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Globale Herausforderungen

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Im Ulmer Brotmuseum blinkt eine Lampe im letzten Raum, der sich Welternährungsfragen widmet, etwa alle fünf Sekunden lang auf. Sie soll versinnbildlichen, dass nach den Berechnungen der UN-Welternährungsorganisation weltweit alle fünf bis acht Sekunden ein Mensch an Hunger und Unterernährung stirbt. Dieses Blinken bleibt länger im Gedächtnis als die ihr zugrunde liegenden Zahlen. Von den rund 6,5 Milliarden Menschen auf der Welt leben rund 1,5 Milliarden in extremer Armut. Nach den kürzlich erschienenen Zahlen der Weltbank sind es 1,4 Milliarden. Das Schwanken liegt an der Berechnungsgrundlage. Bisher waren Menschen, die mit einem Dollar am Tag ihren Lebensunterhalt bestreiten mussten, dieser Kategorie zugeordnet worden. Nun beruht sie auf einer Rundung von 1,25 Dollar pro Person und Haushalt. Gleichzeitig rutschen durch den seit Jahren zweistelligen Wirtschaftsboom in China Millionen von Menschen aus der untersten Armutsgrenze in die relative. Bei aller Veränderung dieser Zahlen bleibt mittlerweile die Größe derer, die in Armut leben, recht konstant bei 3,1 Milliarden Menschen. Sie verfügen am Tag über weniger als zwei Dollar. Wie man auch rechnet, über Jahrzehnte sind es rund 50 % der Weltbevölkerung, die zu arm sind, um sich, wenn überhaupt, nur unausgewogene Nahrung leisten zu können, ein wenig billigen Reis und (Mais-)Brot, die keinen Zugang zu Krankenversorgung haben, geschweige denn über eine menschenwürdige Behausung verfügen oder Zugang zu gesundem Wasser haben. Allein die Todesfälle durch verunreinigtes Wasser werden jährlich auf über 200 Millionen veranschlagt. Etwa 2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu diesem elementaren Lebensmittel. In dem beeindruckenden Film „We feed the world“ kommt der Vorstandsvorsitzende Brabeck von Nestlé, der weltweit führenden Inhaberin von Wasserversorgungsnetzen, zu Wort. Sinngemäß sagt er, es gäbe Menschen, die glauben, Wasser sei ein Grundrecht aller und nicht eine Ware des Marktes. Diese Menschen würden nicht einsehen, dass erst der Markt dem Wasser seinen Wert beimisst und die Mechanismen des Marktes nach manchen nötigen Strukturanpassungen letztlich zu einer gerechteren Verteilung helfen oder führen würden. Jean Ziegler, der ebenfalls in diesem Film interviewt wird und auch als Sonderberichterstatter der UN für Welternährungsfragen vor deutlichen Worten nicht zurückschreckt, formuliert dagegen drastisch: „Wenn heute ein Mensch an Hunger stirbt, wird er ermordet.“ Unsere zivilisatorischen Errungenschaften haben seit langem einen Stand erreicht, um die natürlichen Ressourcen ohne ökologische Erschöpfung zu nutzen, um jeden einzelnen Menschen dieser Erde zu ernähren. Das Blinken im Ulmer Brotmuseum macht deutlich, welche Dimensionen Hunger hat. Aber es zeigt uns noch keine Gesichter. Die Welt der Zahlen vermag Erschrecken auslösen, gewinnt aber keine Konturen. Wer jemals durch einen Slum in Indien, eine Favela bzw. ein Barrio in Lateinamerika oder eine Müllhalde vor den Megacitys dieser Welt ging, wer jemals die ausgemergelten Gestalten auf den Feldern Indiens oder Afrikas, in den Sweatshops an den Küsten Asiens sah, wird nie mehr vergessen, dass hinter diesen 10-stelligen Zahlen einzelne Menschen stehen. Menschen, welche durch ihre Geburt die gleiche Würde in sich tragen. Menschen, denen es nicht gegeben war, im Gegensatz zur knappen anderen Hälfte der Menschheit ihre Würde, ihre Individualität und Persönlichkeit entfalten zu können. Im letzten Vierteljahrhundert konnte dem Siegeszug der neoliberalen Weltanschauung, verstärkt seit dem Zusammenbruch des Ost-West-Konfliktes, kein Einhalt geboten werden. Die Rezepte zur Lösung dieser humanitären Herausforderung haben die Probleme und die Kluft zwischen Armen und Privilegierten sogar immens vergrößert. Profitiert haben davon die multinationalen Konzerne, welche ihre Verteidiger und Ideologen in Politik und Wissenschaft unterstützen. Karl Marx hatte zurecht aphoristisch zugespitzt: „Die herrschenden Ideen sind die Ideen der Herrschenden.“ Mittlerweile haben sich viele Gegenbewegungen gebildet, die Hoffnung machen. Literarische Gegenentwürfe sowie Aktivisten und Bewegungen machen Mut, zeigen aber auch die Dominanz des neoliberalen Denkens. Was wir brauchen ist die Kraft der Kreativen! Man lese nur die Biografien der Preisträger des alternativen Nobelpreises, aber gerne auch die der offiziellen. Es gibt kreative Köpfe gegen den mainstream, es wird aber nicht ausreichen, als Einzelne gegen die herrschende Politik in dieser global vernetzten Welt anzugehen, um ein Mehr an Humanität zu schaffen. Dazu braucht es viele, vor allem in den privilegierten Weltbevölkerungsgruppen, jede und jeden einzelnen. Es braucht die Kreativität von Hinz und Kunz oder von Frau und Herrn Mustermann, um diese Welt humaner zu gestalten. Dabei ist das Ziel nicht allein ein Einsatz für hehre Ziele um eine Weltzivilgesellschaft. Eine Humanisierung beginnt damit, dass auch im kleinen Umfang die Bahnen der Ich-AG verlassen werden, um nach Alternativen zu suchen. Ein Einsatz für mehr Menschenwürde und Menschenrechte beginnt hier und sollte dann aber den Blick weiten. Der alte Slogan von lokalem Handeln und globalem Denken hat weiterhin seine Berechtigung. Dazu gehört Kreativität, die aber große Widersacher hat.

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