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Sozialisation und Priesterbildung

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Die Frage der Sozialisation und insbesondere der Ausbildung der religiösen Eliten ist in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen, was sich schon daran zeigt, dass sie immer wieder zum Zankapfel zwischen Kirche und Staat, aber auch innerkirchlicher Fraktionen wurde. „Religiöse Sozialisationen sind von fundamentaler Wirkung, weil sie Daseinsgewissheit und Verhaltensorientierungen vermitteln, die jenseits der konkreten gesellschaftlichen Existenz legitimiert sind. Sie erscheinen deshalb im Letzten als nicht befragbar, und das macht sie teilweise unangreifbar.“49

Nach dem Konzil von Trient versuchte die katholische Papstkirche, weltweit einheitliche Vorgaben für die Priesterausbildung durchzusetzen. Das als Königsweg angesehene Universitätsstudium ließ sich aus Kostengründen nicht realisieren, auch die Gründung von Bischöflichen Priesterseminaren kam nur sehr schleppend voran.50 Eine entscheidende Rolle für die Priesterbildung in Europa übernahm deshalb die Gesellschaft Jesu, die ein flächendeckendes Netz von Gymnasien, Kollegien und Universitäten errichtete, in denen nach einer einheitlichen Studienordnung – der Ratio Studiorum von 1599 – unterrichtet wurde.51 Im Rahmen eines innereuropäischen Vergleichs wäre zu prüfen, wie groß der Einfluss der Jesuiten in den einzelnen Gebieten tatsächlich war, ob man wirklich von einem einheitlich jesuitisch geprägten europäischen Klerus reden kann oder ob die regionalen und nationalen Besonderheiten sowie die je unterschiedliche Herkunft nicht doch zu spezifischen Geistlichkeiten geführt haben.52

Die Frage der Priesterbildung spielte auch wieder in den Verhandlungen über die deutschen Konkordate und Zirkumskriptionsbullen nach der Säkularisation eine entscheidende Rolle, und sie polarisiert bis heute, wie die Verhandlungen über die Integration der Theologischen Fakultät in die Universität Erfurt zeigen, über die Josef Pilvousek aus eigener Anschauung berichten kann.53

Doch auch die Homogenität der Ausbildung des katholischen Klerus ist zu hinterfragen. Bis zum Tridentinum ging der Priesternachwuchs im „Pfarrstift“ zwei Jahre bei einem Pfarrer in die Lehre. Das Pfarrexamen war offenbar so bescheiden angelegt, dass als Prüfungsergebnis lapidar festgehalten werden konnte: „Bene flectat, laudabiliter cantat, rite orat.“ Das Konzil von Trient erhob als Minimalforderung, Seminare einzurichten, aber es ist keineswegs sicher, dass das entsprechende Dekret überall rezipiert wurde. Brachte die „Ratio studiorum“ der Jesuiten tatsächlich eine europaweite Vereinheitlichung der akademischen Ausbildung des Klerus? Wo fand diese überhaupt statt: in der Universität, dem Seminar oder der Domschule? Geschah für den Großteil der Kandidaten die Ausbildung nur auf diözesaner Ebene? Wie sahen die diözesanen Ordnungen und nationalen Eigenheiten der Priesterausbildung aus? Wie hoch war der Anteil der angehenden Priester, die zum Studium in eines der Nationalkollegien, zum Beispiel das Collegium Germanicum et Hungaricum in Rom, geschickt wurden? Resultierte daraus tatsächlich eine stärkere Romanisierung, oder setzte sich eine eher diözesane Identität durch? War einem also, überspitzt formuliert, der Trierer Rock näher als das Römische Hemd?

Die Frage, wie sich die Ausbildung der Eliten zwischen Regionalisierung und Globalisierung entwickelte, betrifft auch die anderen Religionen und Konfessionen. Wie hoch war zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern der Anteil derer, die eine akademische Ausbildung durchliefen? Wem stand sie offen, und wer finanzierte mit welchen Interessen? Wer bestimmte die Inhalte der Ausbildung? Welche Rolle spielten die jeweiligen staatlichen Obrigkeiten? Welchen Einfluss hatten die unterschiedlichen Ausbildungsgänge auf die mit dem Herkunftsmilieu verbundenen Einstellungen und Verhaltensmuster? Kam es zu Normkonflikten zwischen Priestern und den Schichten, mit denen sie zu tun hatten, und wie wurden diese Konflikte bewältigt? Bedingten die religiösen Eliten durch die Teilhabe an der akademischen Wissenskultur und ihre Funktion als Multiplikatoren einen weitergehenden, kulturellen und sozialen Wandel? In den Blick zu nehmen wären also die Struktur und Funktion der Bildungsinstitutionen (Fakultäten, Seminare, Konvikte, Lyzeen usw.) ebenso wie die Akteure und die vermittelten Inhalte.

Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten

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