären dann folglich solche, die auf Grundlage dieser Annahmen die Gesundheitskompetenz und das Selbstfürsorgepotenzial der Individuen nachweislich stärken.

Die Mind-Body-Medizin kommt heute vielerorts praktisch zum Einsatz, v.a. im Kontext von primärer Prävention und Gesundheitsförderung sowie daneben in der Behandlung von lebensstilassoziierten, insbesondere chronischen oder funktionalen Erkrankungen. Hierunter fallen typischerweise die häufigsten Beratungsergebnisse, wegen derer die Menschen auch in Deutschland ihren (Haus-)Arzt aufsuchen (Laux et al. 2010) – beispielsweise muskuloskelettale Beschwerden (inkl. Schmerzerkrankungen und chronisch-entzündlichen/rheumatischen Erkrankungen), Fettstoffwechselstörungen, endokrinologische und metabolische bzw. ernährungsbedingte Erkrankungen (u.a. Diabetes mellitus II), Bluthochdruck, depressive Störungen oder Magen-Darm-Funktionsstörungen. Zusätzlich wird die Mind-Body-Medizin unterstützend in der Behandlung von onkologischen Erkrankungen sowie in der begleitenden Suchtbehandlung (z.B. bei der Raucherentwöhnung) wie auch zur allgemeinen Vorsorge, Gesundheitsförderung, Resilienzstärkung und Stressreduktion eingesetzt (vgl. Esch 2020).

Im Unterschied zur psychosomatischen Medizin ist der Einsatz der Mind-Body-Medizin nicht an eine (Psycho-)Pathologie oder das Vorliegen einer spezifischen psychosomatischen Störung gekoppelt. Mind-Body-medizinische Techniken können – müssen aber nicht – störungsspezifisch und indikationsbezogen eingesetzt werden. Im Gegensatz zur (tiefenpsychologischen) Psychotherapie aber ist das primäre Ziel der Mind-Body-Medizin nicht die Aufdeckung und Klärung eines (intra-)psychischen Konfliktes o.Ä., auch werden in der Regel keine psychodynamischen Erklärungen für ein Verhalten gesucht, das als defizitär eingeordnet wird (Paul u. Altner 2019). Mind-Body-medizinische Interventionen zielen stattdessen auf die Entwicklung gesundheitsfördernder Haltungen und Verhaltensweisen im Alltag ab. Diesem Ansatz liegt das Modell der Salutogenese zugrunde, d.h. die Annahme, dass es neben krankheitsauslösenden oder -begünstigenden Faktoren (vgl. Pathogenese) generell auch solche gibt, die primär Gesundheit erzeugen oder erhalten helfen, die sog. „Gesundheitsschutzfaktoren“ bzw. „Widerstandsressourcen“ und Belastungen kontrollierenden – „salutogenen“ – Faktoren (vgl. Antonovsky 1996; s. Kap. I.1).

Die Mind-Body-Medizin knüpft an der allgemeinen Idee der Selbstwirksamkeit und ihrer gezielten Förderung (Trainierbarkeit) u.a. im Rahmen einer ressourcenorientierten Integrativen Medizin an (Dobos et al. 2006). Das Individuum und seine individuellen Kompetenzen stehen dabei im Mittelpunkt. Auf der Ebene der Beschreibung ihrer Mechanismen und Wirkfaktoren wird häufig auch von der Auto- oder Selbstregulation bzw. einer „Selbstregulations-Medizin“ gesprochen (Esch 2014). Den konzeptionellen Rahmen bildet der bereits beschriebene dreibeinige Stuhl (s. Abb. 1). Als Mind-Body-medizinische Methoden sind Interventionsstrategien etabliert, die dem sog. „BERN-Prinzip“ folgen – dieses sind Maßnahmen, die entweder auf das Verhalten (B – Behavior), insbesondere das kognitive Denkverhalten (Handlungsbewusstsein), und/oder die Bewegungs- (E – Exercise) bzw. Entspannungspotenziale (R – Relaxation) und/oder eine gesunde Ernährung (N – Nutrition) abzielen (vgl. Esch u. Esch 2015). BERN ist kein definiertes Programm, sondern beschreibt als Akronym den Bezugs- und Handlungsrahmen, das „Framework“, der verschiedenen Mind-Body-Interventionen. Wichtiger Bestandteil dieses multifaktoriellen Ansatzes sind auch soziale Unterstützung (i.d.R. als Teil der Verhaltenssäule aufgefasst) sowie Spiritualität, Glaube und Meditations- bzw. Achtsamkeitstechniken (i.d.R. als Teil der Entspannungssäule). Damit reiht sich die Mind-Body-Medizin in allgemeine Prinzipien der Gesundheitsförderung ein.

Umgesetzt in der Praxis wird die Mind-Body-Medizin (wie auch individuelle Maßnahmen der Gesundheitsförderung) typischerweise im Rahmen der Primärprävention oder komplementär in der Behandlung von konkreten Erkrankungen, hier jedoch zumeist nicht aus der „Hand“ der behandelnden Ärzte, sondern durch speziell ausgebildete „Experten der Gesundheitsförderung“ (vgl. Werdecker u. Esch 2019). Aus diesem Grund wird hierfür auch vom „Zweitürenmodell“ gesprochen – der Idealvorstellung, dass Patienten bei konkreten Beratungsanlässen etwa in der Primärversorgung in eine (ambulante) Einrichtung gehen, um dort hinter zwei Türen jeweils zum einen auf den Arzt für das pathogenetisch ausgerichtete Behandlungsmanagement zu treffen, zum anderen auf den Therapeuten für Gesundheitsförderung bzw. Mind-Body-Trainer/-Instruktor, Ordnungstherapeuten (den Experten für Gesundheitsförderung und Salutogenese), für die gezielte Aktivierung der Selbstheilungs- und Gesundheitspotenziale. In den letzten Jahren hat sich die Evidenzlage für dieses Vorgehen bzw. den Einsatz der Mind-Body-Medizin in Prävention und Gesundheitsförderung – insbesondere in der Primärversorgung – sowie in der Therapie verschiedener Erkrankungen stark verdichtet (vgl. Esch 2020). Zusätzlich haben neuere Erkenntnisse potenzieller Mechanismen und Wirkfaktoren (s. Abb. 2; Esch u. von Bernus 2019) einen großen Vorschub für die zunehmende Verbreitung und Akzeptanz der Mind-Body-Medizin im Gesundheitswesen vieler Länder geleistet.

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