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Das Projekt der Frauenbefreiung

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Unsere Situation ist eine andere. Sie ist weniger dramatisch und verlangt doch zugleich großen Mut. Allen Lehren widersprechend, dass es ein Kollektiv-Subjekt Frauen nicht gebe, dass die divergierenden und entgegengesetzten Interessen größer seien als die gemeinsamen, gilt es, das Projekt der Frauenbefreiung neu zu eröffnen. Es ist der Schlüssel für eine alternative Gesellschaft. Bei diesem Aufbruch sind wir nicht allein. Schon gibt es Stimmen, die den Verlust des politischen Subjekts beklagen und zum neuerlichen Aufbruch mahnen.4

In der Regierungspolitik zur Weltwirtschaftskrise wird überaus deutlich, dass diese Gesellschaft nicht vom Standpunkt ihrer Reproduktion gefasst wird, sondern stur und hilflos vom Versuch, alles genau so wiederherzustellen, wie es war – mit Überakkumulation von Gütern und von Kapital, mit Krieg –, und dabei Hunger, wachsende Arbeitslosigkeit und Angst in Kauf nehmend. Vom Reproduktionsstandpunkt sieht man ohne Weiteres, dass die Ressourcen verbraucht werden, dass es für die meisten heißt, den Gürtel, der nicht sonderlich weit war, sehr viel enger zu schnallen, und dass niemand so recht zu wissen scheint, wie alle in diese schwere Lage kamen. Die krisenhafte Entwicklung geht so schnell, dass es sogar schwerfällt, die Verwandlung der eigenen Wünsche zu erinnern. Noch vor wenigen Jahrzehnten ging es um die Verkürzung der Arbeitszeit und Humanisierung der Arbeitswelt; aus der Frauenbewegung kamen die Forderungen nach Anerkennung von Hausarbeit als Arbeit. Dann kam mit dem Neoliberalismus als neue Lösung aller Pro­bleme die vollständige Selbstbestimmung eines jeden als Fortschritt. Die Losung, ein jeder und eine jede könnten Unternehmer sein, und sei es nur ihrer eigenen Arbeitskraft, bleibt eine zynische Verbrämung der Verwandlung so vieler in neue Sklaven und Sklavinnen der Banken, deren Kredite ein neues Leben versprachen: Eigentumswohnungen und Glück durch Konsum. Und jetzt in der Weltwirtschaftskrise geraten die einzelnen Momente täglichen Lebens aus den Fugen. Schon geht es nurmehr darum, überhaupt einen Arbeitsplatz zu haben, egal welcher Qualität. Der Klassenkampf scheint stillgestellt und ebenso der Konflikt mit dem ›Feind im eigenen Bett‹. Dramatisch gehen die Scheidungsraten nach unten. Da man nicht weiß, wie viel schlechter alles wird, scheint es sicherer, vorerst zusammenzubleiben, wie zerstritten auch immer. Die versprengten Einzelnen ducken sich, um vielleicht davonzukommen.

Briefe aus der Ferne

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