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Thomas Antkowiak „Daheim auf zwei Quadratmetern – Vom Leben im Käfig“ Eine Misereor-Ausstellung zum Menschenrecht auf Wohnen1

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Was heißt es, auf etwa zwei Quadratmetern sein Leben fristen zu müssen – ohne jede Privatsphäre, vielleicht ohne Aussicht darauf, dass sich die Situation ändert. Ist es möglich, unter solchen Bedingungen zu leben, ohne Mut, Hoffnung und Selbstwertgefühl zu verlieren?

Misereor richtet mit der Ausstellung über die sogenannten „Käfigmenschen“ in Hongkong das Augenmerk auf die Wohnsituation von Armen in Städten. Das Hilfswerk macht auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam, denen diese Menschen – oft ohne eigene Schuld – ausgesetzt sind – und zeigt auf, welche Möglichkeiten es für uns gibt, sich solidarisch zu zeigen und aktiv zu werden.

Misereor wurde 1958 von der Deutschen Bischofskonferenz als katholisches Werk für die Entwicklungszusammenarbeit gegründet. Der Gründungsauftrag, den der damalige Vorsitzende, der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings formulierte, war ein dreifacher:

– Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten zur Bekämpfung von Hunger und Krankheit in der Welt;

– die Menschen in Deutschland durch Bildungsarbeit und Kampagnen auf die Situation der Armen und die Ursachen von Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen und

– den Reichen und Mächtigen vom Evangelium her ins Gewissen zu reden.

Dieser Dreiklang leitet Misereor bis heute. Dabei liegt der Bezug zu den Menschenrechten auf der Hand. Der Einsatz für die Menschenrechte – und für die Änderung ungerechter Machtstrukturen – zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit des Hilfswerks, denn Menschenrechte und Entwicklung hängen wechselseitig voneinander ab.

In einer Stadt wie Nürnberg, die sich als „Stadt der Menschrechte“ einen Namen gemacht hat, braucht es eigentlich nicht besonders erwähnt zu werden, dass am 10. Dezember 1948 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte feierlich verabschiedet wurde. Sie gilt bis heute für alle – auch für die erst später beigetretenen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen – inzwischen 192 an der Zahl.

Ziel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist es, eine Welt zu schaffen, in der alle Menschen „frei von Furcht und Not“ leben können: Frei von Furcht, das bedeutet:

– frei von Furcht vor politischer oder religiöser Verfolgung,

– frei von Furcht vor Folter,

– frei von Furcht vor Todesstrafe und

– frei von Furcht vor willkürlicher Inhaftierung, nur weil man seine Meinung geäußert hat.

Ohne Not zu leben, das heißt:

– genug zu essen zu haben,

– an sauberes Trinkwasser zu gelangen,

– Zugang zur nötigen medizinischen Versorgung zu haben,

– einen Arbeitsplatz zu haben, der es erlaubt, genügend für den Lebensunterhalt für sich und die Familie zu verdienen,

– ohne Not zu leben heißt, Zugang zu Bildung zu haben – für Erwachsene und vor allem die Kinder und einen angemessen Platz, um menschenwürdig zu wohnen.

Die letztgenannten Menschenrechte gehören zu den „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen“ Menschenrechten. Lange wurden sie als nachrangig betrachtet, als Zukunftsvision, deren Verwirklichung die Staaten sich oft nicht leisten können – oder wollen!

Anders als etwa das Verbot der Folter oder das Gebot der Meinungs-, Vereinigungs- oder Religionsfreiheit, die zu den „bürgerlichen und politischen Rechten“ gehören, gelten die „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen“ Menschenrechte vielen noch bis in unsere Tage als Menschenrechte zweiter Klasse. Doch sind sie dies keineswegs: Von Anfang an waren sie Bestandteil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Zur Bekämpfung der Armut spielen sie eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie die bürgerlichen und politischen Rechte. Für die Arbeit von Misereor sind beide Menschenrechtsdimensionen gleichermaßen bedeutsam.

Am Beispiel der „Cage people“ in Hongkong macht Misereor auf das Schicksal all derer aufmerksam, denen das Menschenrecht auf einen angemessenen Platz zum Wohnen verwehrt wird. Mit der Ausstellung „Daheim auf zwei Quadratmetern – Vom Leben im Käfig“ will Misereor den Blick auf die unglaublich große Zahl von Menschen lenken, die inmitten aufstrebender Städte und schillernder Metropolen in bitterer Armut leben – mitten unter uns also – und doch versteckt und vergessen. Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Es geht also auch darum, auf unser nahes Umfeld aufmerksam zu machen und zu verbinden.


Ein Blick über die Skyline von Hongkong lässt nicht erahnen, unter welchen Lebensbedingungen Menschen hier wohnen


Ausstellungseröffnung „Cage People“ im Caritas-Pirckheimer-Haus am18.11.2010 (Bildnachweis: Pressestelle Kath. Stadtkirche Nürnberg – Elke Pilkenroth)

Inmitten glitzernder Metropolen treffen wir auf unbeschreibliche Armut. Nicht nur in Hongkong, sondern in vielen Städten der Welt. Derzeit lebt bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Im Jahre 2030 werden schon drei von fünf Menschen in städtischen Ballungsgebieten leben. Das Wachstum der Städte ist ein Wachstum der Armut, denn der Anteil der armen Menschen steigt überproportional zur wachsenden Stadtbevölkerung an. Rund 100 Millionen Menschen weltweit sind bereits heute obdachlos. Das sind etwa 30-mal so viele wie die Bundeshauptstadt Berlin Einwohner hat. Schätzungsweise 2 Milliarden Menschen leben unter menschenunwürdigen Bedingungen, weil für sie kein menschenwürdiger und bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht.

Hongkong ist ein bedrückendes Beispiel. Die Stadt hat etwa 7 Millionen Einwohner. 1,3 Millionen von ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze. Wohnraum ist knapp in der Metropole und teuer. Für eine menschenwürdige Einzimmerwohnung im Stadtzentrum muss man im Durchschnitt über 1000 Euro pro Monat aufbringen. Für Hongkongs Arme unerschwinglich. Rund 100 000 Menschen in Hongkong können sich daher als ein Zuhause nicht mehr leisten als einen Käfig von weniger als 2 qm Größe – 20 000 von ihnen sind Kinder. Einen solchen Käfig kann man „schon“ für umgerechnet rund 120,– Euro im Monat mieten – Strom oder andere Nebenkosten meist nicht eingerechnet.

Der Käfig, der Bestandteil der Ausstellung ist, stand vor gut einem Jahr noch mitten in Hongkong. Zwei Menschen lebten darin, mit genau den Habseligkeiten, die auch jetzt dort zu sehen sind.

Erste Käfigheime entstanden in Hongkong bereits in den 1940er Jahren. Vor allem aber seit Anfang der 1950er Jahre boomte der Käfigheim-Markt. Denn damals kamen zahlreiche Einwanderer und Flüchtlinge vom chinesischen Festland ins aufstrebende Hongkong. Als Billiglöhner fanden sie Arbeit in den Fabriken oder verdingten sich als Lastenträger. Doch sie verdienten nicht genug, um sich eine menschenwürdige Unterkunft in der Metropole leisten zu können. Die Stadtverwaltung von Hongkong – damals noch britisch – stellte für all diese Einwanderer keinen angemessenen Wohnraum zur Verfügung. Alleinstehende waren bis in das Jahr 1985 hinein nicht einmal berechtigt, überhaupt einen Antrag auf eine Sozialwohnung zu stellen. So entstand ein neuer, „privater“ Wohnungsmarkt in Hongkong – der Markt der Käfigheime. Einige „einfallsreiche“ Haus- und Wohnungsbesitzer waren auf die Idee gekommen, einzelne Appartements oder ganze Wohnhausetagen aufzuteilen. Statt an eine einzelne Person oder an eine Familie konnten sie ihre Wohnungen und Appartements so an Dutzende von Menschen vermieten und ein Vielfaches an Miete kassieren und das alles völlig legal. Bis zu 100 solcher Wohneinheiten gab es in der Vergangenheit zuweilen auf einer einzelnen Hochhausetage.

Die hygienischen Verhältnisse sind in der Regel katastrophal. Dutzende Menschen müssen sich Toilette und Dusche teilen. Die sogenannten Küchen bestehen oft nur aus einer Gasflasche zum Betrieb zweier Herdplatten. Einen Kühlschrank sucht man zumeist vergeblich. Gesundheitsprobleme und soziale Konflikte sind vorprogrammiert. Viele Bewohnerinnen und Bewohner schotten sich ab: gegenüber der Außenwelt, gegenüber der eigenen Familie, manchmal auch untereinander.

Seit über 20 Jahren arbeitet eine der Misereor-Partnerorganisationen aus Hongkong für und mit den „Käfigmenschen“. SoCO, die „Society for Community Organisation“, wurde 1972 in Hongkong von einer Handvoll engagierter Menschen gegründet. SoCO ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation, die mit Sachverstand und Kompetenz die soziale Situation und Entwicklung Hongkongs analysiert und kommentiert, insbesondere die Lage der am gesellschaftlichen Rande der Weltmetropole lebenden Menschen. Der Menschen, die ausgegrenzt, diskriminiert, ignoriert werden: Arme, Alte, Behinderte, Billiglohnarbeiterinnen und Arbeiter. Viele von ihnen sind vom Festland Chinas eingewandert in der Hoffnung, in der aufstrebenden Stadt Arbeit und Wohlstand zu finden. Zu SoCO gehören rund zwei Dutzend fest angestellter Menschen und Hunderte ehrenamtliche Unterstützerinnen und Unterstützer, die konkrete Hilfe leisten, wo akute Not besteht. SoCO findet bei Ärzten, Sozialarbeitern und Psychologen, bei Pädagogen, Journalisten und Fotografen, bis hin zu Friseuren und anderen Handwerkern professionelle Unterstützung. Immer geht es darum, mit Fantasie und Empathie die Eigeninitiative der „Käfigmenschen“ zu fördern; sie zu ermutigen, selbst ihre Rechte einzufordern. Und immer wieder macht SoCO öffentlich auf das Schicksal der Menschen aufmerksam und leistet professionell und erfolgreich Lobbyarbeit zur Änderung von Gesetzen und Verordnungen, die die Interessen der in Armut lebenden Menschen nicht berücksichtigen und vernachlässigen.

SoCO zog sogar bis vor die Vereinten Nationen, um auf die Diskriminierung und Verletzung der Menschenrechte der „Käfigmenschen“ aufmerksam zu machen.

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