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1.3 Die Wurzeln der Bäume
ОглавлениеDie Lebensvorgänge der Bäume wurden in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend erforscht. So haben wir viel gelernt, z. B. über die Steuerung des Triebwachstums, die Einlagerung und Mobilisierung von Reservestoffen im Holz oder die aktive Reaktion der Bäume auf Verletzungen und wiederkehrende mechanische Belastungen.
Zu dem erworbenen Wissen „rund um den Baum“ gehören auch Kenntnisse über die Grundlagen des Wurzelwachstums. Diese unterirdischen Organe entziehen sich in der Regel unseren Blicken und so verwundert es nicht, dass sie hin und wieder regelrecht in Vergessenheit geraten. Doch von ihrem Zustand, ihrer Gesundheit und Funktionsfähigkeit hängt die Existenz des ganzen Baumes ab. Bäume benötigen nicht nur gesunde Wurzeln, auch das Volumen dieser unterirdischen Versorgungsorgane muss in einem ausgewogenen Verhältnis zum Volumen der in den Kronen vorhandenen oberirdischen Versorgungsorgane, den Blättern (oder Nadeln) stehen. Nur dann sind Bäume im „Gleichgewicht“, und können ihre vielfältigen Wohlfahrtswirkungen uneingeschränkt erbringen.
Abbildung 2: Z. ERDELJAC und F. DÄUBLE
So unterschiedlich das äußere Erscheinungsbild der verschiedenen Baumarten auch sein mag, so unterschiedlich ihr natürliches Wurzelwachstum auch sei, so sehr ihre Ansprüche an den Standort auch differieren, eines ist allen Baumarten gemeinsam: ihre Wurzeln wachsen bevorzugt dort, wo sie ein gutes Angebot an Sauerstoff (und Feuchtigkeit) vorfinden. Denn Wurzeln müssen atmen und benötigen daher dasselbe Medium, das auch uns am Leben erhält. So lange der Sauerstoffgehalt im Gasgemisch des Bodens bei 15 % oder darüber liegt, können sich die Wurzeln artgemäß entwickeln. Sinkt der Partialdruck des Sauerstoffs im Gasgemisch des Bodens, geht das Wurzelwachstum zurück. Bei 11 % und darunter, kommt es zum Erliegen, die Wurzeln sterben ab und nachfolgend auch der „oberirdische Baum“.
Selbstverständlich sind auch die chemischen und biologischen Eigenschaften eines Bodens für das Wurzelwachstum von großer Bedeutung. Doch die bodenphysikalischen Gegebenheiten überlagern diese, sowie die genetische Ausstattung der Bäume, bei der Ausprägung der Wurzeln viel stärker, als früher angenommen. In zahlreichen Untersuchungen wurden diese Sachverhalte nachgewiesen und fanden Einzug in die gärtnerische Praxis. Die Entwicklung von Pflanzsubstraten in europäischen Ländern und in den USA sowie die Anwendung neuer vegetations- und bautechnischer Verfahren sind Beispiele für die Umsetzung dieser Erkenntnisse.
Bei der Erforschung des Wurzelwachstums ist auch deutlich geworden, dass es möglich ist, die Wurzeln zu „lenken“ (HEIDGER 2002). Indem man ihnen ein gut durchlüftetes, an Grobporen reiches Medium anbietet, das sie unmittelbar erkennen und bevorzugt durchwurzeln, kann man sie aus anderen Bereichen, in die sie nicht hineinwurzeln sollen, „heraushalten“, wenn man die Eigenschaften des Substrates dort „wurzelunfreundlich“ gestaltet. Diese Erkenntnis wird bei innerstädtischen Baumpflanzungen auch im Zusammenhang mit Leitungsschutzmaßnahmen an Bedeutung gewinnen.
Wenn auf natürlichen Standorten keine optimalen Voraussetzungen für die Ausbreitung der Wurzeln herrschen, reagieren Bäume mit „intelligenten Tricks“, um damit ihr unaufhörliches Wurzelwachstum, dessen Ende ihren Tod bedeuten würde, sicherzustellen. Können sie nicht in die Tiefe wachsen, bilden sie flachere Wurzelteller aus, die dafür aber viel weiter über die Kronentraufe hinausreichen, als üblich. Oder sie wurzeln in tiefen Felsspalten, um das hinein gespülte mineralische und organische Feinmaterial für sich zu erschließen. Sie suchen mit ihren Wurzeln Halt an Felsbrocken, die sie umwachsen und in ihr „Wurzelfundament“ integrieren. Wenn es sein muss, durchqueren sie auch Hohlräume, auf ihrer ständigen Suche nach Wasser und Nährstoffen. So können sie sich mit dem Lebensnotwendigen versorgen und den Kräften von Wind und Wetter widerstehen.
Auch auf innerstädtischen Standorten versuchen Bäume das, was sie im Laufe der Evolution „gelernt“ haben, umzusetzen und für ihr Überleben zu nutzen. Dann kann es allerdings zu Konflikten kommen, denn sie können nicht unterscheiden zwischen einer Felsspalte und einem Kanalrohr, zwischen einem Felsbrocken und einer Gasleitung…