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Soziale Herkunft und Rekrutierung

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Im Hinblick auf die Rekrutierung und Sozialisation der religiösen Eliten ist ein grundsätzlicher Unterschied augenfällig: Während beispielsweise nicht wenige evangelische Pfarrer selbst aus einem evangelischen Pfarrhaus stammen, ist dieser Weg der Nachfolge dem katholischen Klerus wegen des Zölibats versperrt. Katholische Priester müssen immer wieder aus dem Laienstand rekrutiert werden – so sind die strikten normativen Vorgaben. Damit verfügt der katholische Klerus nur über mittelbaren Einfluss auf die wichtigste Sozialisationsinstanz, das Elternhaus43 – zumindest dem Anspruch nach.

Tatsächlich gab es in der Frühen Neuzeit doch so etwas wie katholische Pfarrersdynastien: Nicht selten folgte der illegitime Sohn eines katholischen Pfarrers und dessen Haushälterin seinem Vater in derselben Pfarrei nach, und das oft über mehrere Generationen hinweg. Möglicherweise war die Durchsetzung und strikte Einhaltung des Zölibats in der katholischen Kirche doch erst eine Sache des 19. Jahrhunderts. Das Bemühen ist aber auch schon in der Frühen Neuzeit nachweisbar, unter anderem in den zahlreichen Reformdekreten zum Thema Pfarrhaushälterin. So heißt es, um nur ein Beispiel zu nennen, in einer 1559 im Erzbistum Trier erlassenen Vorschrift: Als Pfarrhaushälterin untragbar seien „junge, hübsche, aufreizende (lasziva), herausgeputzte, herrische, faule, schamlose und vorwitzige“ Frauenspersonen; zugelassen dagegen „betagte, füllige, sittsame, besonnene, keusche, ungepflegte (incultura), arbeitsame und ernsthafte“ Frauen. Am besten nehme man eine Person, die „gemäß öffentlichem Zeugnis keusch ist, eine Witwe, oder eine ältere Jungfrau“.44

Vergleichend ist danach zu fragen, welche Folgen es hatte, wenn die Elite einiger christlicher Kirchen ihre Ämter nicht an direkte leibliche Nachkommen vererben konnte. Welche Bedeutung kommt in diesem Kontext größeren Familiennetzwerken und dem Nepotismus zu? Auf welche Eigenschaften achtete man bei der Rekrutierung? Wie offen war sie für Leistungsträger, wie sehr war sie an professionellen Kriterien orientiert? Inwieweit sorgte sie für soziale Mobilität? Welche Barrieren gab es in Abhängigkeit vom Geschlecht und Familienstand, von regionaler und nationaler Herkunft, von Stand, sozialer Schicht und Bildungsniveau? Waren verheiratete Funktionsträger ebenso straff in Hierarchien einzubinden wie unverheiratete? Was motivierte den Nachwuchs, eine religiöse Laufbahn einzuschlagen? Für die katholische Kirche bedeutete es eine einschneidende Veränderung, dass das Bischofsamt im 19. Jahrhundert zunehmend auch Nichtadeligen offenstand.45 Wo liegen die Konstanten, was unterlag dem grundsätzlichen Wandel? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft des Inhabers eines religiösen Amtes und seiner theologischen und politischen Einstellung, insbesondere seiner Beurteilung der Moderne?

Irmtraud Götz von Olenhusen stellte in ihrer Studie „Klerus und abweichendes Verhalten“ für das Erzbistum Freiburg die These auf: Je einfacher und ländlicher die Herkunft der Priesteramtskandidaten, desto intransigenter, ultramontaner, fundamentalistischer war ihre Einstellung. Umgekehrt stehe eine städtische Herkunft eher für Aufgeschlossenheit und „Liberalität“. Eine solche Auffassung zeigt sich beispielsweise in einer Äußerung des Großherzogs Friedrich I. von Baden aus dem Jahr 1886 beim Besuch des Freiburger Priesterseminars: „Von Interesse war mir, die sämtlichen Seminaristen kennenzulernen. Unter den 64 jungen Leuten befindet sich nur einer, der gebildeten Kreisen entstammt … Alle andern stammen aus den niedersten Kreisen der Bevölkerung, Bauern, Tagelöhner, Kleingewerbe, niedere Bedienstete, Volksschullehrer. Alle kurzsichtig, körperlich schwach entwickelt, ohne jedwede Haltung und dementsprechend schüchtern und ängstlich. Ich hatte den Eindruck, mit völlig willenlosen Menschen zu verkehren. Nur wenn von der Universität die Rede war, klang der Ton lebhafter. Die Lehrer machen einen ähnlichen Eindruck.“46 Im selben Brief äußerte der Großherzog sich andererseits empört über die „geradezu revolutionäre Hetzarbeit“ der katholischen Geistlichen. Olenhusen dazu: „Der katholische Klerus war zum natürlichen Verbündeten der unterbürgerlichen, ländlichen Schichten geworden. Das Gegenteil dessen, was die Liberalen beabsichtigt hatten, war eingetreten. Das katholische Milieu unter klerikaler Führung hatte sich zu einer politisch bedeutsamen – antiliberal und antikapitalistisch orientierten – Kraft entwickelt.“47 Es wäre spannend zu prüfen, ob diese These auch für andere Zeiten und andere Regionen Europas Gültigkeit besitzt. Die Quellenbasis könnten im katholischen Bereich die Priesterakten in den europäischen Diözesanarchiven bilden, wobei es zunächst um eine umfassende (auch) statistische Untersuchung zum Thema soziale Herkunft und „wissenskulturelle“ Einstellung des Klerus gehen muss. Prosopografische Datenbanken und kollektive Biografien48 könnten hier methodisch zielführende Ansätze sein. Allerdings ist vorab zu klären, ob beispielsweise die exzellente Priesterkartei des Bistums Münster, die fünfhundert Jahre umspannt, eine Ausnahme darstellt oder religiöse Eliten auch für andere Regionen und Glaubensgemeinschaften ähnlich gut dokumentiert sind.

Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten

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