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Religiöse Eliten und die Politik

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Das Verhältnis von religiösen Funktionsträgern zu den weltlichen Machthabern, den neuzeitlichen Staaten und Parteien verdient besondere Beachtung. Wie stand es um das Verhältnis der religiösen Eliten zur weltlichen Macht? Versuchten sie, unmittelbar politisch Einfluss zu nehmen? Gab es Differenzen zwischen den verschiedenen Hierarchieebenen? Wie versuchte umgekehrt die staatliche Obrigkeit, Einfluss auf die Religionsgemeinschaften und insbesondere deren Personalrekrutierung zu nehmen?

Im Rahmen der Konfessionalisierung71 übernahmen zum Beispiel die Pfarrer als Agenten der neuen Konfessionskirchen und der hinter ihnen stehenden und sich „verdichtenden“ frühneuzeitlichen Territorialstaaten eine zentrale Rolle vor Ort, wie nicht zuletzt die Auswertung von Visitationsprotokollen belegt.72 Zwar betonen neuere Forschungen gerade die Begrenztheiten und Widersprüchlichkeiten der Konfessionalisierung,73 und zu berücksichtigen ist etwa die Frage, ob das Konfessionalisierungsparadigma nicht doch nur für gemischtkonfessionelle Länder wie das Heilige Römische Reich Deutscher Nation galt, wo sich die Konfessionen voneinander abgrenzen mussten, weil sie aneinanderstießen. Doch anders als das Sein lässt sich das Soll der Konfessionalisierung nach wie vor klar umreißen: Aufgabe des Klerikers war es, nicht nur für eine religiös-konfessionelle Vereinheitlichung des Lebens seiner Gemeinde durch Katechese, Liturgie und Verkündigung zu sorgen und jede Art von abweichendem Verhalten auszumerzen. Vielmehr war er als Schulaufseher und Standesbeamter zugleich im Auftrag seines „Konfessionsstaates“ für eine entsprechende Sozialdisziplinierung der Untertanen zuständig. Kirchliche Konfessionalisierung funktionierte zumeist nur in enger Zusammenarbeit oder zumindest mit Duldung der zuständigen weltlichen Obrigkeit. Deshalb kam der Ausbildung der Multiplikatoren und Kontrolleure vor Ort auch eine derart zentrale Bedeutung zu, wie sie sich etwa in den Nuntiaturberichten zeigt.74 Wer sie kontrollierte, hatte eine zentrale Schlüsselstelle in der Hand. Für die katholische Kirche wäre außerdem nach den Bischofs- und Pfarreinsetzungen zu fragen. Im Königreich Württemberg standen beispielsweise im 19. Jahrhundert über 90 Prozent der Pfarrstellen unter königlichem Patronat, der Bischof konnte faktisch keine Pfarrei selbst besetzen. Aufschlussreiche Personalakten sind daher oft auch in staatlichen Archiven zu finden.

In der Neuzeit erfuhr die katholische Kirche mehrere grundlegende Umbrüche, allen voran die Säkularisation und damit das Ende der weltlichen Herrschaft der Bischöfe.75 Dadurch geriet die katholische Kirche in eine Frontstellung zum modernen Staat.76 Während der Vatikan aber die Wahrnehmung des aktiven und passiven Wahlrechts im liberalen Staat durchweg kritisch sah und mit Blick auf Italien sogar verbot, waren die deutsche Zentrumspartei und die italienische Volkspartei stark vom Typus des „politischen Prälaten“ geprägt,77 bis das Reichskonkordat 1933 die „Entpolitisierung des Klerus“ festschrieb. Vergleichbare Entwicklungen sind europaweit zu beobachten.78

Die Church of England und lutherische Kirchen in Skandinavien sind dagegen als „anachronistische[r] Überbleibsel“ bezeichnet worden, da „Staatskirchen mit modernen, ausdifferenzierten und säkularen Staatswesen unvereinbar“ seien.79

Besondere Beachtung verdient die viel diskutierte Einstellung religiöser Funktionsträger zur Gewalt, wobei sehr unterschiedliche Spannungsfelder zu berücksichtigen sind.80 So können Konflikte zwischen verschiedenen Religionen und Konfessionen81 ebenso zu Gewalt führen wie zwischen Religion und Politik, insbesondere wenn kirchenfeindliche Regime Religionen zu unterdrücken versuchen. Religionsvertreter können sich aber auch mit Gewaltregimen verbünden. In der Slowakei war von 1939 bis 1945 mit Jozef Tiso82 sogar ein katholischer Priester Staatspräsident, und auch die faschistische Ustascha in Kroatien83 suchte die Nähe zum Katholizismus. Die Frage nach der Legitimität von gewaltsamem Widerstand und von Revolutionen taucht aber ebenfalls immer wieder auf. In der Französischen Revolution hat der Klerus beispielsweise sehr uneinheitlich agiert, das Jahr 1848 markiert den Anfang des katholischen Milieus in Deutschland,84 und der friedliche Umsturz in der DDR 1989 ist sogar als „protestantische Revolution“85 bezeichnet worden. In Polen dürfte der Einfluss des katholischen Klerus und der katholischen Kirche auf die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc, den politischen Systemwechsel und das Ende der Teilung Europas unbestritten sein. Hier und teilweise auch in anderen Staaten des Ostblocks erwiesen sich die Pfarrer als Hort gegen die kommunistische Staatsmacht.86 Die DDR nimmt dennoch, ähnlich wie sonst nur Tschechien und Estland, nach wie vor eine „internationale Spitzenstellung“87 ein, was den Bedeutungsverlust institutionalisierter Religiosität betrifft.88 In vielen Ländern Osteuropas kam es dagegen nach dem Ende der Sowjetunion zu einem Aufschwung „kollektiver religiöser Identitäten, welche in der Vergangenheit mit ethnischen und nationalen Identitäten verschmolzen, aber unter der kommunistischen Herrschaft verschwunden oder unterdrückt worden waren“89 – was einmal mehr die Frage nach der Bedeutung religiöser Eliten mit Blick auf religiöse und nationale Identitäten aufwirft.

Kirchliches Leben im Wandel der Zeiten

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