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1.2 Die Macht des Unbewussten

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Wie schon deutlich wurde, gestalten neben bewussten Vorgängen auch unbewusste Prozesse die Beziehung zwischen Patient*in und Therapeut*in. Am bedeutsamsten sind hier die Übertragung und Gegenübertragung, erstmals von Freud beschrieben. So werden (oftmals unbewusste) Erwartungen und Wünsche der Patient*innen auf Therapeut*innen übertragen, in der Hoffnung, dass diese von ihnen erfüllt werden (Übertragung). Therapeut*innen kann dabei die Rolle einer Person zugeschrieben werden, mit der Patient*innen einen Konflikt hatten oder haben, ihn aber nicht lösen können. Ein junger erwachsener Mann, der in seiner Kindheit wiederholt von seiner psychisch kranken Mutter alleine gelassen wurde, kann unbewusst den Wunsch nach Zuwendung und Fürsorge auf seine Therapeutin übertragen, gleichzeitig aber auch die Angst, von ihr verlassen zu werden. Dieser Wunsch und das Gefühl gelten eigentlich der Mutter, durch die Übertragung auf die Therapeutin lassen sie sich jedoch im Hier und Jetzt in der Therapie bearbeiten. Ebenso kann eine erwachsene Frau mit einem kritischen, abwertenden und von hohen Ansprüchen geprägten Vater in der Therapie bemüht sein, dem männlichen Therapeuten zu gefallen und ihm alles recht zu machen, um Anerkennung und Lob zu erhalten, was sie von ihrem Vater nicht bekommen hat.

Bei Therapeut*innen entstehen wiederum Erwartungen, Wünsche und Gefühle als Reaktion auf Patient*innen (Gegenübertragung). Eine Therapeutin fühlt sich durch ihre Patientin nicht wahrgenommen, da diese ihr oftmals ins Wort fällt und über Fragen und Einwürfe hinweggeht. Einem anderen Patienten gegenüber hegt sie dagegen mütterliche Gefühle, möchte ihn beschützen und schonen. Um diese Reaktionen effektiv in den therapeutischen Prozess einbinden zu können, muss gut unterschieden werden, ob sie durch Patient*innen oder die eigene Lebensgeschichte hervorgerufen werden.

Unbewusst kann der Therapieprozess auch behindert werden, was sich in Form von ständigem Zuspätkommen, kurzfristigen Terminabsagen, »keine Ahnung«- und »ich weiß nicht«-Antworten oder einem Ausweichen manifestieren kann und als Widerstand bezeichnet wird. Dieser sollte Patient*innen gegenüber in einer für sie angemessenen Form aufgegriffen und gedeutet werden, um eine effektive Weiterarbeit nicht zu gefährden.

Am eindrücklichsten habe ich die Macht des Unbewussten in einer Supervisionsstunde erlebt. Dort habe ich meiner Supervisorin von den vorangegangenen Terminen mit einer 7-jährigen Patientin berichtet – sich immer wiederholende Spielsequenzen im Puppenhaus, die ich nicht deuten konnte. Während des Berichtens wurde ich plötzlich sehr traurig und merkte, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Auch der Supervisorin blieb dies nicht verborgen. Sie sprach mich darauf an und fragte, ob dies mit mir, meiner aktuellen Lebenssituation oder meiner Familie zu habe. Ich verneinte, versicherte, dass bei mir alles gut sei. Das Berichten über die Patientin und unsere letzten Stunden hatte mich traurig gemacht, und obwohl mir ein traumatisches Erlebnis in ihrer Vorgeschichte bekannt war, die Patientin seit einigen Monaten häufig gedrückt und traurig zu mir kam, konnte ich mir nicht erklären, warum ich gerade in diesem Moment so reagierte. Nach kurzem Schweigen fragte die Supervisorin, ob es sein kann, dass sich der Todestag der älteren Schwester meiner Patienten jähre, die bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Ich war völlig irritiert und verblüfft, blätterte aber umgehend in meinen Unterlagen nach. Die Supervisorin hatte recht. Im Gegensatz zu mir hat sie die Traurigkeit nicht nur gespürt, sondern konnte sie auch zuordnen. Mir war nicht bewusst, dass der Todestag so nah war, die Patientin hatte dies nicht angesprochen. Vermutlich hatte ich es wohl auch verdrängt, um mich nicht dem Schmerz der Patientin stellen zu müssen. Und dennoch war er da. Mir hat das Verstandenwerden durch die Supervisorin Erleichterung gebracht. In den folgenden Therapiestunden konnte ich dann meine Patientin besser verstehen, ihr mitfühlend und tröstend begegnen, denn ich hatte wirklich gespürt, was sie bewegt, aufwühlt, abwehrt und was sie nicht in Worte fassen konnte, was sie aber immer begleitet hat und auch in den Therapieterminen anwesend war. Wir konnten gemeinsam um ihre Schwester trauern.

Facetten tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie

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