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Die Menschenrechte wollen gleichzeitig Meinungsfreiheit und Diskriminierungsfreiheit garantieren
ОглавлениеDie Spannung ist in den Menschenrechten selbst angelegt: Das Verbot der Rassendiskriminierung zieht sich wie ein roter Faden durch den Menschenrechtsschutz. Die Bekämpfung rassistischer Äußerungen – als eine Vorstufe der Diskriminierung – wirft die Frage nach den Grenzen der Meinungsfreiheit auf. Denn es scheint widersinnig, Diskriminierungsverbote aufzustellen und gleichzeitig zu dulden, dass zur Ungleichbehandlung der Menschen auf der Basis ihrer ethnischen Herkunft aufgerufen wird. Aber zwischen den Werten Freiheit und Gleichheit gibt es ja nicht nur eine Spannung, sondern auch einen inneren, positiven Zusammenhang: Das universelle Gleichheitspostulat schützt auch die Freiheit und die Würde des Einzelnen. Weniger abstrakt: Im Deutschland der Dreißiger-Jahre haben sich rassistische Ideologien ja nicht nur gleichheits-, sondern auch freiheitsfeindlich gezeigt: Sie nahmen den Einzelnen ihre Handlungs- und Entwicklungsfreiheit.
Straßentheateraktion „Amnesty überfällt die Stadt“ der Erlanger Hochschulgruppe von Amnesty International, Juli 2009 (Bildnachweis: Fotograf: Cornelius Wachinger. Copyright: Amnesty-Hochschulgruppe Erlangen)
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 wollte ein möglichst universeller, das heißt, nicht an geographische oder historische Kontingenzen gebundener Codex sein. Der Geltungsanspruch sollte über jede nationale Beschränkung hinausgehen. Aber ihre Genese ist doch spezifisch; die Rechte sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind das Ergebnis eines Lernprozesses, den Rainer Huhle, der die Geschichte der Menschenrechte erforscht, so beschreibt: „Was hat die Welt also aus den Naziverbrechen gelernt? Das Beispiel der Meinungsfreiheit zeigt, dass dieser Lernprozess ein sehr heterogener war. Die Erfahrungen des Nazismus waren nicht überall gleich, und sie trafen auf unterschiedliche, bereits auf weiter zurückliegenden historischen Erfahrungen gegründete rechtliche und politische Traditionen“ (Huhle 2008, S. 123).
Nach 1945 haben sich Völkerrechtler aus ihrer je eigenen Tradition am Problem der Einschränkungsdefinitionen für die Meinungsfreiheit immer aufs Neue abgearbeitet. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte selbst schränkt die Meinungsfreiheit nicht ein. In Art. 19 des 1966 von den Vereinten Nationen beschlossenen Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) hat man sich auf folgende Formulierung geeinigt:
„(1) Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. […] (3) Die Ausübung der in Absatz 2 vorgesehenen Rechte ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind
a) für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer;
b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit“ (Bundeszentrale: Menschenrechte 1999).
Bestimmte Dimensionen der Einschränkung sind den sozialistischen und „Drittweltländern“ geschuldet. So wollte schon 1948 die Sowjetunion in der Allgemeinen Erklärung die Kriegspropaganda nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit gestellt sehen. Auch die Völkermord-Konvention von 1948 hatte die „Aufstachelung zum Völkermord“ als eine den Völkermord vorbereitende Handlung verboten. Und drei Jahre zuvor, vor dem Internationalen Militärtribunal von Nürnberg, war der fränkische NS-Propagandist Julius Streicher wegen dieses Delikts zum Tode verurteilt worden.
Gegenwärtig werden die möglichst engen Grenzen einer Einschränkung am deutlichsten von Agnes Callamard, Direktorin der Menschenrechtsorganisation „Article 19“, formuliert. Jede Einschränkung sollte den folgenden Anforderungen genügen: „klare und enge Definition; keine Bestrafung für Aussagen, die wahr sind; Bestrafung erst, wenn gezeigt ist, dass Hate Speech die Absicht hatte, zu Feindseligkeiten und Gewalt aufzustacheln; angemessene Bestrafung, Gefängnisstrafe nur als letztes Mittel; Einschränkungen dürfen nur das Ziel haben, Individuen zu schützen; sie haben nicht die Aufgabe, deren Denk- oder Glaubenssysteme vor Diskussionen, genauer Prüfung oder – auch unvernünftiger – Kritik zu bewahren“ (Callamard 2007).