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2.8 Selbstheilung in der aktuellen Wissenschaft – Altes Wissen „reloaded“

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Forschungsarbeiten zu den molekularen und autoregulativen Grundlagen von Mind-Body- und Komplementärmedizin (vgl. u.a. Esch et al. 2004) haben unlängst relevante Parallelen zu Placebo-Mechanismen aufgezeigt (s. Kap. II.10). Dieses gilt insbesondere für die Beteiligung neurobiologischer, hirneigener Erwartungs- und Belohnungsprozesse, wie sie etwa im Bereich der drei limbischen Ebenen – d.h. der unterschiedlichen Belohnungs- und Motivationssysteme im zentralen Nervensystem – ihren Ausgang nehmen (Esch 2017). In diesem Kontext gerieten kürzlich bemerkenswerte Studienergebnisse etwa vom US-amerikanischen Placebo-Forscher Ted Kaptchuk (u.a. Kaptchuk et al. 2010) in den Fokus: Hier wurde behauptet, dass der Placebo-Effekt selbst dann noch existiere, wenn man sog. „Open-Label-Behandlungen“ durchführe, den Patienten also explizit mitteile, dass ein bestimmtes Medikament ein „wirkstoffloses Scheinmedikament“ darstelle (welches aber „auf die Selbstheilung einen positiven Einfluss“ haben könne). Von Täuschung kann jetzt kaum mehr die Rede sein. Nicht nur scheint die Selbstregulation auch unter diesen Umständen noch zu funktionieren, sondern inzwischen kennt man sogar erste genetische Dispositionen, die für den Placebo-Effekt empfänglicher machen (vgl. u.a. Hall et al. 2012). Ganz so, wie es Anthropologen wie James McClenon vorhergesagt hatten (siehe oben).

Abb. 2 Zusammenhang zwischen positiven/angenehmen Erfahrungen und einer physiologischen/molekularen Selbstregulation („Selbstheilung“) sowie möglichen Stressreduktion. Die Stressinhibition (*) erfolgt dabei u.a. neuronal (über direkte Einflüsse aus dem Nervensystem), enzymatisch, zellulär oder nukleär (z.B. über die Hemmung entzündungsförderlicher genetischer Transkriptionsfaktoren) (Modell aus Esch 2017). NO = konstitutiv gebildetes Stickstoffmonoxid; ZNS = Zentrales Nervensystem.

Der organische Ursprung solcher Selbstregulationsphänomene liegt offenbar im Gehirn. Begleitet von der Ausschüttung charakteristischer Botenstoffe (z.B. Dopamin) werden u.a. Zentren und Netzwerke aktiviert, die sich insbesondere in stammesgeschichtlich alten Arealen des zentralen Nervensystems befinden, wie etwa den limbischen Belohnungsregionen (vgl. Esch et al. 2004; Esch 2017). Interessanterweise scheinen viele „Selbstheilungstechniken“ ihre Wirkungen z.T. über jene Prozesse zu entfalten: Das, was diesen Mechanismus im Einzelnen aktiviert, mag spezifisch und stark biografisch oder kulturell geprägt sein (d.h. konditioniert) – und somit individuell. Der Mechanismus selbst aber scheint eher einem universellen biologischen Prinzip zu folgen, der auch bei Tieren in experimentellen Studien belegt werden konnte. Und so überrascht es nicht, dass man heute eine Überschneidung bzw. Konvergenz vieler unterschiedlicher Verfahren und Rituale (unter dem Label der Selbstheilung) auf jene hirneigenen Autoregulationszentren annimmt, bis hin zum Nachweis überschneidender molekularer Signalmechanismen, die ihrerseits wiederum u.a. auf eine Reduktion von Stress- oder Entzündungsmechanismen hinzuwirken scheinen (s. Abb. 2). In diesem Sinne können wir Mind-Body- bzw. Heilungsrituale heute auch als praktischen Anker jener (neuro)biologischen und psychomentalen Zusammenhänge verstehen (Esch u. Stefano 2010) und die Mind-Body-Medizin als „angewandten“ Placebo- oder Kontext-Effekt, die Selbstheilung als eine Art Placebo-Medizin. In jedem Fall aber scheinen die geschilderten Phänomene rund um die Selbstregulation nach wie vor von hoher Relevanz für die gesamte Medizin zu sein, auch und gerade für die Integrative und Mind-Body-Medizin.

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