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„Nie Wieder“ als normativer Maßstab des Grundgesetzes

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Im August 2008 legte der damalige Vizechef der NPD, Jürgen Rieger (inzwischen verstorben), Verfassungsbeschwerde gegen den vierten Absatz des Volksverhetzungs-Paragraphen 130 des Strafgesetzbuchs ein. Rieger monierte hier unzulässiges Sonderrecht, weil sich Absatz 4 allein gegen die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft wende und damit nur gegen eine bestimmte politische Richtung. Grundrechte auf Versammlungs- bzw. Meinungsfreiheit dürften nur auf Grundlage allgemeiner Gesetze, nicht aber durch Sonderrecht eingeschränkt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat im November 2009 die Verfassungsbeschwerde mit folgender Argumentation (in der Zusammenfassung von Jörg Lange vom Erfurter Max-Weber-Kolleg) zurückgewiesen:

„Grundsätzlich bestätigte es die Auffassung, dass die Meinungsfreiheit nur durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden dürfe. Die Regelung zur NS-Herrschaft sei, so das Gericht, allerdings kein allgemeines Gesetz, das heißt Sonderrecht – aber dennoch ‚ausnahmsweise‘ mit der im Grundgesetz vorgesehenen Einschränkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit ‚vereinbar‘. Eine solche Ausnahme lasse sich begründen angesichts des ‚einzigartigen‘, ‚sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und […] Schreckens‘ der NS-Herrschaft. Diese Erfahrung sei von grundlegender Bedeutung ‚für die Identität der Bundesrepublik Deutschland‘ und deren Entstehungsgeschichte. […] Das bewusste Absetzen von der nationalsozialistischen Herrschaft sei ein ‚historisch zentrales Anliegen aller an der Entstehung wie Inkraftsetzung des Grundgesetzes beteiligten Kräfte‘ gewesen und bilde ‚ein inneres Gerüst der grundgesetzlichen Ordnung‘. Das Grundgesetz könne ‚geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden‘ und sei ‚von seinem Aufbau bis in viele Details hin darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen‘. Folglich sei dem Grundrechtsartikel zur Meinungsfreiheit eine ‚Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent‘, die Befürwortung der NS-Herrschaft in Deutschland dementsprechend als ‚ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens‘ zu beurteilen und insofern ‚mit anderen Meinungsäußerungen nicht vergleichbar‘“ (Jörg Lange 2010, S. 4).

Die Sonderstellung des Nationalsozialismus für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat sich indes nicht so klar und ausdrücklich in den Formulierungen des Grundgesetzes niedergeschlagen. Jörg Lange fragt deshalb kritisch, ob „für die Annahme eines Sonderrechtsstatus der NS-Erfahrung möglicherweise weniger der Entstehungskontext des Grundgesetzes selbst leitend gewesen sei als der Kontext des gegenwärtigen Umgangs mit der NS-Vergangenheit“ (Lange 2010, S. 12). Um zu verdeutlichen, dass sich auch in anderen Rechtskulturen spezifische historische Erfahrungen und ihre aktuelle Verarbeitung niederschlagen, will ich mit dem Rechtsphilosophen Winfried Brugger einen Blick in die Vereinigten Staaten werfen.

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