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Mari Paz Balibrea

London, Großbritannien und Murcia, Spanien

Dr. María José Balibrea Enriquez, Professorin für spanische Literatur und Kulturwissenschaft am Institut für Spanisch, Portugiesisch und Lateinamerika-Studien der University of London.

Veröffentlichung: Tiempo de exilio: una mirada critica a la modernidad espanola desde el pensiamiento republicano en el exilio, Montesinos 2007.

Linker Feminismus heute

Einige grundsätzliche Voraussetzungen des linken Feminismus, wie ich ihn verstehe:

• Linker Feminismus zielt auf strukturelle Veränderungen. Es geht darum, die Strukturen oder den Status quo der Frauenunterdrückung in der jeweiligen Gesellschaft zu erkennen und diese Strukturen entsprechend zu verändern, welche Form sie im jeweiligen Kontext auch immer annehmen. Weiter geht es darum, die erreichten Veränderungen zu erhalten und weiter voranzutreiben. Linker Feminismus ist daher eine »tiefgreifende« gesellschaftliche und politische Bewegung, nicht eine »oberflächliche« oder konjunkturelle.

• Links-feministische Projekte sind einschließend, nicht ausschließend. Mit anderen Worten: Sie erkennen an, dass Unterdrückung komplex und niemals auf die Unterwerfung entlang einer Kategorie (in diesem Fall Geschlecht) beschränkt ist. Daher zielen sie darauf ab, ihre Kämpfe mit denen anderer zu verknüpfen (nicht, sie ihnen unterzuordnen), um eine Veränderung hin zu mehr Gerechtigkeit für alle Unterdrückten, nicht nur für Frauen, zu bewirken.

• Die Ausgangsbedingungen für einen linken Feminismus hängen stark davon ab, über welchen Teil der Welt wir reden und wie es um Identitätsmerkmale wie Klasse, Ethnie und Religion von Frauen steht. Manche Frauen müssen noch für die Anerkennung grundlegender Gleichheitsrechte kämpfen, während andere Frauen seit Jahrzehnten zumindest nominell die institutionelle und gesellschaftliche Zuerkennung dieser Grundrechte genießen. So werden zum Beispiel ein Opferdiskurs und die Ablehnung von Lebensweisen als »falsches Bewusstsein«, wie sie für die erste Welle der Frauenbewegung charakteristisch waren, im aufgeklärten Kontext der sogenannten ›Ersten Welt‹ wahrscheinlich kontraproduktiv wirken, insbesondere bei den jungen Generationen, die unter Bedingungen von Gleichheit und Wahlmöglichkeit aufgewachsen sind, die für sie selbstverständlich und in ihrem Leben sehr real sind. Einen negativen Effekt könnte so ein feministischer Diskurs auch deshalb haben, weil er einer reaktionären puritanischen Politik in die Hände spielt, die Frauen weiterhin unterjochen möchte statt sie zu befreien. In anderen Zusammenhängen jedoch ist das Benennen der Viktimisierung von Frauen absolut notwendig, auch innerhalb jener im Kern aufgeklärten Länder: in der Arbeitswelt nämlich, im privaten Raum oder in der Lebenswelt marginalisierter, gefährdeter Bevölkerungsgruppen. So viel Differenziertheit und Aufmerksamkeit in der Analyse sind absolut notwendig für eine links-feministische Agenda, wenn sie Frauen auf breiter Front ansprechen will und nicht nur die üblichen weißen Mittelschichtsfrauen, die dem westlichen Feminismus den Weg bereitet haben.

• Angesichts der Unmöglichkeit eines einzigen linken Feminismus, der für alle Frauen sprechen könnte, muss jedes realistische Konzept, das Feminismus als globales Projekt entwirft, in erster Linie als Rahmenpolitik gedacht werden. Diese Politik wird nur in dem Maße funktio­nieren, wie sie einen Dialog der Stimmen aus verschiedenen Ecken des feministischen Spektrums anstößt und in Gang hält.

• Darüber hinaus braucht es dringend eine eingrenzende Bestimmung dessen, was einen linken Feminismus ausmacht. Das zu versäumen würde dem Relativismus in die Hände spielen und unter der Prämisse, Differenz zu respektieren, jegliche Frauenpolitik als feministisch und progressiv anerkennen.

• Genauso ist zu begründen, warum es sinnvoll ist, von einem einzigen linken Feminismus statt einer Mehrzahl linker Feminismen zu sprechen. Linker Feminismus ist das Ergebnis einer globalisierten Welt, in der Handlungen nicht nur lokal, sondern über den ganzen Planeten hinweg Wirkung zeigen. Von einem linken Feminismus zu sprechen wurzelt in der Überzeugung, dass wir eine globale Koordinierung links-feministischer Forderungen anstreben müssen, die für alle Beteiligten vorteilhaft ist. Mit anderen Worten: Linker Feminismus steht dafür, dass die Bedürfnisse und Wünsche aller Beteiligten in die Diskussionen über das gemeinsame feministische Programm immer mit einbezogen werden. Linker Feminismus hält sich von den Täuschungen des liberalen Pluralismus fern, der zwar behauptet, die Positionen aller zu respektieren, dadurch aber alle zu Vereinzelung, Egoismus und Gleichgültigkeit gegenüber den Bedürfnissen anderer verdammt. Mit dem Vorschlag, linken Feminismus als Rahmen zu begreifen (und nicht als Versuch, eine bestimmte Politik auf Kosten anderer durchzusetzen), möchten wir in allen ein Gefühl von »Teilhabe« an diesem Begriff erzeugen. Gemeinsam gerät uns die Präsenz der vielen nicht aus dem Blick.

Als Spanierin möchte ich auf folgende besonderen Notwendigkeiten in Spanien hinweisen:

• Eine Vertiefung der Gleichheit und Achtung von Frauen. Juristisch und politisch wurde in dieser Hinsicht viel erreicht, besonders in den vergangenen fünf Jahren unter der sozialdemokratischen Regierung von Rodríguez Zapatero. Doch vieles bleibt zu tun. Wirkliche Gleichheit kann paradoxerweise nur bei gleichzeitiger Anerkennung von Verschiedenheit entstehen. Der biologische Unterschied der Frau, ihre Fähigkeit, Kinder zu bekommen, dient in Spanien nach wie vor dazu, die Diskriminierung von Frauen in der Arbeitswelt zu rechtfertigen. Diese weit verbreitete Praxis wird durch die gesetzlich geförderte neoliberale Einstellungspraxis unterstützt. In der Tat bleibt Mutterschaft der die Frauendiskriminierung strukturierende Faktor. Sexistische Praktiken gegen Frauen im gebärfähigen Alter reichen von unverhohlener Kündigung schwangerer Frauen in prekären ­Arbeitsverhältnissen bis zur subtileren Form der fehlenden Anerkennung der familiären Pflichten von Frauen. Dies entscheidet immer noch vollkommen, und zwar in negativer Richtung, über die Berufskarrieren von Frauen, die sich außerstande sehen, den von Männern geschaffenen und auf Männer zugeschnittenen Standards für ­Arbeitszeiten und -plätze zu genügen, es sei denn, sie verzichten auf andere Lebensinhalte. Weitere Gesetze und eine andere Wirtschaftsweise sind nötig, um die Rechte von Frauen am Arbeitsplatz effektiv und im vollen Sinne zu verteidigen und sie nicht dafür zu bestrafen, dass sie Zeit für reproduktive, soziale und gemeinschaftliche Aufgaben aufwenden. Dies sind wesentliche Tätigkeiten für die Aufrechterhaltung und das Wohlergehen jeder Gesellschaft, und sie sollten weder direkt noch indirekt unter Ausbeutungsbedingungen ausgeübt werden. Geschieht das doch, hat dies nicht nur Nachteile für Frauen, sondern bedauerliche Konsequenzen für das Gesellschaftsgefüge als Ganzes.

• In unserer nach wie vor von Sexismus durchdrungenen Gesellschaft ist es notwendig, zu Gleichberechtigung und Respekt für Unterschiede zu erziehen. Ein gravierendes Zeichen für diese Erfordernis ist die Gewalt gegen Frauen. 2008 wurden mindestens 70 Frauen von meist aus ihrem sozialen Umfeld stammenden Männern umgebracht. Kürzlich sind neue Gesetze erlassen und neue Mittel der Strafverfolgung geschaffen worden, um derlei Gewalttaten zu bestrafen, zu verhindern und potenzielle Opfer zu schützen. Es handelt sich hier jedoch nicht nur um ein rechtliches Problem, sondern um ein Problem, das die gesamte Gesellschaft betrifft. Ein linker Feminismus, geübt in der Analyse von Sexismus in Alltagspraxen, kann auf allen Ebenen wesentlich dazu beitragen, Aufklärung und kritisches Bewusstsein zu fördern.

Briefe aus der Ferne

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