Читать книгу Briefe aus der Ferne - Группа авторов - Страница 7

Die Vier-in-einem-Perspektive

Оглавление

Aber dies ist der Moment, sich aufzurichten und die Fragen noch einmal neu zu durchdenken.

Vom Standpunkt der Reproduktion der Gesellschaft gewinnen die einzelnen Bereiche des Lebens eine andere Bedeutung. An oberste Stelle rückt das Leben selbst als Zweck und Ziel und also das Verlangen, dass es gut sei. Alle Arbeit, die hierfür direkt geleistet wird, ist selbstverständlich Arbeit, gehört aufgewertet und als soziale Befähigung für alle Geschlechter5 zugänglich gemacht. Sie braucht Raum und Zeit. So wird ein feministisches Projekt einer Linken heute nicht bei der Gleichstellung der Geschlechter in der schlecht verwalteten und barbarischen Gesellschaft beginnen, sondern bei der Arbeit und ihrer Verteilung. Dafür müssen wir als Erstes gegen den bornierten Blick streiten, der nur das als Arbeit zählt, was heute in der Form der Lohnarbeit geregelt ist. Alle Arbeit in der Gesellschaft gehört besichtigt und ihre Verteilung gerecht angegangen. Dafür brauchen wir einen anderen Arbeitsbegriff und eine andere Vorstellung von Gerechtigkeit, die nicht mehr bloße Tauschgerechtigkeit wäre, sondern orientiert ist an ihrem Gegensatz, dass keinem Unrecht geschehe. Besichtigen wir die Gesamtgesellschaft, so gibt es überall Aufgaben im Überfluss, von deren Erfüllung nur ein Teil bezahlt wird und vieles überhaupt ungetan bleibt, weil keine Zeit und keine Kraft vorhanden und weil andere Ziele dominant sind. Das gilt wohl für viele Fragen des Umgangs mit Natur, der menschlichen wie der, die zu unseren Lebensbedingungen zählt. Eine gerechte Verteilung der Arbeit beträfe die Verteilung der Arbeit an den Mitteln des Lebens, die in der heutigen Form der Lohnarbeit ein zum guten Leben ausreichendes Einkommen erbringen muss; dann der Menschheitsarbeit, sich des neuen, des kranken, des alten Lebens und seiner selbst sorgend anzunehmen, heute Reproduktions- oder auch Sorgearbeit, manchmal Familienarbeit geheißen. Beides sind Menschenrechte. Als Menschenrecht soll auch gelten, die eigenen Anlagen zu entfalten. Dies ist sowohl eine Notwendigkeit wegen der schnell sich ändernden Erfordernisse des Lernens, aber auch eine sinnhafte Aufgabe, als schöpferischer Mensch sein Leben als Kunstwerk zu begreifen. Schließlich bleibt die Arbeit der politischen Gestaltung von Gesellschaft im Großen, die wir Politik nennen. Uneingelöst ist in der Abgabe des Politischen an eine spezielle Berufsgruppe mit nachfolgender politischer Entmündigung der Bürger das menschliche Bedürfnis, seine Lebens- und Arbeitsbedingungen zu gestalten. – Dass Politik ein Bedürfnis auch nach Lebenssinn ist, zeigt die wachsende Zahl von »­ehrenamtlich« Tätigen, die sich – fast jeder Zweite in Deutschland – unentgeltlich der Gemeinwesenarbeit verpflichten.

Eine politische Utopie für die Neuordnung der Bereiche des Lebens, die zugleich Anleitung zum alltäglichen politischen Handeln ist, ist die Vier-in-einem-Perspektive.6 Suchen wir daraus die »klare Losung« für politisches Handeln, so wäre es: Das geteilte Leben muss in ein ganzes Leben zusammengebracht werden. Eine gerechte Teilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit und Demokratie jetzt! Es muss um die Verfügung über Zeit gestritten werden. Dafür braucht es eine radikale Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit tendenziell auf ein Viertel des alltäglich tätigen Lebens und einen guten Arbeitsplatz als Menschenrecht wie ebenso die Teilhabe aller an der Arbeit für Mensch und Natur in einem weiteren Viertel. Zeit und Raum für Entwicklung als Menschenwürde und politische Beteiligung von allen. Alle anderen hier nicht diskutierten Bereiche lassen sich in dieser Verknüpfung anordnen.

Briefe aus der Ferne

Подняться наверх